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DOI: 10.1055/s-0032-1305972
Wohnen sie schon, oder leben sie noch im Heim?
Publication History
Publication Date:
09 March 2012 (online)
Die Herausgeber des "Handbuch Betreutes Wohnen" lassen bereits im Vorwort keinen Zweifel aufkommen, dass die institutionszentrierte Heimversorgung zukünftig virtualisiert und dezentralisiert wird und sich hin zu einer personenzentrierten mobilen Unterstützung entwickeln müsse. Dies ist der rote Faden, der sich durch alle Beiträge zieht, sogar auch ansatzweise in jenem über geschlossene Heime, die scheinbar immer noch eine Notwendigkeit darstellen. Ansonsten kommt der Begriff des Heimes oder des stationär betreuten Wohnens in diesem Buch nur noch selten vor, als gäbe es solche wohnortfernen Großinstitutionen gar nicht mehr. Dabei sind sie ein wichtiger Pfeiler der zunehmend beklagten Transinstitutionalisierung.
Es geht den Herausgebern nicht darum, die z. T. beklagenswerten Zustände anzuprangern und uns daran zu erinnern, dass viele Forderungen der Expertenkommission der deutschen Bundesregierung von 1988 immer noch nicht umgesetzt sind; dennoch wünschte man sich, bevor modellhafte und richtungsweisende Ansätze dargestellt werden, eine umfangreichere Bestandsaufnahme des betreuten Wohnens in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Die Autoren schauen stattdessen vorwärts und das ist gut so. Sie zeigen damit dem interessierten Leser auf, wie auch schwierigste Patienten (Systemsprenger, Obdachlose, Suchtpatienten oder solche mit forensischem oder Migrationshintergrund) zukünftig in der Gemeinde begleitet und unterstützt werden und damit am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, also sozial inkludiert werden ohne Bildung neuer gemeindepsychiatrischer Ghettos.
In verschiedenen Beiträgen wird dargestellt, dass dies in Familien, mithilfe von Bürgerhelfern oder auch von Peers erfolgen kann. An Fallbeispielen wird gezeigt, dass dies keine unrealistischen Visionen sind, sondern bereits erprobte Ansätze, die – so unterschiedlich sie auch sein mögen – eines gemeinsam haben: Sie stellen nicht die Institution, sondern die Person ins Zentrum. Dies bringen die Herausgeber auch zum Ausdruck, indem sie fordern, dass der Begriff Betreuung, der zu paternalistisch ist und den zu Betreuenden zum Objekt der Professionellen macht, ersetzt werden soll durch den Begriff der Unterstützung. Dies lässt die betroffene Person zumSubjektwerden, die über Art undUmfang der Unterstützung wählen kann. Der Betreuer wird zum Coach!
Dieses für alle im Rehabilitationsbereich, der Langzeitbetreuung und v. a. in der Versorgungsplanung Tätigen sehr lesenswerte Buch trifft den Zeitgeist und kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt. Es postuliert einen Haltungswechsel und macht Mut, neueWege zu gehen und den zu Unterstützenden noch partnerschaftlicher zu begegnen. Dem veränderten Rollenverständnis der Mitarbeitenden in Richtung personenzentriertes Handeln wird genügend Platz eingeräumt, denn dieses ist Voraussetzung, dass ein Haltungswechsel vom betreuten Wohnen hin zur mobilen Unterstützung zur zukünftigen Maxime wird.
Holger Hoffmann, Bern
E-Mail: hoffmann@spk.unibe.ch