neuroreha 2013; 05(03): 97-98
DOI: 10.1055/s-0033-1355223
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Parkinson – eine multidisziplinäre Herausforderung

Georg Ebersbach
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Publication Date:
16 September 2013 (online)

Auch 50 Jahre nach Einführung der medikamentösen Therapie mit L-Dopa bedeutet die Behandlung der Parkinson-Erkrankung eine Herausforderung für Ärzte und Therapeuten. Trotz Einsatz moderner Medikamente und Tiefer Hirnstimulation treten bei vielen Betroffenen im Verlauf der Parkinson-Erkrankung früher oder später Störungen von für die Lebensqualität wesentlichen Funktionen auf. Der Bericht der von Parkinson betroffenen Maria Ritzer in diesem Heft verdeutlicht, dass die Parkinson-Erkrankung auch heute noch mit erheblichen Problemen verbunden ist, die für den Betroffenen eine tiefgreifende Veränderung seiner Lebensumstände und Zukunftsperspektiven bedeuten.

Entscheidende Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Therapie sind das Erkennen spezifischer Symptome und die korrekte Klassifikation verschiedener Parkinson-Syndrome. Der Beitrag von Wolfgang Oertel gibt einen Einblick in die Klinik und Diagnostik der Parkinson-Syndrome und erklärt die Grundlagen der medikamentösen Therapie. Während das seit den 60er Jahren zur Verfügung stehende L-Dopa immer noch das am stärksten wirksame Antiparkinson-Medikament ist, kann durch die in der Folgezeit hinzugekommenen Präparate erreicht werden, dass die Langzeitkomplikationen der Dopa-Therapie besser beherrscht werden können.

Kai Bötzel stellt die spektakuläre Technik der Tiefen Hirnstimulation (THS) vor, die seit den 90er Jahren eine zunehmend wichtige Rolle im Management der Parkinson-Erkrankung spielt. Zum Verständnis der Wirksamkeit der THS gehört, dass durch diese Methode in der Regel keine stärkere, sondern eine gleichmäßigere Wirkung auf die motorischen Symptome erreicht wird. Dies bedeutet für Patienten, die unter starken Wirkungsschwankungen der Medikamente leiden, einen beträchtlichen Gewinn an Lebensqualität und Autonomie. Mit Ausnahme des Tremors ist es mit der THS allerdings nicht möglich, Symptome zu kontrollieren, die nicht oder nur unzureichend auf Medikamente ansprechen, wie zum Beispiel Sturzneigung oder Hirnleistungsstörungen.

Aktive Therapien beugen der Bewegungsverarmung vor.

Nicht zuletzt aufgrund neuer methodisch anspruchsvoller Studien ist es mittlerweile auch aus wissenschaftlicher Perspektive bewiesen, dass neben den medikamentösen Behandlungsoptionen und der Tiefen Hirnstimulation auch aktivierende Therapie (z.B. Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie) einen festen Platz im Management der Parkinson-Erkrankung einnimmt. Viele der im Langzeitverlauf auftretenden Probleme wie Gang- und Gleichgewichtsstörungen sprechen nur unzureichend auf Medikamente an und sollten gezielt mit aktivierenden Therapien behandelt werden. Zusätzlich zu der symptomatischen Behandlung manifester Krankheitssymptome hat aktivierende Therapie aber auch eine Bedeutung in der Vermeidung der fortschreitenden Bewegungsverarmung durch früh einsetzendes Training physiologischer Bewegungsabläufe. Aus der Grundlagenforschung gewonnene Erkenntnisse legen außerdem nahe, dass intensive aktivierende Therapie über die symptomatische Wirkung hinaus auch positive Effekte auf die Ausschüttung von Nervenwachstumsfaktoren und für den Schutz vor dem Verlust von Nervenzellen hat.

Frauke Schroeteler gibt in ihrem Beitrag einen Überblick über evidenzbasierte Physiotherapie beim Parkinson-Syndrom und stellt aktuelle Studien zu therapeutischen Techniken vor. Zwei besonders relevante Techniken setzen an Parkinson-spezifischen neurophysiologischen Störungen an, nämlich die Überwindung motorischer Blockierungen durch Hilfsreize (Cueing) und das intensive Training großamplitudiger Bewegungen (LSVT-BIG) zur Behandlung der Bewegungsverarmung. Diese Therapieverfahren werden in den jeweiligen Beiträgen von Pieter Ginis, Alice Nieuwboer und Elke Heremans sowie Georg Ebersbach eingehend vorgestellt.

Der bei manifesten Defiziten unumgängliche Einsatz von Hilfsmitteln bietet für viele Betroffene die Möglichkeit, Unabhängigkeit und Sicherheit zu erhalten oder zurückzugewinnen. Im Beitrag von Daniela Kofler und Sabrina Kienast werden praktikable Wege aufgezeigt, durch Hilfsmittel die Alltagskompetenz von Patienten mit Parkinson-Syndrom zu unterstützen.

Aktives Training, Medikamente und Tiefe Hirnstimulation bilden gemeinsam die therapeutische Grundlage zur Behandlung des Parkinson-Syndroms.

Für den Umgang mit der Parkinson-Erkrankung ist entscheidend, dass der Betroffene erlebt, dass er „seinem Parkinson“ aktiv und wirksam begegnen kann. Der durch die parkinsontypische Tendenz zur Bewegungsverarmung drohenden Schwerfälligkeit kann durch bewusstes Training von Kraft, Kondition, Sicherheit, Rhythmus und Schnelligkeit viel entgegengesetzt werden. Training, Medikamente und Tiefe Hirnstimulation sind dabei nicht als gegensätzliche Ansätze zu verstehen, sondern ergänzen einander. Die Vielfalt der Behandlungsoptionen und die Vielgestaltigkeit der Krankheitsverläufe machen eine individualisierte Therapie erforderlich, bei der medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen nach den Bedürfnissen des einzelnen Patienten aufeinander abgestimmt werden.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre, die uns Praktikern Mut macht, die multidisziplinäre Herausforderung anzunehmen.

Georg Ebersbach

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