Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80(8): 429-430
DOI: 10.1055/s-0032-1313111
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zum Gedenken an Gerd Huber

Obituary for Gerd Huber
J. Klosterkötter
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Publication Date:
15 August 2012 (online)

„Psychopathologie und Biologische Psychiatrie“, so lautete der Titel des wissenschaftlichen Symposiums, das die beiden Psychiatrischen Universitätskliniken in Köln und Bonn am 16. Dezember vergangenen Jahres zu Ehren von Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Gerd Huber veranstaltet haben. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand aus dem großen Kreis der wissenschaftlichen Weggefährten, Schüler, Freunde und Interessierten, der aus dem In- und Ausland zur zeitnahen Würdigung seines 90. Geburtstags am 3. Dezember 2011 angereist war, dass man sich zum letzten Mal um den Jubilar versammelte. Noch immer wissenschaftlich tätig und voller zukunftsweisender Pläne und Ideen verstarb Gerd Huber nach kurzer Krankheit am 8. April, dem Ostersonntag 2012.

Die durchweg in sachlich strenger und kenntnisreicher Weise auf sein Lebenswerk bezogenen Beiträge zu diesem letzten Geburtstagssymposium hatten Gerd Huber zunächst als Bewahrer und Erneuerer der Psychopathologie von Karl Jaspers und Kurt Schneider gewürdigt. Sie waren sodann seinem frühen Brückenschlag von der Psychopathologie zur Neurobiologie nachgegangen und hatten die bahnenden und prägenden Auswirkungen der von ihm damals pionierhaft und kämpferisch vertretenen Somatosehypothese auf die weitere Entwicklung der Psychosenforschung durchsichtig gemacht. Von drei jungen Gerd Huber-Preisträgern der Jahre 2009 und 2010 wurde schließlich noch ganz besonders die fundierende Bedeutung des dabei verfolgten Basissymptomkonzepts für die innovative, sich in den letzten 20 Jahren immer stärker entfaltende Forschungsrichtung der Prädiktion und Prävention von Psychosen herausgestellt.

Der akademische Werdegang, der dem am 3. Dezember 1921 in Echterdingen bei Stuttgart geborenen Arztsohn dies alles ermöglichte, begann 1949 in Heidelberg. Damals lernte Gerd Huber nach einigen Studiensemestern der Humanmedizin schon während des 2. Weltkriegs, dem medizinischen Staatsexamen und der Promotion zum Doktor der Medizin seinen ihn von da an im Sinne der „Klinischen Psychopathologie“ nachhaltig prägenden akademischen Lehrer Kurt Schneider kennen, trat als Assistent in die von ihm geleitete Psychiatrische und Neurologische Universitätsklinik Heidelberg ein und nutzte schon gleich das Jahr 1950 für eine ergänzende Ausbildung bei dem seinerzeit führenden Hirnforscher Willibald Scholz an der Vorläufereinrichtung des heutigen Max Planck-Instituts für Psychiatrie in München. 1957 habilitierte er sich bei dem Nachfolger Kurt Schneiders auf dem Heidelberger Lehrstuhl Walter von Baeyer mit einer wegweisenden Schrift über „Pneumencephalographische und psychopathologische Bilder bei endogenen Psychosen“. Von 1955 bis 1962 war er Oberarzt und Leiter der Psychiatrisch-Neurologischen Poliklinik sowie der Neuroradiologischen Abteilung der Universität Heidelberg und ging anschließend nach der Ernennung zum außerplanmäßigen Professor als Klinischer Oberarzt an die von Hans Jörg Weitbrecht geleitete Nervenklinik der Universität Bonn. 1968 nahm er den Ruf auf die ordentliche Professur für Psychiatrie an der Universität Ulm an und war bis 1974 als Direktor des Akademischen Lehrkrankenhauses der Universität, der Psychiatrischen Landeskrankenanstalt Ravensburg/Weißenau tätig. Anschließend folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Hochschule Lübeck und erhielt 1976 weitere Rufe auf die Ordinariate für Psychiatrie an der Technischen Universität München und an der Universität Bonn. 1978 nahm er den Bonner Ruf an und wirkte dort als ordentlicher Professor für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik und Poliklinik bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1987.

