Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2013; 45(1): 34-36
DOI: 10.1055/s-0033-1334347
Praxis
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Beeinflussung Therapie-assoziierter Neben- wirkungen durch gezielte diätetische Maßnahmen in der Onkologie

Andrea Willeke
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Publication Date:
25 March 2013 (online)

Ernährungstherapie gezielt einsetzen

Onkologische Therapiekonzepte sind aufgrund der Komplexität der Grunderkrankung in ihren Ansätzen, Strategien und Wirkweisen sehr vielfältig. Sie zielen in erster Linie auf ein mittel- und langfristiges Therapieansprechen ab. Im Rahmen der Empfehlung zur antitumoralen Therapie steht deshalb auch zunehmend die Lebensqualität und das Auftreten bzw. das Ausmaß möglicher Therapie-assoziierter Nebenwirkungen. Letztere manifestieren sich unter diätetischen Gesichtspunkten beispielsweise in Form von Appetitstörungen, Beschwerden des Gastrointestinaltraktes, Stoffwechselentgleisungen und Gewichtsverlusten, die häufig mit einer signifikanten Abnahme an Muskelmasse einhergehen. Meist treten sie akut oder zeitlich verzögert nach einer Behandlung auf und halten insbesondere nach aggressiven Therapien oder in der palliativen Therapiesituation mit wiederkehrenden Behandlungsintervallen über lange Zeit an [5]. Nicht selten kommt es gerade bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen auch zu einer Überlagerung Tumor- und Therapie-assoziierter klinischer Beschwerdebilder.

Im Zentrum aller diätetischen Maßnahmen steht der Erhalt bzw. die aktive Stärkung körpereigener Ressourcen. Diese ist nur möglich, wenn der Körper ausreichend Energie und bioaktive Substanzen bzw. Spurenelemente aufnehmen und sinnvoll verstoffwechseln kann. Entsprechend konzentriert sich die Betreuung onkologischer Patienten auf die aktuelle Stoffwechselsituation und den im Rahmen der Erkrankung bzw. der antitumoralen Therapie veränderten Nährstoffbedarf. Besondere Bedeutung hat hierbei eine möglichst ausgewogene, an die klinischen Beschwerden angepasste orale Ernährung. Im Bedarfsfall kann aber auch auf eine bilanzierte Trinknahrung, eine enterale oder parenterale Supplementation zurückgegriffen werden [2].

Die Praxis zeigt, dass sich Tumor- und/oder Therapie-induzierte Beschwerdebilder immer wieder überlappen, wobei sich der Krankheitsverlauf selbst auch wieder jederzeit ändern kann. Hinzu kommt, dass ein stabiler Ernährungszustand nicht nur mithelfen kann, die Verträglichkeit und das Ansprechen medizinischer Therapien zu verbessern, sondern auch toxische Nebenwirkungen zu reduzieren [3]. Idealerweise sollte deshalb die diätetische Betreuung in einer möglichst frühen Erkrankungs- bzw. Therapiephase beginnen und durch erfahrene Diätassistentinnen oder Ökotrophologinnen erfolgen.

Das wichtigste Kriterium für einen erfolgreichen Verlauf der Ernährungstherapie zur Unterstützung onkologischer Behandlungsstrategien ist das frühzeitige Erkennen ernährungsrelevanter Beschwerdebilder. Entsprechend sollten aus diätetischer Sicht möglichst noch vor Beginn, mindestens jedoch ab Beginn der Therapie ernährungstherapeutisch relevante Daten regelmäßig erfasst, ausgewertet und mit in die medizinische Behandlungsplanung aufgenommen werden. Dem behandelnden Onkologen bzw. dem Therapieteam kommt hierbei eine zentrale Stellung zu, da hier alle wesentlichen Informationen zum Erkrankungs- und Therapieverlauf zusammenlaufen und ausgewertet werden.

