Rehabilitation (Stuttg) 2012; 51(03): 200-201
DOI: 10.1055/s-0032-1312663
Bericht
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Quo vadis MBOR? 3. Herbsttagung der Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover am 10.11.2011 in Hannover

Quo vadis MBOR? 3rd Fall Meeting of the Centre for Applied Rehabilitation Research, Department of Rehabilitation Medicine, Hannover Medical School, Nov. 10, 2011 in Hannover
B. Schwarz
1   Department of Rehabilitation Medicine, Centre for Applied Rehabilitation Research, Hannover Medical School
,
M. Bethge
1   Department of Rehabilitation Medicine, Centre for Applied Rehabilitation Research, Hannover Medical School
,
M. Schwarze
1   Department of Rehabilitation Medicine, Centre for Applied Rehabilitation Research, Hannover Medical School
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Publication Date:
11 June 2012 (online)

Am 10. November 2011 richtete die Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, eine gemeinsame Einrichtung der Klinik für Rehabilitationsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, ihre nunmehr 3. Herbsttagung aus.

Die Tagung 2011 widmete sich den Herausforderungen, offenen Fragen und Perspektiven der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation. Dabei wurden die bisherigen Entwicklungslinien und der aktuelle Stand der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (kurz: MBOR) aufgegriffen.

155 Teilnehmende aus Forschung, Praxis und Verwaltung hörten Beiträge von 13 Referenten und Referentinnen. In den Diskussionsrunden im direkten Anschluss an die Vorträge und in den Tagungspausen kam es zum angeregten interdisziplinären Austausch zwischen allen Beteiligten.

Nach der Begrüßung durch Dr. Monika Schwarze, Leiterin der Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, wurde das Vormittagsprogramm durch Jan Miede, stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, eröffnet. Er verwies auf den demografischen Wandel und die damit einhergehenden Herausforderungen für die soziale Sicherung sowie speziell für die Rehabilitation und stellte die stärker erwerbsbezogene Strategie der Deutschen Rentenversicherung in der medizinischen Rehabilitation als notwendige Antwort auf diese Herausforderungen heraus.

Im Anschluss führte Dr. Marco Streibelt, Hauptdezernent der Abteilung Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, in die Thematik ein. MBOR ziele, so Streibelt, auf die „Wiederherstellung beruflicher Leistung im Sinne der Möglichkeit zur erfolgreichen Durchführung einer Handlung unter Realbedingungen“. Diagnostik und Therapie müssten daher auf Einschränkungen in den Aktivitäten einer Person sowie auf deren Beeinträchtigungen in der Teilhabe am Erwerbsleben fokussieren. Entsprechend dem bio-psycho-sozialen Modell der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) seien Aktivitäten und Teilhabe immer durch eine Interaktion von Struktur- oder Funktionsschäden mit umwelt- sowie personbezogenen Kontextfaktoren im Erwerbsleben geprägt. MBOR-Interventionen hätten sich daher möglichst stark an den tatsächlichen erwerbsbezogenen sowohl fördernden als auch hemmenden Kontextbedingungen einer Person zu orientieren. Streibelt zeigte anschließend 3 Phasen der MBOR auf: eine Entwicklungsphase (1992–2000), eine Bewährungs- und Bewertungsphase (2001–2008) sowie eine Konsolidierungsphase (seit 2008), deren bisherigen Höhepunkt das MBOR-Anforderungsprofil (Deutsche Rentenversicherung Bund, 2010) darstelle. Daran anknüpfend ging er auf die Ausgestaltung der MBOR ein und verwies auf noch offene Punkte.

Dr. Matthias Bethge und Betje Schwarz von der Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung stellten in ihrem Vortrag Zwischenergebnisse aus der „MBOR-Management-Studie“ zur Steuerung des Zugangs in die MBOR vor. Die gemeinsame Studie der Medizinischen Hochschule Hannover und der Universität Würzburg evaluiert die derzeit laufende modellhafte Umsetzung des MBOR-Anforderungsprofils durch sechs Rentenversicherungsträger und sieben Rehabilitationseinrichtungen. Schwarz präsentierte Ergebnisse der qualitativen, inhaltsanalytischen Auswertung von Experteninterviews und Fokusgruppen, die bei den Trägern bzw. mit den MBOR-Teams der Kliniken durchgeführt wurden. Sie stellte die verschiedenen Vorgehensweisen bei der Auswahl und Zuweisung von Personen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) vor. Diese unterschieden sich vor allem darin, ob die Steuerung auf Träger- oder Klinikebene vorgenommen wird und ob dabei ein validiertes Screeninginstrument zum Einsatz kommt. Die Träger und Kliniken, so Schwarz weiter, verwendeten zur Bestimmung eines MBOR-Bedarfs teilweise unterschiedliche Kriterien. So wurden vor allem die im MBOR-Anforderungsprofil genannten und in validierten Screeninginstrumenten genutzten Kriterien Arbeitslosigkeit und Rentenantragsbegehren kritisch diskutiert und nur von einigen Befragten als Einschluss-, von anderen als Ausschlusskriterien für eine MBOR gewertet. Alle Befragten rekurrierten jedoch gleichermaßen auf problematische umwelt- und personbezogene Kontextfaktoren, die weder im MBOR-Anforderungsprofil noch in den Screeninginstrumenten explizit Berücksichtigung finden. Bethge präsentierte Zwischenergebnisse der quantitativen Analysen. Er konnte zeigen, dass sowohl Träger- als auch Kliniksteuerung hinreichend sensitiv für die im MBOR-Anforderungsprofil beschriebene Zielgruppe sind. Entscheidend für einen bedarfsadäquaten Zugang sei die Wahl eines screeninggestützten Zugangsverfahrens. Nur bei einem screeninggestützten Zugang unterschieden sich die in der MBOR behandelten Personen deutlich von den in der herkömmlichen orthopädischen Rehabilitation behandelten Personen hinsichtlich relevanter erwerbsbezogener Teilhabeindikatoren (z. B. längere Arbeitsunfähigkeit, ungünstigere Erwerbsprognose, schlechtere Arbeitsfähigkeit).

