Neuroradiologie Scan 2012; 02(02): 93
DOI: 10.1055/s-0032-1309320
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Multiple Sklerose: Die chronische zerebrospinale venöse Insuffizienz spielt eher keine Rolle in der Pathogenese

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Publication Date:
11 April 2012 (online)

Der chronischen zerebrospinalen venösen Insuffizienz (CCSVI) wurde mehrfach eine pathogenetische Rolle bei der Entstehung der multiplen Sklerose (MS) zugeschrieben. Dem wurde in einer kontrollierten Studie mit der extra- und transkranialen farbkodierten Doppler-Sonografie genauer nachgegangen.

Als zugrunde liegender Mechanismus der CCSV wurde eine zerebrale Eisen-Akkumulation durch Stenose oder Missbildung der V. jugularis interna (VJI) oder der V. azygos (VAZ) angenommen. Auf Basis dieser Annahme wurde in einer Pilotstudie an einem Kollektiv mit MS und sonografischen CCSVI-Kriterien eine perkutane transluminale Angioplastie durchgeführt und diesem Eingriff ausreichende Sicherheit mit Aussicht auf Besserung von Lebensqualität und klinischer Symptomatik bescheinigt.

Im Gegensatz dazu haben aber darauf folgende Studien mittels Sonografie, Phasenkontrast-MRT oder selektiver Venografie weder zervikal noch zerebral abnorme venöse Abflussverhältnisse dokumentieren können. Hinzu kommt, dass der endovaskuläre Eingriff bei 2 Patienten zu schwerwiegenden Komplikationen führte, die bei 1 Patienten letal ausging.

Eine formelle Bewertung der Intra- und Interrater-Reliabilität des neurosonologischen Protokolls zur Bewertung der CCSVI fand jedoch in keiner der Studien statt. Die gegensätzlichen Aussagen und die ungeklärte Reliabilität der Untersucher veranlasste die griechische Arbeitsgruppe um G. Tsivgoulis dazu, eine kontrollierte Studie mit der extra- und transkranialen farbkodierten Doppler-Sonografie durchzuführen. Hiermit sollten die neu entwickelten sonografischen Kriterien zum Nachweis einer CCSVI aus externer Sicht mit Bewertung der Intra- und Interrater-Reliabilität validiert werden. Ferner wurde in sitzender und aufrechter Position unter kurzzeitiger Apnoe mit dem Valsalva-Versuch der Grad des venösen Rückstaus in zervikalen Venen überprüft.

Es wurden prospektiv 42 Patienten (17 Männer im mittleren Alter von 39±11 Jahren) mit gesicherter MS und 43 gesunde Kontrollen (16 Männer, 38±12 Jahre) rekrutiert. In 3 von 5 neurosonologischen Nachweiskriterien für eine CCSVI ergab sich eine gute bis exzellente Übereinstimmung der Intra- und Interrater-Reliabilität (к-Werte 0,82 – 1,00).

Hinweise auf eine Stenose oder fehlenden Doppler-Fluss gab es weder bei den MS-Patienten noch bei den Kontrollen. Ein Rückfluss in der internen Jugularis wurde bei 1 Patienten (2 %) und 1 Kontrollperson (2 %) dokumentiert. Mit dem Valsalva-Versuch ließ sich bei 3 MS-Patienten (7 %) und 4 Kontrollpersonen (9 %) eine unzureichende Klappenfunktion der internen Jugularis nachweisen (p > 0,999).