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DOI: 10.1055/s-0033-1344353
Schnelles Denken und langsames Denken
Publication History
Publication Date:
01 September 2013 (online)
Zunehmende Verfügbarkeit von Informationen, Zunahme der Globalisierung und steigender ökonomischer Druck lassen unsere Welt immer schneller drehen, auch in der Medizin. Das führt nicht selten zu schnellen Entscheidungen, die vermeintlich richtig sind, da die Argumente doch offensichtlich klar vorliegen und demnach die Logik das richtige Handeln einfordert. Doch nicht alles, was zunächst einfach zu beantworten scheint, stellt sich bei sorgfältiger Überprüfung als richtig heraus und die Dinge müssen neu sortiert werden.
Für einfache Sachverhalte ist die schnelle Antwort häufig die richtige, aber gerade in der Medizin sind die Bedingungen oft so komplex, dass sie eben nicht schnell beantwortet werden können.
In seinem vor Kurzem veröffentlichten Buch „Thinking, Fast and Slow“ diskutiert Daniel Kahneman seine Arbeiten und Ergebnisse bei der Analyse ökonomischer Verhaltensweisen. Im Jahr 2002 erhielt er für diese Analysen den Wirtschafts-Nobelpreis. In seinem Buch erklärt Kahneman, wie wir alle, auch der erfolgreichste Ökonom, dem Fehler des schnellen Denkens unterliegen. Schnelles Denken ist automatisch, intuitiv, einfach, emotional, voreingenommen und bestimmt letztlich unsere täglichen Entscheidungsprozesse. Im Vergleich dazu ist langsames Denken nachdenklich, analytisch und … anstrengend. Schnelles Denken funktioniert prima und beeindruckend bei einfachen Fragestellungen, und je schneller die Antwort kommt, desto mehr Applaus ist dem Antwortgeber gewiss. Werden die Fragen aber komplexer, hilft schnelles Denken nicht und daraus resultierende Antworten können gewaltig und gefährlich in die Irre führen. Um komplexe Fragen in der Medizin zu beantworten, haben sich verschiedene Methoden etabliert. Um z. B. klinische Therapiefragen zu beantworten, werden kontrollierte, randomisierte Studien durchgeführt – sozusagen als ein praktisches Modell des langsamen Denkens.
Welche unterschiedlichen Antworten schnelles und langsames Denken in der Medizin liefern können, musste die interventionelle Neuroradiologie in den letzten Jahren an einigen Beispielen schmerzhaft erleben. Es schien einfach und schnell zu beantworten zu sein, dass bei der Karotisstenose die endovaskuläre Therapie der Operation überlegen ist. Es schien klar zu sein, dass symptomatische intrakranielle Stenosen endovaskulär behandelt werden müssen. Es schien leicht zu beweisen zu sein, dass die endovaskuläre Therapie beim akuten großen Schlaganfall gegenüber der intravenösen Thrombolyse Vorteile hat.
Alle dazu durchgeführten Studien haben aber nicht die erwarteten und erhofften Antworten geliefert, z. T. die Antworten des initialen, des schnellen Denkens sogar widerlegt. Nun können sicher methodische Fehler bei einzelnen Studien diskutiert werden. Am Ende bleibt aber das Resultat, dass vieles in der Medizin nicht schnell, sondern nur langsam, also analytisch beantwortet werden kann und darf.
Die Teilnahme an solchen Studien ist dabei wie das langsame Denken – in der Regel anstrengend. Wenn wir aber neue Fragen richtig und überzeugend beantworten wollen, müssen wir uns daran beteiligen. Nur so finden wir die richtigen Antworten, nur so können Methoden richtig weiter entwickelt werden und nützen am Ende denen, für die sie entwickelt werden – unseren Patienten. Dieser Algorithmus lässt sich dabei von den differenzial-therapeutischen Diskussionen ganz zwanglos auch auf differenzial-diagnostische Fragen übertragen. Auch hier bedeutet nicht zwanglos jede Neu-Entwicklung (z. B. PET-MRT), dass wir mit schnellen Antworten die richtigen Antworten liefern. Auch hier sind wissenschaftlich fundierte Studien einzufordern, also langsames Denken, um die richtigen Antworten zu finden. Über Mangel an Aufgaben für die Zukunft kann sich also die akademische Radiologie nicht beklagen.
Olav Jansen, Kiel