Dr. Monika Schwarze stellte ebenfalls erste Ergebnisse zu Teilfragestellungen aus der „MBOR-Management-Studie“ vor, wobei sie auf verschiedene MBOR-Konzepte, Herausforderungen bei der Entwicklung, Umsetzung und Verstetigung eines MBOR-Programms sowie auf die zentrale Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit im Rehabilitationsteam einging. Im direkten Anschluss stellte Monika Dorn, Leiterin des psychologischen Dienstes im Rehazentrum Bad Eilsen, exemplarisch das MBOR-Konzept ihrer Klinik vor und berichtete von dessen Umsetzung sowie von der Form und dem Stellenwert der Zusammenarbeit im Rehabilitationsteam.

Das Nachmittagsprogramm wurde durch Grußworte von Prof. Dr. Christoph Gutenbrunner, Direktor der Klinik für Rehabilitationsmedizin der MHH, eingeleitet und von Dr. Inge Ehlebracht-König, Ärztliche Direktorin des Rehazentrums Bad Eilsen, moderiert.

Dr. Torsten Alles vom Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH (iqpr) an der Deutschen Sporthochschule Köln referierte zur anforderungsorientierten Diagnostik in der MBOR. Er betonte deren zentralen Stellenwert für eine hochwertige MBOR und beschrieb mit dem Belastungs-Beanspruchungs-Modell, der kognitiven Stresstheorie und dem ICF-Aktivitätskonzept die theoretische Basis anforderungsorientierter Diagnostik. Anschließend ging er näher auf das Vorgehen und auf Herausforderungen bei Profilvergleichsverfahren ein, unterstrich die Bedeutung eines interdisziplinär verfolgten, mehrdimensionalen Profilvergleichsverfahrens und als grundlegende Voraussetzungen den Zugriff auf aussagekräftige Anforderungsprofile sowie flexibel einsetzbare Assessmentverfahren.

Dr. Martin Holme, Ärztlicher Direktor des Rehazentrums Bad Pyrmont, referierte anschließend über Gruppeninterventionen in der MBOR. Exemplarisch stellte er Zielgruppen sowie Inhalte einzelner Gruppeninterventionen vor.

Stefan Löffler vom Arbeitsbereich Reha-Wissenschaften an der Universität Würzburg sprach zur Dissemination beruflich orientierter Interventionen in der medizinischen Rehabilitation, insbesondere des Arbeitsplatztrainings und der Arbeitstherapie. Hier schloss sich der Vortrag von Gerhard Schnalke, Geschäftsführer des Ambulanten Reha Centrums Braunschweig, an. Er beschrieb die an der Evaluation funktioneller Leistungsfähigkeit (EFL) ausgerichtete Ausgestaltung eines Arbeitsplatztrainings. Auf Grundlage eines Profilvergleichs von Arbeitsanforderungen mit der mittels ausgewählter EFL-Items bewerteten Leistungsfähigkeit werden individuelle, an den Arbeitsanforderungen ausgerichtete Trainingspläne entwickelt, um relevante arbeitsbezogene Bewegungshandlungen zu trainieren. Fallbeispiele von Rehabilitanden aus dem Baugewerbe illustrierten die Umsetzung in der Rehabilitationspraxis.

Danach ging Wolfram Schulz, Geschäftsführer des Therapie-Zentrums Süd der medaktiv reha gmbh, auf die Frage ein, ob MBOR auch im ambulanten Setting funktioniere. Er schilderte eigene Erfahrungen aus seinem Therapie-Zentrum, in dem seit Mai 2011 eine 20-tägige MBOR für Personen mit BBPL vorgehalten wird, und benannte vor allem die engere Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern vor Ort als Vorteil der ambulanten MBOR. Neben der screeninggestützten Auswahl der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden skizzierte Schulz auch die Kernmaßnahmen des vorgehaltenen ambulanten MBOR-Angebots. Zusammenfassend zog Schulz das Fazit, dass eine MBOR im ambulanten Setting sehr gut möglich und darüber hinaus für eine flächendeckende Dissemination unverzichtbar sei.

Den letzten Vortrag der Tagung hielt Jürgen Rodewald, Leiter der Abteilung Rehamanagement und Steuerung der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. Er referierte zum MBOR-Fallmanagement. Anliegen sei es, Personen, die eine MBOR durchlaufen haben, im Bedarfsfall weitergehend bei ihrer Wiedereingliederung ins Erwerbsleben zu unterstützen. Durchgeführt werde das Fallmanagement vom wohnortnahen Reha-Fachberatungsdienst. Die Zuweisung erfolge entweder am Rehabilitationsende über den Sozialdienst direkt aus der MBOR oder aufgrund von Hinweisen aus einer telefonischen Nachbetreuung. Art und Umfang des Fallmanagements variierten z. B. danach, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt und der vorliegende Arbeitsplatz bzw. die zuletzt ausgeübte Tätigkeit leidensgerecht sind.

Die von den Teilnehmenden als erfolgreich bewertete Tagung sprach Herausforderungen und offene Fragen der MBOR an, zeigte aber gleichzeitig Perspektiven für die Zukunft auf. Sie gab wichtige Anregungen für Praxis, Verwaltung und Forschung und setzte ein positives Signal auf dem Weg zu einem flächendeckenden MBOR-Angebot.

Das Programmheft sowie die Vorträge der Tagung stehen unter www.mh-hannover.de/23699.html zum Download bereit.