Zeitschrift für Phytotherapie 2012; 33(2): 73-76
DOI: 10.1055/s-0032-1309255
Symposium
Forschung
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Warum Forschung in der Phytotherapie?

Rainer Stange

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. Mai 2012 (online)

Die Antwort auf die Titelfrage dieses Beitrags mag auf den ersten Blick trivial erscheinen. Jedoch nur, wenn sie ausreichend beantwortet werden kann, wird es gelingen, der Phytotherapie in der modernen Medizin den Stellenwert zukommen zu lassen, der ihr gebührt. Ein Interesse, ja ein Recht (s. Info) an Forschungsergebnissen auch zu Pflanzen, die seit Jahrhunderten aus unseren Pharmakopöen nicht mehr wegzudenken sind wie Weidenrinde, Johanniskraut, Brennnessel u.v.a.m., haben insbesondere die folgenden Gruppen:

  • verordnende Ärzte

  • Patienten

  • Apotheker

  • Kostenträger

  • regulierende Behörden

INFO

Resolution der DIA 2003

Auf ihrer 15. Jahrestagung beschloss die Drug Information Association (DIA) am 4. März 2003 in Rom folgende Resolution:

2. Neben der rechtlichen Absicherung sollte die wissenschaftliche Basis der Phytotherapie in Europa stärker gefördert werden. Europas Patienten und Konsumenten haben ein Recht darauf, sich nicht nur auf traditionelles Wissen zu verlassen. Sie können und sollten wissenschaftliche Daten verlangen, die mit Hilfe der modernen Forschungsmethoden des 21. Jahrhunderts ermittelt wurden.

3. Für die Phytotherapieforschung ist die Einführung eines angemessenen Schutzes neuer wissenschaftlicher Daten von zentraler Bedeutung.

Es erscheint manchem, als fände diese Forschung nur statt, um lästigen Pflichten wie Auflagen der Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachzukommen. Diese sollten jedoch eher als Minimalplattform aufgefasst werden, auf der sich ein umfassendes Wissen zu Chancen und Grenzen der Phytotherapie aufbauen lässt.

Tradition als Therapiekultur

Naturheilkundlich orientierte Ärzte bringen sehr oft die Nähe zur medizinischen Tradition zum Ausdruck und betonen, dass das in verschiedenen Medizinkulturen meist über Jahrhunderte akkumulierte, aus der Fülle der zur Verfügung stehenden historischen Quellen bislang nicht einmal ausreichend extrahierte Wissen über Heilpflanzen genüge, um eine effektive und sichere Anwendung zu gewährleisten. In Einzelfällen wird so sicherlich eine erfreulich vielseitige, effektive und kritische Phytotherapie betrieben, insbesondere über individuelle Teerezepturen. Dies wird jedoch für heimische Arzneipflanzen eher die Ausnahmesituation bleiben - im Unterschied etwa zur Anwendung der Phytotherapie der Traditionellen Chinesischen Medizin oder der japanischen Kampo-Medizin im Westen. Diese Form der Therapiekultur gilt es sicherlich auch zu bewahren und die hierzu notwendige und wünschenswerte Forschung zu fördern. Sie wird jedoch eher eine hermeneutische, d.h. auf Quellenstudium denn auf klinischen Studien beruhende bleiben.


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Fertigarzneimittel: Pragmatische Lösung für die Praxis

Die Praxis des heutigen Gesundheitswesens verlangt jedoch in den meisten Situationen eine pragmatischere Variante der Phytotherapie, in der Arzt und Patient in einem begrenzten Zeitraum einen Versuch mit Phytotherapie absprechen und diesen unmittelbar mit hoher Compliance und hohen Sicherheitsstandards umsetzen können. Dies erscheint für viele, bei Weitem nicht für alle klinischen Situationen mit gut erforschten Fertigarzneimitteln möglich. Die Forschung hat hierzu üblicherweise mehrere Fragen zu folgenden Aspekten:

  • Zusammensetzung der Extrakte

  • In-vitro-Effekte wichtiger Inhaltsstoffe

  • Bioverfügbarkeit und Toxizität der Inhaltsstoffe

  • klinische Effekte

  • Kosten-Nutzen-Effektivität


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  • Literatur

  • 1 Forum universitärer Arbeitsgruppen für Naturheilverfahren und Komplementärmedizin. www.uniforum-naturheilkunde.de
  • 2 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Hrsg. Statistics 2011 Die Arzneimittelindustrie in Deutschland. www.vfa.de/embed/statistics-2011.pdf S. 25
  • 3 Akhondzadeh S, Kashani L, Fotouhi A et al. Comparison of Lavandula angustifolia Mill. tincture and imipramine in the treatment of mild to moderate depression: a doubleblind, randomized trial. Prog Neuro-Psychopharmacol Biol Psychiatry 2003; 27: 123-127
  • 4 Saller R, Melzer J, Reichling J. St. John’s Wort (Hypericum perforatum): a plurivalent raw material for traditional and modern therapies. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd 2003; 10 (Suppl. 1) 33-40
  • 5 Paterniti I, Briguglio E, Mazzon E et al. Effects of Hypericum perforatum, in a rodent model of periodontitis. BMC Complement Altern Med 2010; 10: 73
  • 6 Stange R. Johanniskraut - stimmungsaufhellend auch für entzündetes Zahnfleisch?. Z Phytother 2011; 32: 216-217
  • 7 Uehleke B, Schaper S, Dienel A et al. Phase II trial on the effects of Silexan in patients with neurasthenia, posttraumatic stress disorder or somatization disorder. Phytomedicine 2012; accepted [in press]
  • 8 Grünwald J, Stier H, Bruhn S, Goyvaerts B. Rhodiola rosea: ein Adaptogen bei Burn-out. Z Phytother 2011; 32: 161-163