Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45(05): 275-276
DOI: 10.1055/s-0033-1355395
Kommentar
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar zu der Arbeit: „Der „Wide-Awake Approach“ – Effizienz und Patientensicherheit bei der Karpaldachspal­tung“ von S. Löw, D. Herold und C. Eingartner

Commentary on “The “Wide-Awake Approach” – Efficiency and Patient Safety in Carpal Tunnel Releases” by S. Löw, D. Herold and C. Eingartner
M. Dinkel
1   Chefarzt, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Herz- und Gefäßklinik GmbH, Bad Neustadt/Saale
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Publikationsverlauf

eingereicht 01. September 2013

akzeptiert 01. September 2013

Publikationsdatum:
02. Oktober 2013 (online)

Kosteneffizienz und Sicherheit in der Medizin: Nachdenken lohnt immer

Die Herausforderung aller Gesundheitssysteme besteht darin, trotz begrenzter Ressourcen eine medizinisch notwendige und zweckmäßige Versorgung sicher zu stellen, die den medizinischen Fortschritt ermöglicht und eine steigende Nachfrage befriedigt. Jeder verantwortungsvolle Leistungserbringer muss sich deshalb mit einer sicheren und kosteneffizienten Umsetzung medizinischer und pflegerischer Leistungen auseinander setzen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Handchirurgie, wo aufgrund der knapp kalkulierten Erlöse immer die Gefahr eines negativen Deckungsbeitrages besteht.

Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Arbeit zu sehen und zu begrüßen. Durch Änderung des Narkoseverfahrens bei Karpaldachoperationen (Lokalanästhesie ohne Blutsperre statt Armplexusanästhesie mit Blutsperre) ist ein früherer Operationsbeginn bei akzeptablen Operationsbedingungen möglich. Die OP-Zeiten der Weiterbildungsassistenten verkürzen sich um etwa 20%, sind aber immer noch über 50% länger als bei ausgebildeten Handchirurgen. Diese Vergleichsuntersuchung bestätigt deswegen einmal mehr, dass Weiterbildung Geld kostet. Dieser Nebenbefund soll aber nicht weiter vertieft werden. Vielmehr bleiben trotz der klaren Ergebnisse zwei entscheidende Fragen offen:

  1. Sind diese Ergebnisse ein Beleg für eine entscheidungsrelevante Effizienzsteigerung bei gleicher oder besserer Sicherheit?

  2. Ist anderen Abteilungen eine Umstellung des Narkoseverfahrens aufgrund dieser Ergebnisse zu empfehlen?

Die erste Frage bleibt nicht nur wegen methodischer Limitationen unbeantwortet:

Aus einer retrospektiven Erhebung geringe Zeitunterschiede im Minutenbereich abzuleiten ist problematisch, zumal die Genauigkeit der Zeiterfassung (Minuten, Sekunden) nicht belegt ist.

Die Vergleichsgruppen sind insbesondere aufgrund des unterschiedlichen Weiterbildungsstandes der Assistenten heterogen. Interessant wären deshalb Angaben der Medianwerte und Streubreiten der verschiedenen Zeitangaben.

Bis auf den Unterschied im Operationsbeginn sind die übrigen Zeitunterschiede im Bereich einer Standardabweichung und deshalb, wie die Autoren zurecht anmerken, zwar statistisch signifikant aber klinisch nicht relevant.

Die erste Frage bleibt vor allem deswegen offen, weil die Beurteilung der Kosteneffizienz komplex und vielschichtig ist und sich nicht auf den Gewinn weniger Minuten Operations- oder Wechselzeit reduzieren lässt.

Es müsste eindeutig dargelegt werden, dass nicht nur Kosten gespart werden, sondern die Sicherheit der Operation und die Wahrnehmung durch die Pa­tienten gleich geblieben oder besser geworden sind. Es finden sich dazu keine exakt messbaren oder zumindest belastbaren objektiven Angaben, z. B. zur Übersichtlichkeit des OP-Situs, zur Rate an Nachblutungen und Revisionen, zur akuten und langfristigen Schmerzintensität und Schmerzfreiheit, zur Patientenzufriedenheit usw.

Darüber hinaus bedeutet ein Zeitgewinn von wenigen Minuten keineswegs einen steigenden Deckungsbeitrag und ggf. Mehrerlöse. Erst wenn es gelingt, unter Umstellung des Narkoseverfahrens relevant Personalkosten (z.B durch Verzicht auf ein Anästhesieteam) zu sparen und tatsächlich mehr Leistungen zu erbringen, wäre ein Nettogewinn möglich.

Diese Frage muss vor den individuellen personellen, baulichen und logistischen Gegebenheiten beantwortet und im Vergleich zu alternativen Optimierungspotenzialen gesehen werden: Ist es tatsächlich möglich, das OP-Programm so zu gestalten, dass auf die Vorhaltung eines Anästhesieteams verzichtet werden kann, ohne dass ein Sicherheitsverlust, z. B. bei Komplikationen oder ungenügender Wirkung der Lokalanästhesie oder bei Notfalloperationen entsteht. Vieleicht ist es aber besser, z. B. durch Einrichtung einer Holding Area die Abläufe so zu optimieren, dass durch ein Anästhesieteam die Patienten so vorbereitet werden, dass ein unverzüglicher Operationsbeginn und rasche Wechselzeiten möglich sind und dabei ein Maximum an Sicherheit und Flexibilität für das weitere OP-Programm vor dem Hintergrund von Notfalleingriffen gewährleistet wird.

Die zweite Frage, ob eine Umstellung des Narkoseverfahrens zu empfehlen ist, muss deshalb jede Abteilung für sich vor ihren jeweiligen Gegebenheiten und Prioritäten in der Patientenversorgung beantworten. Eine undifferenzierte Umstellung ist aufgrund der vorliegenden Vergleichsuntersuchung nicht gerechtfertigt.

Allerdings gibt es keine Patentlösung, wie unter dem steigenden Kostendruck in der Handchirurgie eine zweckmäßige und sichere Patientenversorgung erzielt werden kann. Es lohnt sich deshalb immer, über Alternativen nachzudenken sowie seine eigenen Abläufe kritisch zu reflektieren und sukzessive zu verbessern. Wenn der vorliegende Beitrag dazu anregt, hat er sein Ziel erreicht.