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DOI: 10.1055/s-0033-1349582
Moralische Appelle zur Organspende sind Gift für das Vertrauen
Moral appeals to donate organs undermine trustPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
18. September 2013 (online)
„Wir brauchen Organe und kein Misstrauen“, so titelte das Ärzteblatt Baden-Württemberg im August 2013. In der Tat hat die Bevölkerung sehr sensibel auf die bekannt gewordenen Fälschungsskandale in der Transplantationsmedizin reagiert, und das ist auch verständlich. Aber Vertrauen lässt sich nicht allein durch Kontrollen generieren. Vertrauen bedeutet, dass man bereit ist, gute Motive zu unterstellen, und zwar selbst dann, wenn man diese weder nachweisen noch garantieren kann. Daher richtet sich Vertrauen nicht bloß auf das Verhalten, sondern vor allen Dingen auf die Grundhaltung, die Persönlichkeit und den alltäglichen Umgang. Vertrauen erweckend ist der Umgang dann, wenn die Bevölkerung das Gefühl bekommt, dass ihre Fragen, Sorgen und Befürchtungen ernst genommen werden.
Die Spendenbereitschaft war ja trotz des eindeutig guten Zwecks immer schon niedrig gewesen. Daher ist überhaupt das neue Transplantations-Gesetz auf den Weg gebracht worden. Die Vertrauenskrise ist jetzt zwar verschärft worden, doch sie war vorher schon da. Hinter dem Nicht-Ausfüllen des Organspendeausweises verbarg sich schon vorher bei vielen Menschen eine Grundhaltung des Zögerns, des Zweifelns, der Unsicherheit. Nun hat man versucht, diese durch moralische Appelle abzufangen – Gift für das Vertrauensverhältnis. Ein moralisierender Appell zur Spende signalisiert, dass man ein schlechtes Gewissen bekommen soll, wenn man nicht spendet, dass es gar nicht um die persönliche Entscheidung geht, weil der moralische Appell bereits vorwegnimmt, welche Entscheidung die „richtige“ ist. Statt dieser moralisierenden Appelle sollte mit dem zaudernden Menschen gesprochen werden, um zu klären, worin seine Unsicherheit besteht und wie man sie gegebenenfalls abbauen kann.
Die Vorführung von Menschen, denen es schlecht geht und denen mit einer Spende geholfen werden kann, erzeugt zwar Betroffenheit, kann aber den inneren Konflikt nicht lösen und führt allenfalls zu einer „Übertölpelung“, nicht aber zu einer innerlich gereiften Entscheidung. Dies beginnt schon mit den verwendeten Begrifflichkeiten. Es wird immer wieder betont, dass diese Kranken deswegen sterben müssen, weil nicht genügend Spender da sind. Aber schon diese stilisierte Kausalität ist sachlich falsch. Die Menschen sterben nicht an fehlenden Organen, sondern an ihrer Grundkrankheit. Das ist ein großer Unterschied. Und wenn man eine solche Kausalität herstellt, so bedeutet das nichts anderes, als dass das Spenden eines Organs implizit erwartet wird und es Normalität sein müsse, zu spenden. Daher spricht man immer wieder von einer zu niedrigen Spendebereitschaft. Ab wann aber kann man überhaupt von einer zu niedrigen Spendebereitschaft sprechen? Kann es eine solche überhaupt geben? Ist nicht schon der Ausdruck verräterisch, weil er damit im Grunde ja sagt, dass die Spende keineswegs etwas ganz Persönliches bleiben soll, sondern vielmehr einer moralischen Verpflichtung gleichkommt?
Und mehr noch: Man spricht von einer Organ-„spende“ und bringt mit diesem Begriff eigentlich zum Ausdruck, dass die Spende eben nichts anderes sein kann als eine Gabe, ein Geschenk. Wie aber kann die Spende ein Geschenk sein, wenn von einem „Bedarf“ an Organen gesprochen wird? Kann es einen Bedarf an Geschenken geben? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Die Art der Debatte zeigt, dass die Politik und die Medizin den Geschenkcharakter der Spende eigentlich aufheben wollen. Eine Spende ist immer etwas Besonderes, etwas Außerordentliches, weil Geschenke nichts Normales sein dürfen. Wenn man nun aber die Spende zum Regelfall und zur Selbstverständlichkeit machen möchte, dann verlässt man den Bereich der Spende und tritt ein in den Bereich der Bürgerpflicht.
Die Transplantationsmedizin verspielt ihr Potenzial, wenn sie mit versteckten moralischen Appellen Bürgern ein schlechtes Gewissen einimpft, ohne mit ihnen über die tiefer sitzenden Ängste offen zu sprechen. In den Debatten um die Organspende überwog bislang immer die Perspektive der Empfänger – die Perspektive der Spender wurde viel zu oft vernachlässigt. Daher ist es Auftrag der Transplantationsmedizin, offen darüber zu sprechen, was es für den Spender bedeutet, wenn er spendet: Dass der Betroffene auf einen friedlichen Abschluss seines Sterbens verzichten muss, dass er darauf verzichten muss, dass seine Angehörigen in einer Atmosphäre der Ruhe von ihm Abschied nehmen, dass er am Ende an Maschinen angeschlossen und beatmet wird, Medikamente erhält – und zwar nicht weil dies gut für ihn ist, sondern weil nur so seine Organe verwertet werden können. Das Spenden eines Organs ist mit einem Verzicht, einem Opfer verbunden, zu dem man sich freiwillig bereiterklären kann, über das jedoch kaum gesprochen wird, da man Angst hat, dass das Aussprechen dieser Wahrheiten die Spendebereitschaft minimieren würde. Damit unterschätzt die Medizin aber die altruistische Einstellung vieler Menschen, die durchaus bereit wären, diese Opfer auf sich zu nehmen, die aber ernst genommen, ehrlich aufgeklärt und nicht beschwichtigt werden möchten.
