Zusammenfassung
Ziel der Studie:
Vielfältige Bemühungen, das Impfverhalten der Bevölkerung in Bezug auf eine Influenzaschutzimpfung zu steigern, erreichen nicht das erwünschte Ziel. In vorliegender Studie wird im Laufe der Influenzasaison 2010/2011 anhand dreier Fragebogenerhebungen untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen Impfverhalten und objektivem Erkrankungsrisiko besteht. Es wird vermutet, dass das Impfverhalten unabhängig vom objektiven Gesundheitsrisiko erfolgt. Außerdem wird aufgrund selbstdefensiver Informationsverarbeitungsmechanismen zum Höhepunkt der Grippewelle, trotz steigendem objektivem Risiko, mit keiner Steigerung des Impfverhaltens gerechnet.
Methode:
Die Fragebogenuntersuchungen wurden zu 3 definierten Zeitpunkten an Nutzern des öffentlichen Bus- und Bahnverkehrs im Stadtgebiet einer süddeutschen Großstadt durchgeführt. Auf diese Weise konnten Änderungen des Impfverhaltens parallel zum objektiv messbaren Erkrankungsrisiko erfasst werden. Die Fragen zur Ermittlung des Impfverhaltens und seiner kausalen Einflussfaktoren beruhen inhaltlich auf dem Health Belief Model. Das objektive Risiko wurde durch den vom Robert Koch Institut ermittelten Praxisindex erfasst. Die Gesamtstichprobe beläuft sich auf 3-mal 178 Teilnehmer und wurde nach Alter und Impfstatus differenziert ausgewertet.
Ergebnisse:
Es zeigt sich, dass das Impfverhalten in allen Gruppen unabhängig vom objektiven Risiko erfolgt. Darüber hinaus lassen sich gruppenspezifische Unterschiede im Verlauf des Impfverhaltens aufdecken, die durch differente Bewertung der geprüften Einflussfaktoren entstehen. Während sich bei Geimpften die sinkende „wahrgenommene Effektivität der Schutzimpfung“ mit der steigenden „wahrgenommenen Gesundheitsbedrohung“ ausgleicht und somit ein konstantes Impfverhalten erzeugt, kommt es bei Ungeimpften zum Höhepunkt der Grippewelle zu einem sinkenden Impfverhalten, maßgeblich verursacht durch das Sinken der „wahrgenommenen Gesundheitsbedrohung“.
Schlussfolgerung:
Während bei Geimpften objektives Erkrankungsrisiko, wahrgenommene Risikoinformation und präventives Verhalten übereinstimmen wird das Erkrankungsrisiko von Ungeimpften im Sinne der selbstdefensiven Informationsverarbeitung verdrängt. Aus den Ergebnissen lassen sich Konsequenzen für zukünftige Impfprojekte ableiten: Eine intensivierte Aufklärung über das Erkrankungsrisiko scheint aufgrund selbstdefensiver Informationsverarbeitungsmechanismen in einer moderaten Influenzasaison nicht zielführend. Vielmehr empfiehlt es sich, durch einheitliche Kommunikation die Komplexität des Entscheidungsproblems zu reduzieren und dem Einzelnen die Wirksamkeit von Präventionsmöglichkeiten zu verdeutlichen.
Abstract
Background:
Every influenza season, vaccination campaigns are launched with the aim to achieve higher vaccination rates. Despite diverse educational work, health behaviour regarding influenza vaccination falls short of expectations. The current study explores the relationship between vaccination behaviour and objective infection risk. The hypothesis is that vaccination is performed independently of the objective infection risk. Even with increasing infection risk, no increase of vaccination rate is expected.
Methods:
Questionnaires were filled in by passengers of public transportation services in a southern German city at 3 defined time points. Changes in vaccination behaviour were recorded in parallel with the objectively measurable risk of disease. The questions to determine vaccination behaviour and its causal impact factors are based on the Health Belief Model. The total sample consisted of 178 participants at each timepoint (n=534).
Results:
Questionnaires were evaluated with regard to age and vaccination status. During the influenza season vaccinated and non-vaccinated participants show differences in risk perception. In vaccinated persons, the “perceived risk of disease” increases, while non-vaccinated participants develop a declining risk perception at the peak of influenza season.
Conclusion:
Vaccination is performed in all groups regardless of the objective risk. The decline in risk perception in non-vaccinated participants might be explained by a defensive mechanism of information processing. Consequently, a strategy of intensified education regarding the risk of disease seems not to be promising in future vaccination projects. Furthermore, it may be more effective to improve the status and importance of vaccination.
Schlüsselwörter Risikowahrnehmung - Gesundheitsverhalten - Impfung - Influenza - Risikokommunikation
Key words risk perception - health behavior - vaccination - influenza - risk communication