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DOI: 10.1055/s-0032-1327816
Gynäkologische Psychosomatik. Über die Wurzeln der psychosomatischen Frauenheilkunde in Deutschland[1]
Einige Anmerkungen zu Quellen der psychosomatischen MedizinPublication History
Publication Date:
31 October 2012 (online)


Als Wurzeln der heutigen psychosomatischen Frauenheilkunde, die bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhundert zurückreichen, können die Freudʼsche Psychoanalyse, die Frauenkunde und die Einbeziehung biopsychosozialer Ursachenfaktoren in das Pathogenesekonzept angesehen werden [1].
Auf das Werk Sigmund Freuds kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Als die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG), heute Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), im September 1885 in Straßburg gegründet wurde, erhielt Freud gerade seine Ernennung zum Privatdozenten an der Universität Wien. Die eigentliche Entwicklungsphase der Psychoanalyse lag zwischen 1887 und 1902. Nach mehreren Aufsätzen u. a. zur Traumdeutung widmete sich Freud in den nächsten Jahren dem weiteren Ausbau und der Etablierung seiner Lehre sowie der Begründung einer „Schule“– durchaus gegen Widerstände breiter Fach- und gesellschaftlicher Kreise [2].
Die neue psychoanalytische Denkweise in der Medizin macht sich sowohl in den Veröffentlichungen der ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts als auch bei den einschlägigen Tagungen der Frauenärzte bemerkbar. So befasste sich beispielsweise 1925 die Berliner Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (gegr. 1844) mit dem Thema „Psychotherapie und Frauenkrankheiten“. Einer der Hauptredner war der Freud-Schüler Karl Abraham: „Der heutige Abend ist nicht ohne Bedeutung im medizinischen Leben Berlins. […] Dass es gerade eine Vereinigung von Frauenärzten war, die als erste in Berlin diesen Schritt tat, beruht nicht auf bloßem Zufall, sondern auf der Tatsache eben jener nachbarlichen Beziehungen zwischen unseren Wissensgebieten.“ [3].
Erstmals beschäftigte man sich auf dem 16. Kongress der DGG 1920 in Berlin mit einem psychologisch-psychosomatischen Thema: Wilhelm Liepmann (1878–1939) schlug mit seinem Vortrag über die „Beeinflussung der weiblichen Psyche durch Röntgenstrahlen“, in dem er die Folgen der „Röntgenkastration“ für die betroffenen Frauen darstellte, eine „Brücke zwischen Leib und Seele“. Bei den folgenden Kongressen gab es bis zum Beginn der 1930er-Jahre regelmäßig Beiträge mit psychosomatischem Bezug. Zu nennen sind hier neben Liepmann vor allem August Mayer (1876–1968) und Max Walthard (1867–1933). Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten beendete 1933 den breiten Dialog zwischen der Psychoanalyse, der Inneren Medizin und den anderen Fachgebieten, der in den 1920er- und ersten 1930er-Jahren in Deutschland so fruchtbar begonnen hatte [4]. Dies war die direkte Folge der Vertreibung (und später der Vernichtung) jüdischer Wissenschaftler sowie der ausgesprochen psychologie-feindlichen Einstellung der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Ab 1933 wurden in Deutschland die psychoanalytischen Institute aufgelöst und ab 1938 wurde die Psychoanalyse verboten. Die Weiterentwicklung der psychosomatischen Medizin vollzog sich dann bis nach dem Zweiten Weltkrieg vornehmlich in den USA, dem Land der psychoanalytischen Emigration [5]. [Tab. 1] illustriert diese Entwicklung, indem die Beiträge zu psychosomatischen Themen auf den Kongressen der DGG(G), so wie sie im „Archiv für Gynäkologie“ nachzulesen sind, aufgelistet werden.
1 Stark gekürzte und überarbeitete Version des Beitrags „Anmerkungen zur Geschichte der psychosomatischen Frauenheilkunde in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert“ von M. David, F. Siedentopf, H. Kentenich. In: R. Kreienberg, H. Ludwig, Hrsg. 125 Jahre Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Werte Wissen Wandel. Berlin, Heidelberg: Springer; 2011: 65–80.