Hinter den nüchternen Daten dieses akademischen Werdegangs verbirgt sich eine unermüdliche und leidenschaftliche Forschungstätigkeit von bewundernswerter Konsequenz. Die Anwendung und Fortentwicklung der phänomenologischen Methode in den Heidelberger Jahren hatte erstmals bei den Schizophrenien zur Aufdeckung von bis dahin noch unbekannten, von den Betroffenen selbst wahrgenommenen kognitiv-perzeptiven und dynamischen Defizienzen geführt, die mit „pseudoneurasthenischen“ Symptomen bei definierbaren Hirnerkrankungen vergleichbar waren. Diese dem gesuchten hirnorganischen Substrat offenbar besonders nahe stehenden und deshalb schon früh auf den Begriff der „substratnahen Basissymptome“ gebrachten, von der positiven und negativen Schizophreniesymptomatik klar unterscheidbaren Phänomene schienen präphänomenal auch tatsächlich mit diskreten Veränderungen der inneren Liquorräume des Gehirns zusammenzuhängen [1]. Die Erstbeschreibung der Coenästhetischen Schizophrenie [2], bei der basale Störungen der Leibwahrnehmung vorherrschen und in schizophrenietypische leibliche Beeinflussungserlebnisse übergehen können, wirkte wie eine erste Bestätigung für das sich nunmehr abzeichnende Basissymptomkonzept. Folgerichtig begann Hubers Forschungsgruppe dann nach den ebenfalls schon groß angelegten Heidelberger und Wieslocher Verlaufsuntersuchungen in Bonn mit der Planung einer der größten europäischen Langzeituntersuchungen zur Schizophrenie und setzte dieses Projekt kontinuierlich auch von den nachfolgenden Wirkungsstätten in der Weißenau und Lübeck aus bis hin zu seinem Abschluss wieder an der Bonner Universität um. Die „Bonn-Studie“ hat einen ungemein großen Erkenntnisgewinn zu zahlreichen Fragen der Schizophrenieforschung mit sich gebracht [3]. Das Wichtigste aber für Gerd Huber war, dass die Ergebnisse das inzwischen noch durch die psychologische Basisstörungsforschung von Lilo Süllwold bereicherte Basissymptomkonzept [4] erhärteten und den Nutzen der auch in initialen Prodromen und Vorpostensyndromen schon nachweisbaren Basissymptome für die Prädiktion und Prävention schizophrener Erstepisoden klar erkennen ließen. Der im Kern schon in der „Heidelberger Checklist“ von 1962 enthaltene Phänomenbestand ging 1987 in operationalisierter Form in die „Bonn Scale for the Assessment of Basic Symptoms“ (BSABS) mit ihrer anschließenden Übersetzung in zahlreiche Sprachen [5] und 2007 in deren methodisch verbesserte und auf die psychoseprädiktive Basissymptomatik zugeschnittene Nachfolgeversion, das heute weltweit benutzte „Schizophrenia Proneness-Instrument“ (SPI) ein [6]. Auch die erste sich prospektiv über einen langen Beobachtungszeitraum erstreckende Langzeituntersuchung zur Früherkennung der Schizophrenie, die mit der BSABS durchgeführte „Cologne Early Recognition“(CER)-Studie [7], wurde noch mit Gerd Huber zusammen geplant und gemeinsam mit ihm und Gisela Gross in Bonn begonnen.

Nach der Emeritierung verblieben ihm noch 25 Jahre ungebrochener Schaffenskraft, die bis zuletzt mit wissenschaftlicher Arbeit, der Verbreitung ihrer Ergebnisse im In- und Ausland und ihrer Nutzbarmachung für die Betroffenen und ihre Angehörigen angefüllt waren. Mit 540 Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften, 52 Monografien und Handbuchbeiträgen sowie den bisher 7 Auflagen seines die fachliche Aus- und Weiterbildung in unserem Lande über lange Jahre prägenden Lehrtexts „Psychiatrie“ hinterlässt Gerd Huber ein Werk, wie es nur jemand hervorbringen kann, der sein ganzes Leben mit wissenschaftlicher Arbeit gleichgesetzt hat. Hinzu kommt noch vieles andere mehr, etwa die Begründung und langjährige Leitung international renommierter Veranstaltungsreihen wie des am 14. und 15. Dezember diesen Jahres wieder anstehenden Weißenauer Schizophrenie-Symposiums mit der Verleihung des Kurt Schneider-Wissenschaftspreises, die ausgedehnten internationalen Lehrreisen und Beratungstätigkeiten für den Aufbau psychiatrischer Versorgungssysteme in anderen Ländern oder sein unerschrockener Einsatz gegen den politischen Missbrauch der Psychiatrie. Dementsprechend vielfältig und beeindruckend sind auch die Ehrungen, die seinen herausragenden Leistungen für die psychiatrische Forschung und das Schicksal der psychisch Erkrankten im In- und Ausland zuteil geworden sind. Dies alles ist in ersten Nachrufen bereits zum Ausdruck gekommen und dürfte auch bei weiteren Erinnerungen an Gerd Huber und ihm gewidmeten akademischen Feierstunden noch seine angemessene Würdigung finden.

