Sprache · Stimme · Gehör 2011; 35(04): 212-213
DOI: 10.1055/s-0031-1301142
Interview
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Extralaryngeale Ursachen von Dysphonien – der Blick über den Tellerrand

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Publication Date:
23 January 2012 (online)

? Per-Åke Lindestad, Sie beschäf-tigen sich als einer der renommiertesten schwedischen Phoniater schon lange intensiv mit stimmgestörten Patienten. Welchen Zusammenhang sehen Sie in Ihrem klinischen Alltag zwischen Infekten der oberen Atemwege und einer Heiserkeit?

Dass eine Infektion der oberen Atemwege (paranasale Sinus und Epipharynx) zu einer Kehlkopfentzündung mit daraus resultierender Heiserkeit führen kann, steht in jedem Lehrbuch. Jedoch basiert diese Darstellung hauptsächlich auf klinischen Beobachtungen, die wissenschaftlich nicht sehr gut belegt sind. Wie jeder schon am eigenen Leib erfahren hat, verursacht eine "normale" Erkältung häufig eine Heiserkeit. Andererseits ist es mein Eindruck, dass eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen selten zu einer chronischen Heiserkeit führt. Häufiger sieht man einen andauernden Husten, der vermutlich durch ein Herabfließen von Schleim an der Rachenhinterwand bei subakuten Entzündungen verursacht wird. Dieser Husten wiederum kann Stimmprobleme verursachen.

Ein häufiges und bedeutsames Problem ist aus meiner Sicht eine länger andauernde Heiserkeit nach einem banalen Infekt. Sänger bezeichnen diesen Zustand häufig als "Luftröhrenentzündung". Die typischen Symptome sind eine Stimmermüdung und eine Heiserkeit, die nach etwa 10–15-minütigem Singen auftritt. Wenn man nach 3–4 Wochen einen Abstrich aus dem Nasenrachenraum macht, findet man häufig eine bakterielle Besiedlung mit Hemophilus influenzae, Branhamella catharralis oder Diplococcus pneumoniae.

? Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Operationen im Vokaltrakt und der Stimmfunktion?

Gelegentlich berichten Sänger von phoniatrischen Einschätzungen, dass sich die Stimme bei einer Mandel-OP oder einer Uvula-Palato-Plastik verändern kann. Wenn der Sänger jemand ist, der in seiner Ausbildung noch wenig fortgeschritten ist, ist das Risiko vermutlich sehr gering. Aber falls der Künstler ein Profi mit einer internationalen Karriere ist, sollte man vorsichtig sein und sorgfältig die Probleme einer möglichen Operation abwägen. Eine Modifikation der Konfiguration im Rachenraum kann eine Formantänderung ergeben. Hauptsächlich wird der Sänger selbst spüren was in diesem Bereich vorgeht. Aus medizinischer Sicht sind die häufigsten Probleme infolge einer gestörten Interaktion zwischen Stimmlippen und Vokaltrakt eine chronische Kehlkopfentzündung mit ventrikulärer Hypertrophie oder übermäßiger Adduktion der Stimmlippen, welche zu einer gedämpften Weiterleitung des Klanges im Kehlkopfeingang führt oder sogar zu einer Taschenfaltenstimme, welche den Klang in komplexer Weise behindert.

Das 3. naheliegende Beispiel ist natürlich der nasale Klang bei einem offenen Gaumensegel. Es hat sich gezeigt, dass Sänger dramatischer Opernpartien, die gesangstechnisch das "Decken" anwenden, das Gaumensegel absenken können ohne nasal zu klingen.

? Wie beeinflußen die äußeren Muskeln die Stimmfunktion?

