Gesundheitswesen 2013; 75(06): e49-e58
DOI: 10.1055/s-0032-1321768
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Identifizierung und Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund für epidemiologische Studien in Deutschland

Identification and Sampling of People with Migration Background for Epidemiological Studies in Germany
K. Reiss
1   AG3 Epidemiologie & International Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
,
N. Makarova
2   Abteilung Prävention und Evaluation, Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung GmbH (BIPS), Universität Bremen
,
J. Spallek
1   AG3 Epidemiologie & International Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
,
H. Zeeb
2   Abteilung Prävention und Evaluation, Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung GmbH (BIPS), Universität Bremen
,
O. Razum
1   AG3 Epidemiologie & International Public Health, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. August 2012 (online)

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Zusammenfassung

Im Jahr 2009 betrug der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland 19,6%. Bisherige Studien deuten auf einen anderen Gesundheitszustand, ein anderes Gesundheitsbewusstsein sowie Gesundheitsverhalten dieser Personengruppe im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund hin. Um gültige Aussagen zur Gesundheitssituation von Migranten zu erhalten, werden epidemiologische Studien benötigt. Epidemiologische Fragestellungen können mithilfe schon bestehender Datenbestände beantwortet werden. In manchen Datenquellen liegen bereits detaillierte Angaben zum Migrationsstatus der Teilnehmer vor. Aus anderen Datenbeständen können Menschen mit Migrationshintergrund anhand von onomastischen oder toponomastischen Verfahren identifiziert werden. Können diese Datenquellen nicht zur Beantwortung der Fragestellung genutzt werden, müssen Menschen mit Migrationshintergrund neu in eine Studie rekrutiert werden. Sie können dabei registerbasiert (z. B. über Einwohnermeldeamtsregister oder Telefonverzeichnisse) oder wohnstandortbasiert (Random-Route- oder Random-Walk-Verfahren), über das Schneeballprinzip (z. B. Schlüsselpersonen) oder direkt über Settings (z. B. Schuleingangsuntersuchungen) rekrutiert werden. Ein Oversampling alleine reicht jedoch nicht aus. Um innerhalb der Stichprobe systematische Verzerrungen durch Nichtteilnahme zu vermeiden, müssen zusätzliche Maßnahmen zur Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft getroffen werden. Eine persönliche Kontaktierung der potentiellen Teilnehmer, mehrsprachige Instrumente, mehrsprachige Interviewer und eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit tragen zur Erhöhung der Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft bei. Empirische Belege für ‚erfolgreiche‘ Rekrutierungsstrategien fehlen bisher in der epidemiologischen und gesundheitswissenschaftlichen Forschung bzw. werden nur unzureichend kommuniziert. Die Wahl der Rekrutierungsstrategie sowie der Maßnahmen zur Erhöhung der Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft sollten sich ganz konkret an den zur Verfügung stehenden Ressourcen, der Fragestellung und vor allem der Zielgruppe, die rekrutiert und befragt werden soll, orientieren.

Abstract

In 2009, 19.6% of the population of Germany either had migrated themselves or were the offspring of people with migration experience. Migrants differ from the autochthonous German population in terms of health status, health awareness and health behaviour. To further investigate the health situation of migrants in Germany, epidemiological studies are needed. Such studies can employ existing databases which provide detailed information on migration status. Otherwise, onomastic or toponomastic procedures can be applied to identify people with migration background. If migrants have to be recruited into an epidemiological study, this can be done register-based (e. g., data from registration offices or telephone lists), based on residential location (random-route or random-walk procedure), via snowball sampling (e. g., through key persons) or via settings (e. g., school entry examination). An oversampling of people with migration background is not sufficient to avoid systematic bias in the sample due to non-participation. Additional measures have to be taken to increase access and raise participation rates. Personal contacting, multilingual instruments, multilingual interviewers and extensive public relations increase access and willingness to participate. Empirical evidence on ‘successful’ recruitment strategies for studies with migrants is still lacking in epidemiology and health sciences in Germany. The choice of the recruitment strategy as well as the measures to raise accessibility and willingness to participate depend on the available resources, the research question and the specific migrant target group.