Klin Padiatr 2012; 224(02): 51-52
DOI: 10.1055/s-0032-1306351
Editorial
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Die Frühgeborenenosteopenie – ein aktuelles Problem?

Osteopenia of Prematurity – a Current Problem?
L. Gortner
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Publication Date:
02 April 2012 (online)

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Die Frühgeborenenosteopenie (Knochenmineralmangel des Frühgeborenen, in der angloamerikanischen Literatur osteopenia of prematurity) wurde bereits zum Ende der 40er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts beschrieben und zog sich durch die medizinische Literatur als Erkrankung Frühgeborener, welche primär durch einen Mangel an Vitamin D erklärt wurde [9]. Diese Form der Frühgeborenenosteopenie, welche durchweg bei Frühgeborenen eines Gestationsalters von mehr als 32 Wochen beschrieben worden war, wurde abgelöst von einer Form, die im Wesentlichen sehr unreife Frühgeborene, d. h. Kinder einer Gestationsaltersgruppe von weniger als 32 Wochen, betraf [3]. Hier waren typische klinische und radiologische Symptome die Rippenfrakturen Betroffener, welche erstmals in den späten 70er-Jahren zum Teil mit anderen Begleiterkrankungen beschrieben wurden [5]. Danach kamen zahlreiche, systematische Studien in den 80er-Jahren zur Publikation, die einen Zusammenhang zwischen inadäquater Kalzium- und Phosphatzufuhr und der Entwicklung einer Frühgeborenenosteopenie mit hochgradiger Frakturneigung belegten [2]. Fälschlicherweise wurden diese Frakturen in einem Teil der Fälle einem Fehlverhalten des ärztlichen, des Pflege- bzw. des weiteren medizinischen Personals kausal zugeordnet und mit strafrechtlicher Verfolgung belegt [16].

Die Ursachen der Osteopenie bei sehr unreifen Frühgeborenen wurden von mehreren Arbeitsgruppen überzeugend dargelegt und lassen sich hinsichtlich ihrer Pathogenese dahingehend zusammenfassen, dass im Wesentlichen eine inadä­quate geringe Kalziumzufuhr bei Formelernährung und eine inadäquate geringe Phosphatzufuhr bei Muttermilchernährung sehr unreifer Frühgeborener die wesentliche Ursache darstellen [10]. Daneben sind tubuläre Fehlfunktionen mit Phosphatverlust, bedingt durch Hypoxie oder toxische Einwirkungen auf die Niere, beschrieben [8]. Nach gründlichen Untersuchungen der Pathogenese der Frühgeborenenosteopenie bei o.g. Gruppe von Patienten wurde in zahlreichen kleineren Studien die Therapie dahingehend angegangen, durch eine entsprechende Supplementierung mit Kalzium bzw. Phosphat eine ­adäquate Mineralisation, gemessen z. B. mit der dualen Photonenabsorptionsdensitometrie, zu erreichen. Auch hier wurden zahlreiche kleinere Studien in den 80er- und 90er-Jahren publiziert [4] [7]. Es wurden jedoch keine großen multizen­trischen randomisierten Doppelblindstudien durchgeführt, wie dies z. B. für die Surfactanttherapie, die NO-Behandlung und andere relevante neonatologische Interventionen der Fall war. Die hieraus resultierende Heterogenität der Therapieempfehlungen bzw. des Monitorings der Therapie bedingen, dass bis in unsere Dekade trotz der schon sehr langen Erkenntnisse zu pathophysiologischen Zusammenhängen keine einheitlichen Therapieleitlinien hierzu publiziert wurden.

Dies mag einer der Gründe sein, weshalb die ­unterschiedlichen Empfehlungen hinsichtlich der Kalzium- und Phosphataufnahme für sehr unreife Frühgeborene gegeben werden:

Die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPEGHAN) legt hierbei wesentlich tiefere Kalziumsupplementierungs-Empfehlungen vor, als dies von Gruppen in klinisch kontrollierten Studien [1] eingesetzt wurde. Seitens der American Academy of Pediatrics liegt zu der Thematik keine Behandlungsempfehlung vor, lediglich die Vi­tamin-D-Therapie beim Frühgeborenen wird im letzten aktuellen Statement zur Rachitisprävention und dem Vitamin-D-Mangel gestreift [17]. Es kann daher erwartet werden, dass obschon die Problematik der schweren, mit Knochenbrüchen einhergehenden Osteopenie selten geworden ist, eine einheitliche Interpretation alter Studiendaten oder gänzlich neue Daten nicht zu erwarten sind. Auch auf diesem Hintergrund werden in einer Übersichtsarbeit sowie einer Beobachtungsstudie die individuell gesteuerte Kalzium- und Phosphattherapie zur Prävention der Frühgeborenenosteopenie in dem vorliegenden Band ausführlich aufgegriffen [13] [14].

Aufgrund der unterschiedlichen resorptiven Verhältnisse der behandelten Frühgeborenen für Kalzium/Phosphat in Abhängigkeit von entweder Muttermilch oder Formelernährung, der Interferenz mit mütterlichen Therapien, wie z. B. einer lang dauernden Magnesiumtokolyse [18], mit dem Resultat einer verminderten Knochenakquisition bei der Geburt bleibt festzustellen, dass neben den bekannten Variablen weitere Einflussgrößen auf den Kalzium- und Phosphatstoffwechsel bei rasch wachsenden sehr unreifen Frühgeborenen zu diskutieren sind. Mithin sind, basierend auf obigen Überlegungen, die individuell dosierte, mittels der Urinuntersuchung einfach im klinischen Alltag zu handhabende Kon­trolle der Kalzium- und Phosphatsupplementierung ein gangbarer Weg, beim Fehlen großer kontrollierter Studien die Prävention der Früh­geborenenosteopenie umzusetzen. Obschon die langfristigen Konsequenzen einer Frühgeborenenosteopenie bislang nur in wenigen Studien adressiert wurden [12], erscheint dies der wirkliche Goldstandard, um die Sicherheit und ­Effizienz der gezielten Kalzium- und Phosphatsupplementierung, basierend auf den vorgeschlagenen Regeln, weiter und nachhaltig zu etablieren. Studien hierzu sollten die zuvor geschilderte ­komplexe Problematik mit Einflussvariablen unterschiedlicher prä- und postnataler Komponenten analog anderen Nachsor­gestudien berücksichtigen, um valide Studienergebnisse zu ermöglichen [6]. Langfristige Konsequenzen der Therapie auf die Knochendichte können analog der entwicklungsneurologischen Studien [11] [15] als deren Teil zumindest in ausgewiesenen ­Zentren angegangen werden.