PPH 2013; 19(01): 54
DOI: 10.1055/s-0033-1334126
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Buchvorstellung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Recovery

Begegnung auf AugenhöheRezensent(en):
Christoph Müller
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. Januar 2013 (online)

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Die erfrischende Botschaft des Buchs „Recovery in der Praxis“ ist, dass sich das Miteinander zwischen psychiatrie-erfahrenen Menschen und helfenden Menschen ausdrücklich verändert. Sie begegnen sich auf Augenhöhe, die Asymmetrie vergangener Jahre wird immer weniger. Der einzelne Mann und die einzelne Frau stehen im Vordergrund. Dies betonen die Autorinnen und Autoren des Buchs „Recovery in der Praxis“ schon sehr früh: „Recovery betont die Bedeutung der individuellen Lebenswege von Menschen und damit einhergehend die individuelle Festlegung von Zielen. Was man in seinem Leben vor hat, welche persönlichen Ziele man sich gesetzt hat, soll auch während Phasen, in welchen professionelle psychiatrische Hilfe wichtig ist, ein bedeutender Faktor der Unterstützung darstellen.“

Das Buch „Recovery in der Praxis“, das auf einen Kongress zu „Seelischer Gesundheit und Recovery“ im März 2012 in Bern zurückgeht, unterstreicht auf eindrückliche Weise, dass die psychiatrie-erfahrenen Menschen grundsätzlich nicht nur zu den Experten ihrer Erkrankung, sondern auch zu den Experten ihres Lebens gemacht werden müssen, wenn sie es nicht schon sind.

Hilfreich ist während der Lektüre des Buchs, dass nicht nur ein Loblied auf eine scheinbar neue Idee gesungen wird. So kommt beispielsweise auch der Psychiatrie-Kritiker Peter Lehmann zu Wort. Er wünscht sich, dass Recovery nicht als Etikettenschwindel interpretiert wird. Er formuliert, dass der Schwindel möglicherweise bei denjenigen anzusiedeln sei, „die die recovery-behindernden Faktoren ausblenden wollen“. In diesem Kontext thematisiert er Psychopharmaka.

Es ist viel von Hoffnung die Rede, die die psychiatrie-erfahrenen Menschen in sich haben. Patricia Deegan, selber psychiatrie-erfahrene Psychologie-Professorin, definiert zum Beispiel: „Hoffnungsvoll sein bedeutet, voll in der Gegenwart zu stehen und mit der Ungewissheit der Zukunft umgehen zu können … Das Einzige, was wir in echter Absicht tun können, ist mit beiden Beinen in der Gegenwart zu stehen …“ Die Autorinnen und Autoren, die sich trialogisch zusammengefunden haben, scheinen dies auch zu tun. Bodenständig klingen schon die Titel der Beiträge. Bettina Werder und Gianfranco Zuaboni schreiben über den Weg „von der Patientin zum Profi“. David Crepaz-Keay stellt „Selbstmanagementprogramme für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen“ vor. Marianne Farkas macht sich Gedanken über das Thema „Recovery-Orientierung in Institutionen verankern“.

Wie kann Recovery in die Psychiatrische Pflege integriert werden? Diese Frage stellen sich in einem Beitrag Dirk Richter, Thomas Schwarzer und Sabine Hahn. Wenn sie schreiben, beim Üben und Ausprobieren von Alltagsfertigkeiten solle der Beitrag der Psychiatrischen Pflege vor allem eine Unterstützung im Sinne eines Coaching sein, liest sich dies erst einmal unspektakulär. Konkreter und für den einzelnen Pflegenden schwieriger, liest es sich natürlich, wenn sie unterstreichen: „Insofern wird von Psychiatriepflegenden auch Offenheit gegenüber Lebensstilen erwartet, die nicht dem gesellschaftlichen Mainstream entsprechen.“ Von der Psychiatrischen Pflege wird vieles erwartet. Das Buch „Recovery in der Praxis“ gibt unverzichtbare Anstöße, das Miteinander mit psychiatrie-erfahrenen Menschen umzukrempeln.