physioscience 2012; 8(3): 125-126
DOI: 10.1055/s-0032-1313138
Aus Forschung und Lehre
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Empfehlungen des Gesundheitsforschungsrates zu Forschung in den Gesundheitsfachberufen – Potenziale für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in Deutschland

Research in Health Care Professions – Potential for a Demand-Oriented Health Care in Germany
H. Höppner
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Publication History

13 July 2012

16 July 2012

Publication Date:
17 August 2012 (online)

Ein bedeutender Meilenstein ist gesetzt: Von 2010 – 2012 beschäftigte sich eine durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung einberufene Expertengruppe aus den Gesundheitsfachberufen (GSF) und Gästen (z. B. DFG) mit dem Auftrag, dem Gesundheitsforschungsrat (GFR) ein Konzept zu Forschung durch die GSF vorzulegen. Der Gesundheitsforschungsrat stellt seit 1990 eine wichtige Kommunikations- und Beratungsplattform für die Gesundheitsforschung insgesamt dar. Seine Aufgabe ist die fachliche Beratung des BMBF bei der Weiterentwicklung des Gesundheitsforschungsprogramms. Er formuliert Empfehlungen zu inhaltlichen und strukturellen Perspektiven der Forschungslandschaft [2].

„Verschiedene Gesundheitsfachberufe – insbesondere Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Pflege und Hebammenwesen – befinden sich in einem Prozess der Akademisierung. Daraus ergibt sich die Chance, in diesen Berufsfeldern Forschung auf- und auszubauen und damit Anschluss an internationale Forschungsentwicklungen zu finden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da nur durch gezielte Forschung in den Themengebieten der Gesundheitsfachberufe die gestiegenen Anforderungen in der Versorgung und die wachsenden Ansprüche im Gesundheitssystem erfüllt werden können“ (27. Sitzung des GFR am 03.02.2010 in Berlin).

Der Auftrag des GFR enthielt Fragen nach Prioritäten und Stärken der Forschung in den GSF, dem Gewinn für die Gesundheitsversorgung, nach Aufgabenverteilung zwischen verschiedenen Hochschultypen oder nach Voraussetzungen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, etc.

Jost-Henner von dem Knesebeck [1] und der Projektträger Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) waren vom GFR für die Begleitung der Konzepterstellung eingesetzt. Für die Physiotherapie waren Prof. Dr. Ulrich Smolenski von der Universität Jena und Prof. Dr. Heidi Höppner von der FH Kiel um Mitarbeit gebeten worden. Gemeinsam mit jeweils in der Regel 2 Vertretern der Disziplinen Pflege, Hebammenwesen, Ergotherapie und Logopädie wurde in 6 intensiven Sitzungen ein Entwurf erarbeitet. Diese Vorlage wurde Ende September vorab an weitere Experten der Disziplinen sowie aus der Wissensschaft, Politik bzw. Verwaltung verschickt und am 14.10.2011 präsentiert und diskutiert.

Ziel des Workshops in Berlin war die Verständigung auf Kernaussagen und wesentliche Inhalte des Konzepts sowie dessen Präsentation auf der jährlichen GFR-Sitzung. Der GFR hat das Konzept am 08.12.2011 zur Kenntnis genommen, diskutiert und auf seiner 29. Sitzung Empfehlungen ausgesprochen. Somit wird Forschung in den GFB auch offiziell als bedeutend anerkannt –, die Mehrheit teilte die Bedingungen für den Ausbau und guten Output an Forschung in diesen neuen Feldern. Die Empfehlungen können daher als 1. Schritt einer Akademisierung in den GFB gewertet werden, die nicht nur unter dem Aspekt von Berufsausübung (Bachelor-Programme), sondern auch Wissenschaftsentwicklung (Master- und Promotionsprogrammentwicklung sowie Forschungsinfrastruktur und -finanzierung) zu verstehen und unterstützt zu deuten ist.

Inzwischen ist das Konzept veröffentlicht und über die Homepage des GFR zugänglich [3]. Während der allgemeine Teil in der Physiotherapie zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, gab es zum spezifischen Forschungsbedarf verschiedene Meinungen. Ein Teil (Kap. 2) soll den bisher mit Therapie- und Pflegeforschung nicht befassten Vertretern im GFR den originären Ansatz jeder Disziplin und damit ein Problemlösungspotenzial durch Forschung verdeutlichen. Hierzu verständigte sich die Gruppe auf folgende 3 Aufgabenbereiche, entlang derer die Forschungsperspektiven beispielhaft erläutert wurden:

  • Interventionen bei altersbedingten Veränderungen;

  • Langzeitbehandlung und -versorgung von Menschen mit chronischen Krankheiten;

  • Prävention, Gesundheitsbeeinträchtigungen und Entwicklungseinschränkungen, insbesondere bei Kindern, die unter sozial schwierigen Bedingungen leben und aufwachsen.

Im Gegensatz zu den anderen Disziplinen gab es in der Physiotherapie-Community jedoch Bedenken, die auch über den Workshop am 14.10.2011 hinaus anhielten. Ein Großteil der Anwesenden war mit dem Vorschlag von Prof. Höppner und Dana Loudovici (in Vertretung von Prof. Smolenski) für die Physiotherapie nicht einverstanden. Obwohl es sich hierbei um ein als politisch zu verstehendes Papier handelte, wurde vermutet, dass eine Forschungsagenda vorweggenommen worden sei. Ein klärender Diskurs darüber war leider nicht möglich. Um die Vorlage des gesamten Konzepts, in dem der Beitrag Physiotherapie lediglich 3 Seiten umfasst, aufgrund dieser Uneinigkeit in der Physiotherapie-Community nicht zu gefährden, wurde auf die Ausarbeitungen der Sprecher derjenigen zurück gegriffen, die ihre Bedenken geäußert hatten (Prof. Dr. Christoff Zalpour, Prof. Dr. Christian Grüneberg, Dr. Erwin Scherfer). Eine kollegiale Verständigung über Forschungsprioritäten und spezifische Beiträge aus der Physiotherapie steht in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern (Großbritannien oder der Schweiz) noch aus.

Der vorliegende Beitrag zu Potenzialen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in Deutschland ist somit ein guter Auftakt für die Aushandlung einer – im günstigsten Fall an diese Debatte anknüpfenden – Verständigung über eine Therapieforschungsagenda unter Einbezug spezifischer Perspektiven der Physiotherapiewissenschaft. Einen Auftrag an die Community hat der GFR wie folgt formuliert:

„Der Prozess zur weiteren Entfaltung der Forschung in den Gesundheitsfachberufen setzt eine Verständigung über die strategische und zeitliche Zielsetzung, inhaltliche Prioritäten, methodische und ethische Standards und mögliche Vorgehensschritte voraus. Aufgrund vieler inhaltlicher Überlappungen und gemeinsamer struktureller Herausforderungen begrüßt der GFR eine gemeinsame Herangehensweise der Gesundheitsfachberufe. Die Fortführung des Diskurses zwischen den Gesundheitsfachberufen wird als notwendig angesehen“ [4].