Das Zusammenspiel zwischen den geraden Halsmuskeln und den größeren seitlich gelegenen Muskeln ist klar. Einige dieser Muskeln im vorderen Halsbereich – genauso wie die unteren Schlundschnürer – haben Ansatzpunkte an den Kehlkopfknorpel. Daher scheint es logisch, dass Massieren und Dehnen der Muskeln bei Stimmsymptomen helfen würde. Klinisch sind diese Muskeln schwer zu erreichen, aber sie können vielleicht beeinflusst werden, wenn der Kehlkopf gedreht und zur Seite bewegt wird. Wie jeder klinisch weiß, werden die inneren Kehlkopfmuskeln vom N. vagus versorgt. Weniger bekannt ist, dass den Kehlkopf außen umgebenden Muskel (M. sternothyreoideus, M. thyrohyoideus, M. sternohyoideus) – auch gerade Halsmuskeln genannt – von den Segmenten C2 und C3 der Halswirbelsäule angeregt werden. Die großen Halsmuskeln M. sternocleidomastoideus und M.trapezius werden vom N. accessorius versorgt, welcher aus den Segmenten C1–C5 stammt, wo sich auch der Kern dieses Nerven befindet. Darüber hinaus erstreckt sich der untere Anteil des Trigeminuskerns bis zum Segment C5 und nimmt dadurch Informationen über Schmerzen und Temperatur aus dem Bereich des oberen Halses auf. Und schließlich wird auch die Tiefensensibilität der Zunge (die Propriozeption) über das Segment C2 und C3 zum Gehirn geleitet.

Warum ist dies wichtig? Es gibt uns einen Hinweis darauf, dass wir wahrscheinlich auch die Kehlkopffunktion beeinflussen, wenn wir an diesen Muskeln manipulieren. Wenn Schmerzen und Verspannungen in diesem Bereich durch Manipulation der äußeren Halsmuskeln behandelt werden, ist anzunehmen, dass sich über die beschriebenen neuronalen Vernetzungen auch Effekte auf die inneren Strukturen des Kehlkopfs wie Muskeln, Sehnen und Bändern vermitteln. Bedauerlicherweise ist die manuelle Medizin in Schweden in der Stimmtherapie bisher nur wenig verankert, aber ich schicke regelmäßig Patienten zu Therapeuten, die diese speziellen Techniken beherrschen.

? Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Allergien bei der Entstehung von Dysphonien?

Als ich meine Ausbildung zum Phoniater gemacht habe, wurden Allergien nicht als ein bedeutsamer Faktor für die Entstehung von Stimmproblemen angesehen. Heute wird diese Möglichkeit öfters in Erwägung gezogen. Bei einer Allergie der oberen Atemwege ist die gesamte Schleimhaut mit betroffen, obwohl Teile des Systems wie Nase und Lunge stärker reagieren. Der Kehlkopf scheint bei Allergikern weniger direkt betroffen zu sein, jedoch scheint die Empfindlichkeit gegenüber anderen Agentien und hinsichtlich einer mechanischen Überlastung ausgeprägter zu sein. Dies bedeutet, dass bei Allergikern durch Rauchen und Stimmüberlastung schneller eine Dysphonie entsteht als bei Nichtallergikern. Eine reine "allergische" Dysphonie ist meiner Erfahrung nach nicht häufig.

? Und Erkrankungen aus rheumatischen Formenkreis?

Bei Patienten, die eine rheumatische Erkrankung haben, ist diese meist bereits bekannt, bevor sie in unsere Abteilung kommen. Wenn diese Patienten unter einer Heiserkeit leiden, liegt der Verdacht auf einen Zusammenhang dieses Symptoms mit der Grunderkrankung nahe. Nach unserer Erfahrung gibt es 2 recht häufige Formen: rheumatoide Verdickungen der Stimmlippen und eine subglottische Stenose durch eine Wegenersche Granulomatose.

Fixierte Stimmlippen können bei chronischen Gelenkerkrankungen auftreten, aber sie sind häufiger bei einem akuten Rheumaschub mit begleitenden entzündlichen Veränderungen im Larynx. Natürlich kann ein Patient mit einer Autoimmunerkrankung auch einen Stimmlippenstillstand anderer Genese haben. Um die Ursache zu klären, kann eine Elektromyografie (EMG) der Larynxmuskulatur hilfreich sein, welches im Falle einer gelenkbedingten Bewegungseinschränkung normal sein sollte.

