Gesundheitswesen 2013; 75 - A68
DOI: 10.1055/s-0033-1354052

Kontrakturprävention in der Langzeitpflege von Menschen im fortgeschrittenen Alter – Stand der Forschung und Bedeutung für die Praxis

A Herold-Majumdar 1, J Rieß 2, A Daubner 3, O Randzio 4, NB Kohls 5, M Müller 2, M Offenbächer 6, S Sauer 2
  • 1University of Applied Sciences, Hochschule München, München
  • 2Generation Research Program (GRP), Zentrum für Humanwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München, Bad Tölz
  • 3Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. Abteilung Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen (QPP), Köln
  • 4Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK Bayern), München
  • 5Brain, Mind & Healing Program, Samueli Institute, Alexandria
  • 6Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie, Ludwig-Maximilians-University, München

Hintergrund: Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kontrakturen weit verbreitete unerwünschte Ereignisse in der Langzeitpflege von Menschen im fortgeschrittenen Alter sind. Sie gehen mit erheblichen Einbußen der Lebensqualität der Betroffenen sowie mit zunehmender Pflegebedürftigkeit und damit mit hohen Kosten einher. Die eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit hat individuell unterschiedliche Konsequenzen für die Mobilität, die Schmerzsituation und die allgemeine Funktionalität. Das Ziel der vorliegenden systematischen Übersichtsarbeit ist es, potentielle Risikofaktoren für Kontrakturen zu identifizieren und Präventionsmöglichkeiten zu entwickeln. Der aktuelle Stand des Wissens wurde von den interdisziplinären Reviewern für die Praxis verständlich und anwendungsorientiert aufbereitet. Fragestellung: Können auf Basis einer systematischen Ermittlung des Forschungsstands zu Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen wirksame und praktikable Maßnahmen zur Kontrakturprävention für die Langzeitpflege von Menschen im fortgeschrittenen Alter empfohlen werden? Methode: Ein interdisziplinäres Team (zwei Psychologen, eine Pflegefachkraft, eine Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin, ein Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation) hat eine gezielte, Schlüsselwort gestützte Recherche in den Datenbanken MEDLINE, Cochrane und ScienceDirect durchgeführt. Dabei wurden für die recherchierten Studien Ein- und Ausschlusskriterien, sowie Ergebnisvariablen definiert. Das Alter der StudienteilnehmerInnen, die Stichprobengröße, das Studiendesign, das Setting, die untersuchten Gelenke und die Definition und Diagnostik der Kontraktur wurden bei der Bewertung der Studien berücksichtigt. Die klinische Relevanz der Studien wurde nach van Tulder 2003 in einem Peer-Review mit 3 Reviewern u. Konsensverfahren bewertet. Ergebnis: 700 Studien wurden mittels Suchbegriffe als potentiell relevant identifiziert. Nach Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden 98 wissenschaftliche Arbeiten mit akzeptabler methodischer Qualität und Relevanz für die Langzeitpflege von Menschen im fortgeschrittenen Alter in die Auswertung aufgenommen. Für die Empfehlung von wirksamen Maßnahmen wurde eine kriteriengestützte Evidenzeinstufung (4 Stufen) vorgenommen. Die Ergebnisse wurden in einem Praxishandbuch zusammengefasst, das von dem Institut für Qualitätssicherung in der Pflege (IQP) 2011 herausgegeben wurde. Dabei lag das Augenmerk auf die Anwendbarkeit für die Pflegepraxis. Diskussion und Schlussfolgerung: Die klinische Relevanz von Kontrakturen ist definitiv als hoch einzuschätzen. Trotz der Vielfalt an Diagnoseverfahren, die nicht aufeinander abgestimmt sind, können zumindest klinisch relevante, d.h. für die tägliche Lebenspraxis bedeutungsvolle Bewegungseinschränkungen in Gelenken klar diagnostiziert werden. Aufgrund der hohen Bedeutung in der Langzeitpflege von Menschen im fortgeschrittenen Alter darf auf die Prävention und Erfassung von Kontrakturen keinesfalls verzichtet werden. Die vielversprechendsten Maßnahmen zur Prävention von Kontrakturen scheinen eine aktivierend-rehabilitative Pflege, aktives Dehnen sowie geeignete körperliche Trainingsmaßnahmen zu sein. Alle Maßnahmen müssen auf den Einzelfall abgestimmt werden (z.B. individuelle Trainings- bzw. Aktivitätsvorlieben oder Schmerzschwellen) die Mindestanforderung an ein systematisches „Kontrakturmanagement“ besteht in der gemeinsamen Erarbeitung geeigneter Maßnahmen mit dem Klienten.