Z Sex Forsch 2012; 25(3): 295-302
DOI: 10.1055/s-0032-1313137
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Publication Date:
24 September 2012 (online)

Dorett Funcke, Petra Thorn, Hrsg. Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern. Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform. Bielefeld: transcript 2010. 494 Seiten, mit graphischen Darstellungen, EUR 32,80

Das vorliegende Buch bietet einen breit gefächerten Überblick zur Situation von gleichgeschlechtlichen Familien und schließt die wesentlichsten Aspekte der Thematik umfassend ein. So werden neben demografischen Fakten medizinische und juristische Möglichkeiten sowie ethische, soziologische und psychologische Gesichtspunkte der gleichgeschlechtlichen Elternschaft beschrieben und diskutiert, Beratungs- und therapeutische Kriterien dargelegt und das Ganze schließlich mit fotografischen Darstellungen illustrierend ergänzt. So bietet das Buch neben theoretischen, analytischen und eher Überblicksarbeiten auch ganz konkrete Beschreibungen der Lebenssituationen von lesbischen Müttern und schwulen Vätern. Insgesamt geben 20 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Bereichen der Wissenschaft und Praxis einen Einblick in ihre Arbeit. Die lesbische Familie ist dabei etwas überrepräsentiert, was allerdings auch dem Forschungsstand zu diesem Thema geschuldet ist.

Zum Auftakt schreiben die Herausgeberinnen „statt einer Einleitung“ eine Reflexion über „Familie und Verwandtschaft zwischen Normativität und Flexibilität“. Dabei beginnen sie mit einem kurzen geschichtlichen Rückblick, eröffnen im Anschluss das breite Feld der verschiedensten Familienkonstellationen und werfen dazugehörige Fragen auf. Gleichzeitig schränken sie das Gebiet wieder ein und besinnen sich auf die Fragestellungen, die im Buch behandelt werden. Dorett Funcke und Petra Thorn liefern einen historischen Hintergrund, indem sie die Entwicklung der bürgerlichen Familie in Westeuropa rekonstruieren. Zudem erläutern sie familiensoziologische Zusammenhänge und betrachten deren Bedeutung für gleichgeschlechtliche Familienkonstellationen. Sie werfen eine Vielzahl spannender Fragen auf, welche nicht nur auf den Inhalt des Buches einstimmen, sondern gleichzeitig den Leser/die Leserin zur Auseinandersetzung mit der Thematik auffordern.

Das Buch ist in acht Bereiche gegliedert, deren Beiträge jeweils eine spezifische Perspektive auf das Thema einnehmen. Im ersten Bereich Demographie berichtet Bernd Eggen vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg über die Verteilung von gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland über die Kinder, die in diesen Konstellationen aufwachsen. Anschließend geben Marina Rupp und Andrea Dürnberger vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg einen Einblick in die Rahmenbedingungen, welche bei gleichgeschlechtlichen Familienkonstellationen vorliegen und wie diese sich auf das Aufwachsen und die Entwicklung der Kinder auswirken. Dabei stützen sie sich auf die Daten der bislang einzigartigen und größten Befragung von homosexuellen Eltern in Deutschland.

Im Abschnitt Medizin stellt Thomas Katzorke reproduktionsmedizinische Behandlungsmöglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch vor. Diese Behandlungsmöglichkeiten sind zum Teil nur hypothetischer Natur, da einige davon durch das Embryonenschutzgesetz in Deutschland direkt verboten und andere auf Empfehlung der Bundesärztekammer nur verheirateten heterosexuellen Paaren vorbehalten sind.

Die juristischen Aspekte werden von Friederike Walper und Nina Dethloff weiter ausgeführt (Recht). Walper stellt die verfassungsrechtlichen Bedingungen für eine (gleichgeschlechtliche) Familiengründung vor und diskutiert vor diesem Hintergrund auch das Kindeswohl. Dethloff skizziert die Rechtslage zunächst für Deutschland vor dem Hintergrund des 2001 in Kraft getretenen Lebenspartnerschaftsgesetzes. Im Anschluss daran widmet sie sich einem Rechtsvergleich und zeichnet die internationalen Entwicklungen und Optionen auf dem Gebiet der gleichgeschlechtlichen Familiengründung nach.

Für den Bereich der Ethik greift Eric Blyth die in England geführte Debatte über die Notwendigkeit eines Vaters für ein Kind auf und erörtert verschiedene Dimensionen der Samenspende. Guido Pennings diskutiert den Streit um das Kindeswohl, welches bei homosexuellen Eltern möglicherweise gefährdet sein könnte, vor dem Hintergrund zweier Schulen normativer ethischer Theorien. Er legt dar, warum die Gegner homosexueller Elternschaft selten durch wissenschaftliche Erkenntnisse überzeugt werden können.