? Welche Wertigkeit hat aus Ihrer Sicht ein gastropharyngealer Reflux auf Stimmbeschwerden?

Vor 20 Jahren war keinem von uns bewusst, dass ein Reflux zu einer Heiserkeit oder einer chronischen Laryngitis führen kann. Wir sahen die Schleimhautveränderungen im hinteren Bereich des Kehlkopfes und des Pharynx, die heute als Folge des Reflux angesehen werden, ohne darauf zu reagieren oder den Reflux zu behandeln. Meiner Meinung nach wurden in den letzten Jahren aufgrund der indirekten Zeichen im Larynx zu viele Refluxerkrankungen diagnostiziert, aber wir kommen hier aktuell zu einer realistischeren Einschätzung und rationaleren Vorgehensweise.

Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Kehlkopf und objektiven Messungen mittels pH-Metrie zeigen können, jedoch sind diese Zusammenhänge eher schwach ausgeprägt. Auch der Effekt von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) auf die Veränderungen im Larynx wie Schwellungen in der Interaryregion oder Granulome sind nach meiner Erfahrung nicht sehr stark. So kann eine Schwellung auch noch Jahre nach einer Refluxepisode persistieren.

Jedoch kann nach meiner Erfahrung bei manchen Patienten ein Reflux durchaus die Ursache für entzündliche Veränderungen im Kehlkopf sein. Dies ist besonders bei Rauchern oder Patienten mit einem hyperreagiblen Bronchialsystem wichtig. Auch bei Patienten, die wegen Asthma inhalative Steroide nehmen und die eine schwere Laryngitis entwicklen, manchmal sogar mit Pilzbefall, trägt oft ein Reflux zur Entstehung der Symptome bei.

Patienten, die eine leichte Dysphonie mit Globusgefühl oder leichte Schluckprobleme haben, bekommen von mir auch "ex juvantibus" PPI verabreicht. Der Behandlungszeitraum ist dann 2 Monate oder länger. Es konnte gezeigt werden, dass bei vielen Patienten, die subjektiv keinen Reflux verspüren, objektiv mittels pH-Metrie eine Reflux nachgewiesen werden konnte. Manche entwickeln nie Symptome. In der täglichen Routine schicken wir nicht jeden Patienten mit geringen Veränderungen zur ph-Metrie oder zur Gastroskopie, nur diejenigen mit ausgeprägten Symptomen. Wenn jedoch deutliche Zeichen eines Refluxes vorliegen, oder wenn eine ausgeprägte Schluckproblematik vorliegt, dann ist die Gastroskopie unverzichtbar.

Wenn die Symptome unter PPI verschwinden und nach Absetzen der Medikamente wieder auftreten, dann kann die Therapie lange Zeit, sogar für Jahre fortgesetzt werden.

Das Interview führte Prof. Dr. Bernhard Richter, Freiburg.

Zur Person
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Per-Åke Lindestad, MD, PhD, Jahrgang 1952, studierte Medizin am Karolinska Institut in Stockholm und bekam seine Ausbildung zum HNO-Arzt und Phoniater im Södersjukhuset and Huddinge University Hospital. Zwischen 1991 und 2002 war er Chef der Phoniatrieabteilung im Huddinge University Hospital. In Folge der Fusion der beiden größten Krankenhäuser in Stockholm im Jahr 2004 wurde die Abteilung für Logopädie unabhängig und die Phoniatrie wurde an die HNO-Abteilung des Karolinska University Hospital angegliedert. Lindestad ist Assistent Professor am Karolinska Institut und Senior Lecturer in der Ausbildung der Medizinstudenten und Logopäden. Seine Forschungsschwerpunkte sind Neurolaryngologie und die Sängerstimme.