Über noch etwas muss die Medizin offen sprechen: den Hirntod. Die Medizin muss von sich aus darauf hinweisen, dass hirntote Menschen wohl definitorisch tot sind und sich definitiv in einem unumkehrbaren Prozess befinden, dass sie aber lebensweltlich eben nicht als Tote wahrgenommen werden können. Gerade die Medizin muss den Menschen helfen, mit dieser Dissonanz zwischen naturwissenschaftlicher Definition und lebensweltlicher Wahrnehmung umzugehen. Und man muss verdeutlichen, dass man sich auch und gerade für den Hirntoten verantwortlich fühlt, dass man ihm Respekt entgegenbringen und ihn nie zur verfügbaren Sache erklären wird.
Ausschlaggebend für ein Vertrauensverhältnis wird es sein, dass die Ärzte, die an den Gesprächen und der Operation beteiligt sind, immer auch als Ärzte in Erscheinung treten – und Arztsein heißt, einem helfenden Beruf nachzugehen. Jeder Arzt in der Transplantationsmedizin möchte nichts anderes als helfen. Aber diese Hilfe wird zu oft einseitig verstanden. Sie richtet sich eben nicht nur an den Organempfänger, sie muss in gleicher Weise dem Organspender und seinen Angehörigen gelten. Denn hier scheint mir ein wichtiger Grund für das subtile Misstrauen zu liegen: Viele Betroffene, die Angehörige von Organspendern waren, berichten, wie wenig man sich um sie gekümmert habe, nachdem sie ihre Einwilligung gegeben hatten. Und diese Angehörigen sind es, die dann die Transplantationsmedizin in unguter Erinnerung behalten. Die Angehörigen haben existenzielle Bedürfnisse und Sorgen, die den Notwendigkeiten einer effektiven Explantation scheinbar im Wege stehen, aber man muss diese Bedürfnisse ernst nehmen, wenn man Vertrauen gewinnen will.
Ärzte dürfen nicht nur als „Sachwalter der Organe“ in Erscheinung treten – sie müssen zugleich Begleiter der Angehörigen sein, die ein Bedürfnis danach haben, Abschied zu nehmen von ihrem hirntoten Nahestehenden. Sie stehen dem Hirntoten nahe, auch wenn er hirntot und zum Organspender geworden ist. Es ist schwer, von einem Menschen Abschied zu nehmen, ohne dass sein Totsein sich an seinem Körper manifestiert. Es ist wichtig, die Angehörigen auf diese Diskrepanz zwischen Phänomenologie und definitorischer Todesfeststellung vorzubereiten, damit sie lernen, trotz der Wahrnehmung von Lebendigkeit, sich von ihrem Angehörigen zu verabschieden. Wenn man die Angehörigen auf diese Situation nicht hinreichend vorbereitet, dann bleibt sie traumatisch in Erinnerung und hinterlässt auf diese Weise ungute Gefühle, die dem Vertrauensverhältnis nicht förderlich sind. Vertrauen kann nur entstehen, wenn man die Angehörigen empathisch unterstützt und sie nicht das Gefühl bekommen, als bloße „Einwilligungsgeber“ benutzt worden zu sein.
Im Interesse einer vertrauenswürdigen Medizin müssen Aufklärungsgespräche mit den Angehörigen so gestaltet werden, dass die Entscheidung zur Organspende auf keinen Fall von Angehörigen später bereut wird. Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass die Autoren Schaub et al. (DOI: 10.1055/s-0033-1349554) auf die Bedeutung der Gespräche mit den Angehörigen verweisen und mit Recht darauf abzielen, dass jedes Moralisieren der Spende, und sei sie noch so implizit, absolut fehl am Platz ist.
So paradox es klingen mag: Aber auch für den Spender ist die Entscheidung zur Organspende eine lebensentscheidende Angelegenheit. Diese muss stets als eine höchstpersönliche angesehen werden, die gerade nicht durch Werbekampagnen motiviert werden darf. Die Werbung verfolgt einen bestimmten Zweck und ist dadurch per se manipulativ. Daher ist unter dem Aspekt des Vertrauens die Werbung in eklatanter Weise kontraproduktiv.
All diese versteckten Appelle an die Mitmenschlichkeit und mitleidheischenden Bilder in den Werbebroschüren irritieren weite Teile der Bevölkerung nur, weil sie den Verdacht aufkommen lassen, als sollte mit der Werbung etwas kaschiert werden. Das Problem der Werbung liegt in ihrer bewussten Komplexitätsreduktion. Die Werbung macht die Realität einfacher, als sie ist. Sie suggeriert, es wäre eine Bagatelle und eine Selbstverständlichkeit, sich für die Spende zu entscheiden. Gerade diese Suggestion läuft aber den Intuitionen der Bürger zuwider und schreckt sie zu Recht ab. Daher muss neu ins Bewusstsein gebracht werden, dass die Transplantationsmedizin von sich aus so ein hehres Ziel verfolgt, dass sie es nicht verdient hat, dass man Werbeslogans um sie schnürt.