PiD - Psychotherapie im Dialog 2012; 13(2): 78
DOI: 10.1055/s-0032-1304983
Résumé
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wer hat es in der Hand …?

Bettina  Wilms, Maria  Borcsa
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Publication Date:
13 June 2012 (online)

Psychotherapeuten, die mit Menschen arbeiten, die über Selbsttötung nachdenken, Versuche zum Suizid unternommen haben oder als Überlebende darunter leiden, dass sich jemand das Leben genommen hat, entwickeln eine Haltung zum Thema Suizid: eine, die sich vielleicht in Anteilen von einer laienhaften Sichtweise unterscheidet und dennoch in der persönlichen Betroffenheit dieser immer auch ähnelt. Zugespitzt könnten wir auch formulieren: Auf eine bestimmte Art erleben alle Beteiligten auf eine unterschiedliche Weise ganz persönliche Hilflosigkeit …

Dies führt dazu, dass es Menschen gibt, die hoffen, nie mit dem Thema Suizid etwas zu tun haben zu müssen, und eine Beschäftigung damit weitestgehend vermeiden, und andere, die der Sache auf den Grund gehen wollen. Die Autoren dieses Heftes gehören sicherlich zu dieser zweiten Gruppe. Einig scheinen sich alle zu sein, dass ein „Sich damit beschäftigen“ in aller Regel wohl zu immer mehr unklaren Fragen führt, als dass Antworten gefunden werden. Manchmal mag hinter diesem Wunsch, z. B. was die genaue Kenntnis des Phänomens „Suizid“ angeht, auch die Hoffnung auf Entlastung im Sinne von Freispruch gegenüber eigener Verantwortung stehen – die dann in aller Regel nur ungenügend erfüllt wird.

Immer wieder taucht dabei der Gedanke auf, wie ein Suizid verhindert oder wie er ggf. ertragen werden kann; bis hin zu der Frage, ob ein Suizid auch Ausdruck von reflektierter zutiefst menschlicher Kompetenz sein kann (siehe das Gespräch mit Michael de Ridder). Vermutlich lässt sich nicht verhehlen, dass der Akt der Selbsttötung eine massive Herausforderung für das Kontrollerleben, vielleicht auch das Machterleben, von Helfern darstellt. Denn, auch wenn wir Studien durchführen und uns klinisch tagtäglich besser, d. h. mit mehr Erfahrungsbezug, auskennen, bleibt die Erkenntnis, dass wir diesen Schritt menschlichen Handelns letztlich nicht in der Hand haben. Das Entsetzen im Gesicht des Therapeuten, der den Namen seines Patienten auf einer Todesanzeige in der Tageszeitung findet und sofort der Frage nachgeht, ob in seinen letzten Aufzeichnungen etwas über Suizidgedanken des Betroffenen zu lesen ist, weist darauf hin: Habe ich etwas übersehen? Habe ich richtig gehandelt? Bin ich meinem Patienten in seiner Not gerecht geworden? Habe ich Schuld auf mich geladen?

Für Außenstehende manchmal nur schwer verständlich ist dann die Reaktion des gleichen Kollegen, wenn er erfährt, dass der Patient infolge einer Lungenembolie plötzlich und unerwartet verstorben ist: Erleichterung, Lösung von Anspannung und vielleicht auch die Frage, ob der behandelnde Hausarzt „da vielleicht im Vorfeld etwas übersehen haben könnte…“.

Die vielleicht leisere und demütigere Haltung, sich Menschen mit Suizidgedanken oder nach Suizidversuchen mit allem, was wir können, zur Verfügung zu stellen und dann letztlich darauf vertrauen zu müssen, dass dieses Angebot ins Leben zurückträgt, klingt zunächst wenig attraktiv. Und dennoch scheint es das zu sein, was möglicherweise das Wichtigste ist; neben all dem Wissen um Risikofaktoren, Kontaktfrequenz, Do‘s und Dont‘s von Experten und erfahrenen Überlebenden.

Wir hoffen, dass es uns mit diesem Heft gelungen ist, nicht Angst zu schüren, sondern Interesse zu wecken, sich immer wieder von Neuem, vielleicht aus wechselnden Blickwinkeln mit Menschen zu beschäftigen, die sich nicht vorstellen können, so weiterzuleben, wie sie es bisher getan haben. Und wir wünschen uns und Ihnen, liebe Leser, dass wir alle möglichst selten auf das Wissen der Intensivmediziner und Postventionsexperten zurückgreifen müssen und stattdessen gemeinsam mit unseren Patientinnen erleichtert auf eine Zeit der Psychotherapie zurückblicken können, die einen Teil dazu beitragen konnte, wieder mehr an das Leben als an das Sterben zu glauben.