Der Nuklearmediziner 2012; 35(02): 67-68
DOI: 10.1055/s-0032-1314801
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einsatz der SPECT und PET bei neurodegenerativen Erkrankungen

Use of SPECT and PET in Neurodegenerative Diseases
P. T. Meyer
1   Abteilung Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
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12 July 2012 (online)

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P. T. Meyer

Die Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen spielt in der nuklearmedizinischen Routine meist eine nur untergeordnete Rolle. Dies ist erstaunlich, steht doch die große medizinische, gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung neurodegenerativer Erkrankungen gerade in unserer „alternden Gesellschaft“ außer Frage. Zudem sind die nuklearmedizinischen Verfahren überwiegend außerordentlich gut validiert und anderen Zusatzuntersuchungen in ihrer diagnostischen Aussagekraft überlegen. Diese Tatsache wird oft auch unumwunden von zuweisenden Neurodisziplinen anerkannt.

Die Ursachen für diese für die medizinische Versorgung und auch für unser Fach abträgliche Diskrepanz sind vielfältig: Obwohl die Verfügbarkeit und der Bekanntheitsgrad diagnostisch sehr wertvoller Untersuchungen wie [18F]FDG-PET und [123I]FP-CIT-SPECT in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen haben, bestehen unverändert Hindernisse bei der tatsächlichen Anwendung. Genannt seien z. B. die fehlende Kostenerstattung von PET-Untersuchungen im ambulanten Bereich oder überwiegend unzutreffende Annahmen hinsichtlich unverhältnismäßig hoher Untersuchungskosten. Letztere werden so teils gegen „aggressives Zuwarten“ mit Diagnosestellung anhand des klinischen Verlaufs aufgewogen. Dies kann einerseits zu einer schädlichen Unter- als auch Übertherapie führen, andererseits wird den Patienten und ihren Angehörigen in unnötiger Weise die Kenntnis über die Natur und die Prognose der Erkrankung und damit die Möglichkeit einer adäquaten Lebensplanung verwehrt. Diese Ursachen stellen vorrangig gesellschafts- und berufspolitische Herausforderungen dar, die sich im Rahmen einer Ausgabe der Zeitschrift „Der Nuklearmediziner“ nur schwer angehen lassen.

Die vorliegende Ausgabe bietet aber die wertvolle Chance, ursächlichen Wissens- und Erfahrungsdefiziten entgegenzuwirken, welche zum Teil beinahe zwangsläufig aus der aktuell klinisch noch untergeordneten Rolle der Neuronuklearmedizin entstehen. Diese bedingt, dass nuklearmedizinisch tätige Ärztinnen und Ärzte in ihrer Ausbildung und in der täglichen Routine oft nur geringen Kontakt mit neuronuklearmedizinischen Fragestellungen haben, sofern sie sich nicht bewusst dafür interessieren und damit diesen Circulus vitiosus durchbrechen. Abträglich sind ferner teils hartnäckige Missverständnisse und Vorurteile seitens des eigenen Faches und der Zuweiser. Zu nennen sind hier beispielsweise die Unkenntnis der hohen prognostischen und therapeutischen Wertigkeit der korrekten Differenzialdiagnose einer neurodegenerativen Erkrankung oder die Ansicht, dass neuronuklearmedizinische Untersuchungen meist nur zu weichen, nicht aussagekräftigen Befunden führen.

