Krankenhaushygiene up2date 2012; 7(1): 3
DOI: 10.1055/s-0032-1308951
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Veränderte Endokarditisprophylaxe-Empfehlungen in Großbritannien

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. März 2012 (online)

Thornhill MH et al. Impact of the NICE guideline recommending cessation of antibiotic prophylaxis for prevention of infective endocarditis: before and after study. BMJ 2011; 342: d2392

Im März 2008 änderte das National Institute for Health and Clinical Evidence (NICE) die Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe im Vereinigten Königreich. Seither wird für zahnärztliche Eingriffe keine antibiotische Endokarditisprophylaxe in der Routine mehr empfohlen. Die entsprechenden Leitlinien der American Heart Association und der European Society of Cardiology haben zwar die Indikationen zur Endokarditisprophylaxe ebenfalls stark eingeschränkt, empfehlen aber weiterhin eine Prophylaxe bei zahnärztlichen Eingriffen für Patienten mit künstlichem Herzklappenersatz, herztransplantierten Patienten mit Klappenfehlern und Risikopatienten, die bereits einmal an einer Endokarditis erkrankt waren.

Thornhill und Mitarbeiter gingen nun in einer groß angelegten epidemiologischen Studie der Frage nach, welchen Einfluss die Änderungen der Empfehlungen in der Praxis haben und ob sich durch den Verzicht auf eine Antibiotikaprophylaxe Veränderungen der Inzidenz von Fällen infektiöser Endokarditis ergeben. Hierzu wurden Daten des nationalen Verschreibungsregisters und aller im Zeitraum von 2004 – 2010 an Endokarditis erkrankten Patienten analysiert und in eine Vorher- und eine Nachhergruppe aufgeteilt.

Es ergab sich eine statistisch signifikante Reduktion der Antibiotikaverschreibungen um 78,6 % (p < 0,001) von 10277 Standarddosen/Monat (Standardabweichung 1068) vor Änderung der Empfehlungen auf 2292 Standarddosen/Monat (Standardabweichung 176) nach Änderung der Empfehlungen. Eine Veränderung der Inzidenz von Endokarditiserkrankungen konnte hingegen nicht festgestellt werden (p = 0,61). Es wurden multiple statistische Verfahren einschließlich Poisson-Regression durchgeführt. Eine deutliche Veränderung der endokarditisbezogenen Mortalität wurde ebenfalls nicht festgestellt.

Die Autoren schließen daraus, dass sich die veränderten Empfehlungen bewährt haben und sich kein erhöhtes Endokarditisrisiko aus dem völligen Verzicht auf eine Antibiotikaprophylaxe bei zahnärztlichen Eingriffen ergibt. Sie fordern aber eine weitere Surveillance über einen längeren Zeitraum und diskutieren die methodischen Schwachpunkte der vorliegenden Arbeit.

Fazit: Die Arbeit von Thornhill zeigte eine hohe Compliance mit den veränderten Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe im Vereinigten Königreich und keine Erhöhung der Endokarditisrate trotz Verzicht auf eine antibiotische Prophylaxe vor zahnärztlichen Eingriffen. Da sich die Untersuchung allerdings auf nationale Datenbanken bezieht, kann nicht gesagt werden, ob sich hinter den dennoch verabreichten Antibiotikaprophylaxen nicht genau die Hochrisikopatienten verbergen, die beispielsweise in den Empfehlungen der American Heart Association und der European Society of Cardiology genannt werden. Demnach wäre es verfrüht, aus der Arbeit von Thornhill derzeit den völligen Verzicht auf eine Endokarditisprophylaxe bei zahnärztlichen Eingriffen, wie von der NICE empfohlen, abzuleiten, obwohl die Ergebnisse in diese Hinsicht deuten und letztlich auch pathophysiologisch plausibel erscheinen.

PD Dr. Sebastian Schulz-Stübner, Freiburg