Zur Erfassung ernährungstherapeutisch relevanter Daten gibt es bereits etablierte Fragebögen. Sie erlauben dem Therapeuten einen ersten orientierenden Überblick zum aktuellen Ernährungsstatus des Patienten (www.dgem.de). Zeigen sich hierbei Auffälligkeiten, ist eine ausführliche Anamnese und Diagnostik als Grundlage für mögliche diätetische Interventionen indiziert. Neben einer allgemeinen Einschätzung des Gesundheitszustandes, beispielsweise mit Hilfe des WHO-Status, stehen folgende Fragen im Mittelpunkt [6]:

  1. Um welche Tumorentitäten handelt es sich? Liegen beispielsweise Tumoren des Gastrointestinaltraktes, Tumoren mit neuroendokriner Aktivität oder neoplastische Veränderungen des hämatopoetischen Systems vor?

  2. Wie ist der aktuelle Erkrankungsstatus? Gibt es z. B. Hinweise auf Tumorprogress, eine tumorkachektische Stoffwechselsituation oder immunologische Defizite?

  3. Welche Medikamente werden aktuell eingesetzt, welche Nebenwirkungen sind zu erwarten? Gibt es beispielsweise Wechselwirkungen zwischen Medikamentenwirkstoffen mit Lebensmittelinhaltsstoffen?

  4. Gibt es diätetisch relevante Vorerkrankungen wie z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Kurzdarmsyndrom, Diabetes, Allergien gegenüber Nahrungsmittelinhaltsstoffen?

  5. Welche Stoffwechsellage liegt vor? Wichtig ist hierbei die Bewertung der gastrointestinalen Funktionalität und der Stoffwechsellage. Gibt es beispielsweise Hinweise auf Gewichtsverlust, Verlust an Muskelmasse, Malabsorption oder Maldigestion? Wie war bzw. ist der Kalorien- oder Nährstoffbedarf?

Tumorpatienten klagen häufig über mangelnden Appetit, intermittierende oder anhaltende Übelkeit mit oder ohne Erbrechen, Diarrhö, Obstipation, Mukositis, unkontrollierbaren Gewichtsverlust, Verlust an Muskelmasse etc. Während die klinischen Beschwerden bei Patienten in der adjuvanten Therapiesituation in aller Regel mit der Therapie assoziiert sind, ist bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren, allen voran bei bösartigen Neoplasien des Gastrointestinaltraktes, der Bauchspeicheldrüse, der Gallenwege, der Ovarien etc. immer auch eine Beeinflussung des diätetischen Status durch Tumor-assoziierte Probleme zu berücksichtigen.

Patienten nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation leiden ebenfalls unter den bereits genannten diätetischen Beschwerdebildern, entwickeln aber aufgrund des aggressiven therapeutischen Vorgehens bzw. der Abwehrreaktion von Spenderzellen gegenüber körpereigenem Gewebe darüber hinaus verschiedenste Erkrankungsbilder wie beispielsweise das Sicca-Syndrom, Diabetes mellitus, Osteoporose, Fehlregulationen des Fettstoffwechsels, sekundäre Laktoseintoleranz.

 
  • Literatur

  • 1 Berman E, Nicolaides M, Maki RG et al Altered bone and mineral metabolism in patients receiving imatinib therapy. N Engl J Med 2006; 354: 2006-2006
  • 2 Beuth J. Grundlagen der Komplementäronkologie – Theorie und Praxis. Stuttgart: Hippokrates; 2002
  • 3 Ravasco P, Monteiro-Grillo I, Vidal PM, Camino ME. Dietary Counseling Improves Patient Outcomes: A Prospective, Randomized, Controlled Trial in Colorectal Cancer Patients Undergoing Radiotherapy. J Clin Oncol 2005; 23(7): 1431-1431
  • 4 Schuster N. Grapefruit – Neuer Interaktionsmechanismus entdeckt. Pharmazeutische Zeitung 35/2008; Zugriff am 12.02. 2013 www.pharmazeutische-zeitung.de/
  • 5 Seegenschmiedt MH, Müller RP, Höffken K, Junginger T, Sauer H. Common Toxicity Criteria (CTC) Dokumentation von Nebenwirkungen in der Onkologie. Dtsch Ärztebl 1999; 96: 489-489
  • 6 Zürcher G, Gola U, Biesalski HK. Ernährungsstrategien bei Tumorpatienten – Unterversorgung erkennen und behandeln. Im Fokus Onkologie 2006; 12: 66-66