Transfusionsmedizin 2012; 02(02): 72-73
DOI: 10.1055/s-0032-1315682
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kardiovaskuläre Erkrankungen – Restriktive Transfusions-strategie ist auch bei Hochrisikopatienten sicher

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Publication Date:
31 May 2012 (online)

Der Grenzwert der Hämoglobinkonzentration, der nicht unterschritten werden sollte, wird weiterhin kontrovers diskutiert. Vor allem bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht häufig die Auffassung, dass eine liberale Transfusionsstrategie verfolgt werden sollte, etwa ab einem Hämoglobinwert von 10 g/dl. Ist dieser Wert aber tatsächlich belegbar? Jeffrey Carson und seine Kollegen haben das im Transfusion Trigger Trial for Functional Outcomes in Cardiovascular Patients Undergoing Surgical Hip Fracture Repair (FOCUS) untersucht.
N Engl J Med 2011; 29: 2453–2462

Eine liberale Transfusionsstrategie, bei der Hochrisikopatienten postoperativ ab einer Hämoglobinkonzentration von 10 g/dl Erythrozytenkonzentrate erhielten, hat sich als ebenso günstig erwiesen wie eine Strategie, bei der erst bei einem Hämoglobinwert von 8 g/dl und dem Auftreten von Symptomen einer Anämie nach Maßgabe des behandelnden Arztes transfundiert wurde.

Das ist das Ergebnis der prospektiven, randomisierten, multizentrischen Studie aus den USA und Kanada, die von 2004–2009 insgesamt 2016 Patienten aufgenommen hatte; 1007 wurden der Gruppe mit liberaler Strategie zugewiesen, 1009 der Gruppe mit restriktiver Strategie. Die Studienteilnehmer waren 50 Jahre oder älter (mittleres Alter 81 Jahre), wiesen entweder eine manifeste Herz-Kreislauf-Erkrankung oder entsprechende Risikofaktoren auf und unterzogen sich der operativen Versorgung einer Hüftfraktur. Primäre Endpunkte waren Tod bis Tag 60 postoperativ oder die Unfähigkeit, nach 60 Tagen etwa 3 m ohne Hilfe zu laufen. Sekundäre Endpunkte umfassten z. B. das Auftreten von Myokardinfarkten, akuten Koronarsyndromen (ACS) oder Tod während des stationären Aufenthaltes.

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Ältere Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zur untersuchten Hochrisikogruppe(Symbolbild, Quelle: MEV)

Den Endpunkt erreichten in der Gruppe mit liberaler Strategie 35,2 %, nach restriktiver Transfusionsstrategie waren es 34,7 %. Nach 60 Tagen waren 7,6 (liberale Strategie) bzw. 6,6 % (restriktive Strategie) der Patienten gestorben, ein nicht-signifikanter Unterschied. Auch in Bezug auf Myokardinfarkte, ACS oder Tod in der Klinik fanden sich keine signifikanten Unterschiede (4,3 vs. 5,2 % in der liberalen gegenüber der restriktiven Gruppe). Auch andere Komplikationen, etwa Schlaganfall, Venenthrombosen oder Infektionen, waren in beiden Gruppen ähnlich häufig.

Fazit

Auch bei älteren Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko ist eine zurückhaltende Strategie bei der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten sicher und gut verträglich, so die Autoren. Darüber hinaus wurde mit der restriktiven Strategie eine erhebliche Anzahl von Erythrozytenkonzentraten eingespart: In Anbetracht der zwar minimalen, aber doch noch bestehenden Risiken einer Bluttransfusion, etwa Transfusionsreaktionen oder Übertragung von pathogenen Erregern, scheint dieser Ansatz daher bedenkenswert.

Dr. Elke Ruchalla, Trossingen

Kommentar zu:
N Engl J Med 2011; 29: 2453–2462

Transfundieren oder nicht transfundieren? Täglich werden Kliniker bei anämischen Patienten vor diese Outcome-relevante Frage gestellt und häufig wird – in bester Absicht – immer noch eher liberal für eine Transfusion entschieden. Aus patientenstarken europäischen und US-amerikanischen Studien bei Intensivpatienten wissen wir heute, dass die Transfusion von Fremdblut als unabhängiger Risikofaktor für das Überleben betrachtet werden muss. Am ehesten ist hierfür eine bis dato noch nicht im Detail aufgeklärte Immunmodulation durch Fremdblut verantwortlich zu machen. Auf der anderen Seite wissen wir aus zahlreichen tierexperimentellen und klinischen Untersuchungen, dass der menschliche Organismus nicht auf eine "normale" Hämoglobin (Hb)-Konzentration angewiesen ist, sondern eine Anämie in durchaus beeindruckender Ausprägung problemlos toleriert. Allerdings ist das Ausmaß der individuellen Anämietoleranz abhängig von verschiedenen Rahmenbedingungen – unter anderem der Fähigkeit des Herzens die Anämie durch Steigerung des Herzminutenvolumens adäquat zu kompensieren. In Ermangelung großer prospektiver kontrollierter Studien wird daher bei alten und insbesondere bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten häufig weiterhin an einer liberalen Transfusionstrategie festgehalten.

Die Ergebnisse des 1999 veröffentlichten, prospektiv angelegten TRICC-Trials zeigten, dass selbst schwerstkranke Intensivpatienten nicht auf eine "normale" Hämoglobin-Konzentration angewiesen sind, sondern Hb-Konzentrationen von 7–9 g / dl durchaus tolerieren. Man darf behaupten, dass dieses Ergebnis das Transfusionsverhalten der Intensivmediziner weltweit hin zu einer restriktiveren Strategie verändert hat. In der ebenfalls prospektiv angelegten FOCUS-Studie wird nun mit einem weiteren lange Zeit aufrechterhaltenen Mythos gebrochen: bei alten Patienten nach Hüftendoprothesen-OP zeigt die häufig praktizierte liberale Korrektur einer Anämie durch Transfusion auf Hb-Konzentrationen ≥ 10 g / dl nicht den lange Zeit hypothetisierten benefitären Effekt auf Mobilisation und physische Rehabilitation. Dass es sich bei den untersuchten Patienten darüberhinaus noch um kardiale Risikopatienten handelt, erhöht den Informationsgewinn durch die FOCUS-Studie zusätzlich. Die Überlebensrate der Patienten war durch die restriktive Transfusionsstrategie nicht negativ beeinflusst. Es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse der FOCUS-Studie – in Analogie zum TRICC-Trial – die klinische Transfusionspraxis nach orthopädischen Eingriffen ebenfalls hin zu einer restriktiveren Indikationsstellung verändern werden.

Prof. Dr. Oliver Habler, Frankfurt / Main