Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36(01): 4
DOI: 10.1055/s-0032-1310339
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Cochlea-Implantat – Kosteneinsparung durch frühe Implantation

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Publication Date:
21 March 2012 (online)

 

Wenn man bei Kindern kein Hörvermögen mehr feststellen kann, fragt man sich immer schon, wie lange man bis zur Implantation warten sollte. Dabei gibt es Hinweise, dass man "früh" bzw. sogar im 1. Lebensjahr implantieren sollte, zumindest, wenn man sich einer Taubheit ganz sicher ist. Die vorliegende Arbeit unterstützt nun solche Daten der Ergebnisqualität durch ökonomische Daten.
Laryngoscope 2011; 121: 2455–2460

Die meisten wissenschaftlichen Artikel beschäftigen sich mit der Verbesserung von Prozess- und Ergebnisqualität diagnostischer oder therapeutischen Verfahren. Speziell zu Cochlea Implantaten findet man daher viele Arbeiten darüber, ob Kinder damit besser hören, verstehen und sprechen lernen als mit Hörgeräten. Solche Arbeiten tragen immer noch die Hauptlast für oder gegen die Indikation einer Behandlung. Artikel zur Ökonomie einer Behandlung findet man selten oder nur in Journalen mit einem solchen Schwerpunkt.

In der Studie von Coletti et al. wurden retrospektiv die für das Gesundheitswesen, das Erziehungswesen und die Familie bis zum 10. Lebensjahr entstehenden Kosten bei einer "Taubheit" in Abhängigkeit von 4 Implantationsaltersgruppen berechnet. Die Implantationsgruppen waren 2–11 Monate (n=11), 12–23 Monate (n=13), 24–35 Monate (n=19) und 72-83 Monate (n=25). Wichtige Einschlusskriterien waren eine beidseitige "Taubheit" (d.h. fehlendes Resthörvermögen), eine sonstige körperliche und geistige Gesundheit der Kinder und eine monolinguale Erziehung (in italienischer Sprache).

Je früher die Implantation erfolgte, um so höher waren zwar die Kosten für die medizinische Behandlung (einschließlich solcher Banalitäten wie Batterien), doch dies wurde durch Einsparungen bei der Sprachtherapie, beim Bedarf an pädagogischen Einzelförderstunden und bei Folgekosten für die Eltern (z.B. Reisekosten, Abwesenheit vom Arbeitsplatz bzw. unbezahlte Urlaubstage, Zuzahlungen für Hörgeräte, private Nachhilfe) mehr als wett gemacht. Die Gesamtkosten betrugen bei Implantation im Alter 2–11 Monate pro Jahr 13.266 €, im Alter 12–23 Monate pro Jahr 17.719 €, im Jahr 24–35 Monate pro Jahr 20.029 € und im Alter 72–83 Monate pro Jahr 28.042 €.

Fazit

Eine Implantation im 1. Lebensjahr spart, zumindest in Italien mit den dortigen Finanzierungswegen, gegenüber einer Implantation mit 2 Jahren pro Jahr etwa 4500 € und gegenüber einer Implantation mit über 6 Jahren pro Jahr etwa 15.000 € ein. Doch Vorsicht: eine kaufmännische Schlussfolgerung "früher gleich billiger gleich besser" lässt bei Säuglingen das Risiko einer Fehldiagnose außer Acht, die zur Schädigung oder Zerstörung eines vorhandenen (Rest-) Hörvermögens durch eine voreilige Implantation führen könnte. Gerade bei Säuglingen kann eine Taubheit durch eine Erkrankung aus dem Auditorische-Neuropathie-Spektrum oder durch eine zentrale Reifungsverzögerung vorgetäuscht werden. Bei im Säuglingsalter diagnostizierter zentraler Reifungsverzögerung mit dem Phänotyp einer hochgradigen Schwerhörigkeit kann das Hörvermögen jenseits des ersten Lebensjahres völlig normal sein. Deshalb haben die Nutzen-Risiko-Abwägungen für jeden einzelnen Patienten weiterhin Vorrang vor kollektiven ökonomischen Erwägungen. Nil nocere!

Prof. Dr. med. Rainer Schönweiler, Lübeck