Über die wahre Bedeutung eines wissenschaftlichen Werkes kann jedoch ungeachtet aller wohlmeinenden Würdigungen immer nur die weitere Entwicklung auf dem betreffenden Wissensgebiet entscheiden. Deshalb lässt es aufhorchen, wenn in der prominentesten amerikanischen Fachzeitschrift in Kürze ein „State-of-the-art-Review“ unter dem Titel „The Psychosis High Risk State – Twenty years later“ erscheinen wird, das alle international führenden Forscherpersönlichkeiten auf diesem Gebiet gemeinsam verfasst und Gerd Huber als maßgeblichem Wegbereiter in Dankbarkeit gewidmet haben [8]. In der Tat wirkt in dieser Forschungsrichtung mit ihrer Nutzung subtiler psychopathologischer Phänomenbeschreibungen und korrelativer Biomarkerbefunde für die Prädiktion und Prävention von Psychosen das Basissymptomkonzept programmatisch und methodisch weiter in die Zukunft hinein fort [9]. Zwar wird man das schon für die Aufnahme in die Neufassung des amerikanischen Diagnosesystems vorgeschlagene „Attenuierte Psychosesyndrom“ vorerst wohl nur in das DSM V-Kapitel III für die zur weiteren Erforschung empfohlenen Diagnosekategorien mit hineinnehmen. Diese Entscheidung ist aber sicher kein Nachteil, weil sie ja immerhin weltweit zu einer intensiven Beschäftigung mit den betroffenen Risikopersonen und ihren Familien aufruft und die Früherkennungszentren zu einer noch besseren Absicherung ihrer Diagnostik- und Therapieangebote zwingt [10].

Gerd Huber jedenfalls, von dem die erste in dem Review berücksichtigte, die neue Forschungsrichtung gewissermaßen eröffnende Publikation stammt [11], hätte diese Entwicklung begrüßt und darin die Chance für eine noch stärkere Orientierung der Risikoidentifikation an den präpsychotischen Basissymptomen gesehen. Viele seiner Publikationen und darunter gerade auch einige der wichtigsten heute wegbereitend wirkenden Arbeiten sind in den „Fortschritten“ erschienen [12] [13] [14]. Mit prägenden Herausgebern der Zeitschrift wie dem früheren Kölner Neurologen und vormaligen Kurt Schneider-Schüler Werner Scheid und seinem ehemaligen Bonner Chef Hans-Jörg Weitbrecht fühlte er sich wissenschaftlich programmatisch sowie auch menschlich eng verbunden und gab auch die weiteren Auflagen der „Klinischen Psychopathologie“ seines Lehrers Schneider immer mit aktualisierenden Kommentaren von ihm und Gisela Gross versehen im Thieme Verlag heraus. Es gab also allen Anlass, dem Verstorbenen ein Editorial in unserer Zeitschrift zu widmen und in dieser Form den Dank für ein großes, die deutsche und internationale Psychiatrie prägendes Lebenswerk von anhaltender und weiter zukunftsweisender Bedeutung zum Ausdruck zu bringen.

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Prof. Dr. Drs. h.c. Gerd Huber †
 
  • Literatur

  • 1 Huber G. Pneumencephalographische und psychopathologische Bilder bei endogenen Psychosen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, H. 79. Heidelberg: Springer; 1957
  • 2 Huber G. Die coenästhetische Schizophrenie. Fortschr Neurol Psychiat 1957; 25: 491-520
  • 3 Huber G, Gross G, Schüttler R. Schizophrenie. Eine verlaufs- und sozialpsychiatrische Langzeitstudie. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, Bd. 21. Heidelberg: Springer; ; 1979 (Reprint 1984)
  • 4 Süllwold L, Huber G. Schizophrenie Basisstörungen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, Bd. 42. Heidelberg: Springer; 1986
  • 5 Gross G, Huber G, Klosterkötter J et al. BSABS, Bonner Skala für die Beurteilung von Basissymptomen – Bonn Scale fort he Assessment of Basic Symptoms. Heidelberg: Springer; 1987
  • 6 Schultze-Lutter F, Addington J, Ruhrmann S et al. Schizophrenia Proneness Instrument – Adultversion (SPI-A). Rome: Giovanni Fioriti; 2007
  • 7 Klosterkötter J, Hellmich M, Steinmeyer EM et al. Diagnosing schizophrenia in the initial prodromal phase. Arch Gen Psychiatry 2001; 58 (02) 158-164
  • 8 Fusar-Poli P, Borgwardt S, Bechdolf A et al. The psychosis high risk state: a comprehensive state of the art review. Arch Gen Psychiatry (in press)
  • 9 Klosterkötter J, Schultze-Lutter F, Bechdolf A et al. Prediction and prevention of schizophrenia: what has been achieved and where to go next?. World Psychiatry 2011; 10: 165-174
  • 10 Ruhrmann S, Schultze-Lutter F, Klosterkötter J. Probably at risk, but certainly ill – advocating the introduction of a psychosis spectrum disorder in DSM-V. Schizophr Res 2010; 120 (01) 23-37
  • 11 Huber G, Gross G. The concept of basic symptoms in schizophrenia and schizoaffective psychosis. Recenti Progr Med 1989; 80: 646-652
  • 12 Huber G. Reine Defektsyndrome und Basisstadien endogener Psychosen. Fortschr Neurol Psychiat 1966; 34: 409-426
  • 13 Huber G. Indizien für die Somatosehypothese bei den Schizophrenien. Fortschr Neurol Psychiat 1976; 44: 77-94
  • 14 Huber G. Prodrome schizophrener Erkrankungen. Fortschr Neurol Psychiat 1995; 63: 131-138