Vor diesem Hintergrund geben die beteiligten Autoren einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zur Diagnostik und auch Therapie bei neurodegenerativen Erkrankungen. Hierbei erfolgte eine Fokussierung auf Demenzen und Parkinson-Syndrome, welche von herausragender klinischer Bedeutung sind. In klinischen Übersichtsarbeiten gehen F. Amtage et al. (S. 93–101) und M. Hüll (S. 69–74) aus der Perspektive des zuweisenden Klinikers auf die klinische Diagnostik des Parkinson-Syndroms und der Demenz ein und stellen heraus, in welchen Situationen ein Beitrag der nuklearmedizinischen Diagnostik zur (Differenzial-)Diagnose erwünscht ist. Während F. Amtage et al. wichtige Aspekte zur Ätiologie, Klinik und Differenzialtherapie (aktuell wie zukünftig) der neurodegenerativen Parkinson-Syndrome vermitteln, die jedem Nuklearmediziner zumindest in Grundzügen bekannt sein sollten, unterstreicht M. Hüll die enorme medizinische, gesellschaftliche und gesundheitsökonomische Bedeutung der verschiedenen Demenzformen, welche uns ein Ansporn sein sollte. Den aktuellen Kenntnisstand zur nuklearmedizinischen Diagnostik, ihres zielgerichteten Einsatzes und ihrer jeweiligen diagnostischen Wertigkeit vermitteln die Kollegen S. Förster und A. Drzezga (S. 75–81), K. Tatsch (S. 102–108) und P. T. Meyer et al. (S. 109–120) in ihren Arbeiten zur konventionellen Diagnostik der Demenzen (Perfusions-SPECT und [18F]FDG-PET), Sicherung der nigrostriatalen Neurodegeneration bei Bewegungsstörungen und Demenzen ([123I]FP-CIT-SPECT) und der Differenzialdiagnose des neurodegenerativen Parkinson-Syndroms ([123I]IBZM- und [123I]FP-CIT-SPECT, [18F]FDG-PET und [123I]MIBG-Szintigrafie). Schließlich geben A. Drzezga und S. Förster (S. 82–92) einen sehr interessanten Überblick über die PET-Bildgebung von β-Amyloid-Ablagerungen, welche erstmals einen nicht-invasiven Positiv-Nachweis eines wahrscheinlich pathologischen Agens und einer somit möglichen therapeutischen Zielstruktur einer neurodegenerativen Erkrankung am lebenden Menschen erlaubt, und dies nach aktuellem Kenntnisstand ggf. Jahre bis wenige Jahrzehnte vor der eigentlichen klinischen Manifestation. Nachdem kürzlich der erste 18F-markierte β-Amyloid-Ligand in den USA zugelassen wurde, ist auch die baldige Zulassung diverser Liganden in der EU zu erwarten. Der tatsächliche klinische Nutzen und damit der Einsatz dieser faszinierenden Methode sind jedoch noch genau zu definieren.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in den vorliegenden Arbeiten bewusst der Bogen von den zugrunde liegenden Pathologien, über die konsekutiv mittels SPECT und PET abzubildenden Zielstrukturen und funktionellen Veränderungen zu den klinischen Manifestationen gespannt wurde. Einerseits ist die Kenntnis der neuropathologischen Veränderungen essenzielle Voraussetzung zum Verständnis der eingesetzten Methoden. Andererseits verdeutlich dies auch, dass hinter der per se nur klinisch zu treffenden Diagnose eines Parkinson-Syndroms bzw. einer Demenz eine Vielfalt neuropathologisch definierter Erkrankungen mit unterschiedlichen therapeutischen Optionen und Prognosen steht. Die nuklearmedizinische Diagnostik kann in vielen klinisch unklaren Fällen helfen, die zugrunde liegende Erkrankung differenzialdiagnostisch einzugrenzen. Hierbei ist der Nachweis einer Pathologie oder eines scheinbar typischen Befundmusters in der Bildgebung aber nicht mit dem Vorliegen einer Diagnose gleichzusetzen. Beispielsweise ist ein positiver β-Amyloid-Scan keinesfalls beweisend für eine (Alzheimer-)Demenz. Auch bestehen sowohl klinisch als auch neuropathologisch innerhalb und zwischen den diversen Parkinson-Syndromen und Demenzen erhebliche Überlappungen. Dieser Umstand ist auf den ersten Blick sicherlich verwirrend und bezüglich einer weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik auch etwas abschreckend. Dennoch war es die Zielsetzung der vorliegenden Arbeiten, dem Leser den gesamten Themenkomplex aus der Sicht der klinischen Zuweiser und erfahrener Neuronuklearmediziner näher zu bringen. Die vorliegenden Arbeiten bieten somit das notwendige Rüstzeug, vor dem Hintergrund einer gegebenen klinischen Fragestellung das optimale nuklearmedizinische Verfahren auszuwählen, die resultierenden Befunde korrekt zur bewerten und mit dem kritischen Zuweiser adäquat zu diskutieren. Hieran ist die Hoffnung geknüpft, dass die Steigerung der Qualität unserer Arbeit und der Abbau von Missverständnissen und Vorurteilen zu einer optimierten Versorgung der Patienten führen.