Zeitschrift für Palliativmedizin 2013; 14(4): 133-134
DOI: 10.1055/s-0033-1352601
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Liebe Leserinnen und Leser,

Oliver Tolmein
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Publication Date:
30 July 2013 (online)

in den Beratungen für das Patientenrechtegesetz haben Fragen der Palliativmedizin keine nennenswerte Rolle gespielt. Während die Debatte über das 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz (das die Patientenverfügung geregelt hat) unter der – damals allerdings kaum konkretisierten – Leitidee geführt, man müsse ein „Sterben in Würde“ ermöglichen, ist die Debatte um das Patientenrechtegesetz auf Arzthaftungsfälle fokussiert. Und auch jetzt, nachdem das von vielen Seiten gescholtene Gesetz verabschiedet worden und in Kraft getreten ist, wird selten erörtert, was Palliativpatienten von dem neuen Regelwerk haben könnten und müssten. Grundsätzlich ist es natürlich auch für Sterbende und Schwerkranke ohne Aussicht auf Heilung von Bedeutung, zügig in die Behandlungsakten Einsicht nehmen zu können und auch für palliativ ausgerichtete Behandlungen spielen die Anforderungen an die Aufklärung durch Ärzte für die Einwilligung eine wichtige Rolle. Zudem ist es gerade für Patienten in der letzten Lebensphase besonders wichtig, dass ihre Rechte klar und auf schnelle, zuverlässige Umsetzung hin formuliert sind. Denn Schwerkranke oder Sterbende haben weder Zeit, noch verfügen sie über die physischen und psychischen Ressourcen um langwierige rechtliche Auseinandersetzungen führen zu können. Wenn Patienten ihrem Arzt mit Anzeige drohen müssen, um eine effiziente Schmerztherapie zu erhalten oder wenn sie gegen die Krankenkasse klagen müssen, um einen Platz im stationären Hospiz zu erhalten, heißt das in der Praxis: Entweder sie beißen die Zähne zusammen und erdulden die Schmerzen oder sie suchen sich einen anderen Arzt – statt ins Hospiz ziehen sie in ein Altenpflegeheim. Und wie sie ihren gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf eine SAPV-Behandlung durchsetzen sollen, wenn es insbesondere auf dem Land und in den kleinen Städten viel zu wenige Pflegedienste und Ärzte gibt, die entsprechende Verträge mit den Krankenkassen haben, wissen sie ohnehin nicht.

Alleine schon diese Beispiele unterstreichen, dass für palliativ behandelte Schwerkranke und Sterbende nicht ihre Rechte im Vordergrund stehen, die sie in Verfahren um die ärztliche Haftung bei Behandlungsfehlern stärken. Auch wenn es – wie sollte es anders sein – auch in der Palliativmedizin Fehldiagnosen und Behandlungsfehler gibt, sind Fragen der Beweislastverteilung gegenüber dem Problem, wie gegen Defizite in der Versorgungsstruktur vorgegangen werden kann, zweitrangig (keineswegs bedeutungslos). Für Patienten, die palliative Leistungen nutzen wollen, zählt in stärkerem Maße als für viele andere Patienten, dass sie ihre Ansprüche gegen die Krankenkassen als Leistungsträger überhaupt geltend machen können und dass es dann Ärzte und Palliativteams gibt, die die Leistungen auch erbringen. Haben Patienten, weil bei ambulant erbrachten Leistungen Ärzte oftmals nicht vor Ort sein (können), ein Recht darauf, dass auch eine qualifizierte Pflegekraft einen Port punktieren darf? Solche Regelungen liegen dem Patientenrechtegesetz fern. So wie es auch zu den Problemen schweigt, die bei Erkrankungen und Behinderungen auftauchen, für die Standardtherapien nicht zur Verfügung stehen.

Immerhin: Eine Vorschrift im neuen Patientenrechtegesetz trägt, auch wenn es so wahrscheinlich nicht gemeint war, in besonderem Maße den Bedürfnissen von Patienten Rechnung, die nicht mehr viel Zeit haben, sich auf langwierige Auseinandersetzungen mit ihrer Krankenkasse einzulassen. Im neu eingeführten § 13 Abs 3 a SGB V zwingt der Gesetzgeber die Krankenkassen, über Leistungsanträge ihrer Versicherten zügig zu entscheiden: Drei Wochen Frist nach Eingang des Antrags sind die neue Regel; hält die Krankenkasse ein Gutachten des MDK für erforderlich, kommen zwei Wochen dazu. Kann die Krankenkasse mit guten Gründen nicht innerhalb dieser Zeitspanne entscheiden, muss sie das ihrem Mitglied mitteilen. Sie muss auch die Gründe nennen. Geschieht das nicht, gilt die Leistung nach dem neuen Gesetz als genehmigt. Die Versicherten dürfen sich die erforderliche Leistung selbst beschaffen, die Krankenkasse muss die Kosten erstatten. Dabei kann es sich um ein besonderes Hilfsmittel handeln, um ein Off-Label-Medikament oder auch um Krankengymnastik oder Massagen. Die Vorschrift ähnelt der Richtlinie über Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung, welche der Gemeinsame Bundesausschuss in § 8 festgeschrieben hat: Dort werden die Kassen verpflichtet, verordnete und erbrachte Leistungen entsprechend der vereinbarten Regelungen zu vergüten, bis zu einer Entscheidung über die weitere Leistungserbringung. So werden die Krankenkassen gedrängt, zügig zu entscheiden. Eine Gewähr für eine rechtmäßige Umsetzung der Patienten-Rechte von Seiten der Krankenkassen – die beispielsweise in der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen festgelegt sind – bieten diese Verfahren, die zur Vorleistung bzw. zur zügigen Entscheidung verpflichten, allerdings noch nicht. Die Diskussion darum, welche Rechte Palliativpatienten am Lebensende haben und wie sichergestellt werden soll, dass Patienten diese auch in jeder Lage durchsetzen können, steht erst am Anfang. Eine wichtige Idee, die am neuen § 13 Abs 3 a SGB V anknüpft könnte sein, den Krankenkassen gegebenenfalls für bestimmte verordnete Leistungen und beispielsweise Hospizaufenthalte eine Zahlungspflicht bis zur ersten gerichtlichen Entscheidung aufzuerlegen.

Das Patientenrechtegesetz stärkt schwerstkranke und sterbende Patienten in ihrer Situation gegenwärtig unzureichend, es macht aber deutlich, dass dringender Bedarf für eine bessere Normierung ihrer Rechte besteht. Mit einer schweren Krankheit in Würde zu leben und dann auch sterben zu können erfordert mehr als das Aufsetzen einer Vorsorgevollmacht und die Kasse innerhalb weniger Wochen zu einer Entscheidung zu zwingen.

Mit besten Grüßen

Ihr

Dr. Oliver Tolmein

Rechtsanwalt, Kanzlei Menschen und Rechte