Die psychologische Sicht auf das Thema bieten Lisa und Monika Hermann-Green. Sie beschreiben Familienbildungsprozesse von lesbischen Familien, die mithilfe von Spendersamen Mütter geworden sind. Der Fokus liegt bei Strategien, mit denen lesbische Mütter Elternschaft herstellen. Dazu gehören beispielsweise die Arbeitsteilung untereinander, die Art der Anrede durch das Kind, die Aufklärung des Kindes über seine Herkunft oder die Rolle des Samenspenders. Joanna Scheib und Paul Hastings beginnen die Geschichte der lesbischen Mütter bei der Geschichte der donogenen Insemination bei heterosexuellen Paaren, die eine Geschichte des Schweigens und der Geheimhaltung ist. Der Fokus dieses Beitrags liegt bei der Entwicklung der Kinder, bei familiendynamischen Prozessen sowie bei der Offenheit mit dem Thema den Kindern gegenüber. Auch der Wunsch der Kinder, über die eigene Herkunft Bescheid zu wissen, wird thematisiert. Jedoch fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit vorgegebenen Standards, an denen die kindliche Entwicklung gemessen wird.

Dorett Funcke widmet sich als Soziologin in ihrem Beitrag einem häufig vernachlässigten Thema: der gleichgeschlechtlichen Pflegefamilie. Sie erläutert anschaulich die Arbeitsweise der Jugendämter und stellt auf der Basis eines „familiengeschichtlichen Gesprächs“ die Geschichte einer Pflegefamilie mit zwei Pflegevätern, ihrem Sohn Niklas und dessen leiblicher Mutter vor.

Petra Thorn berichtet aus der Perspektive der Familienberaterin und -therapeutin über die Themen, mit denen lesbische Frauen in ihre Praxis kommen. Das sind u. a. die Legitimationsversuche des Kinderwunschs, die Aufgabe, eine Identität als lesbische Familie zu entwickeln oder die Bedürfnisse der Kinder in lesbischen Familien. Sie betrachtet lesbische Mütter als Pioniere, die kaum Vorbilder haben, oder sich an gesellschaftlich akzeptierten Normen orientieren können. Diese Ausführungen werden in der Arbeit von Valory Mitchell und Robert-Jay Green noch weiter ergänzt; neben der amerikanischen Perspektive auf gleichgeschlechtliche Elternschaft wird auch die Perspektive schwuler Männer auf eine Elternschaft durch künstliche Befruchtung beschrieben. Sie erläutern anhand anschaulicher Beispiele aus ihrer Praxis die Herausforderungen in den verschiedenen Phasen der Elternschaft. Die vorgestellten Paare „illustrieren“ nicht nur die relevanten Themen, sondern liefern auch Beispiele, wie mit Schwierigkeiten umgegangen werden kann. Fiona Tasker und Julia Granville verlassen schließlich die Perspektive der Eltern und stellen mithilfe einer standardisierten und einer freien Technik (Apfelbaumfamilie und kinetischer Familien-Zeichen-Test) dar, wie Kinder von lesbischen Müttern ihre Familien wahrnehmen. Dabei erfassen die Autorinnen, welche Personen von den befragten Kindern als Familienangehörige betrachtet werden. Wie der vorherige Beitrag ist auch dieser nur in der deutschen Übersetzung im Buch abgedruckt. Beim Lesen der Übersetzung löst die konsequente Benennung der Autorinnen als „der Forscher“ und „der Therapeut“ Verwirrung aus.

Für den Bereich der Kunst besprechen Lisa Malich und Christian Pichel anhand der Bilder der Fotografin Verena Jaeckel das Genre der Familienfotografie in seiner politischen Dimension. Dabei streifen sie den kulturhistorischen Hintergrund der Familienfotografie und bedienen sich in ihrer theoretischen Auseinandersetzung u. a. der Ästhetischen Theorie von Theodor W. Adorno sowie der Werke von Judith Butler.

Insgesamt haben es Dorett Funcke und Petra Thorn geschafft, eine sehr umfassende und spannende Lektüre vorzulegen, in welcher die aktuellen Aspekte der Thematik sehr breit aufgearbeitet sind und welche sowohl dem interessierten Laien als auch dem wissenschaftlich Forschenden vielfache Optionen der Auseinandersetzung mit der Thematik und Antworten auf verschiedenste Fragen bieten. Daher ist dem Buch ein breiter Leserkreis zu wünschen.

Evelyn Kleinert, Yve Stöbel-Richter (Leipzig)