PPH 2013; 19(05): 234
DOI: 10.1055/s-0033-1356768
Szene
Brunos Welt
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Drei Groschen

Bruno Hemkendreis
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. September 2013 (online)

Es waren dramatische Szenen als Herr Brenz in die Klinik eingeliefert wurde. Gefesselt an die Trage des Rettungswagens, wurde er zusätzlich von zwei Polizisten begleitet. Man hatte ihn am Arbeitsplatz überwältigen müssen, nachdem er erst an seinem, dann an allen Computern im Großraumbüro die Netzwerkkabel gezogen hatte.

Seine Arbeitskollegen berichteten, Herr Brenz habe wie aus dem Nichts heraus angefangen, völlig wirres Zeug zu reden und sich an den Computern zu schaffen gemacht. Er habe so eindrucksvoll neben sich gestanden, dass niemand in der Firma sich getraut habe, ihn daran zu hindern. Da innerhalb weniger Minuten die gesamte Arbeit zum Erliegen gekommen sei, habe man den Notarzt und die Polizei gerufen.

Nachdem auf der Station seine Fesseln gelöst waren, rannte Herr Brenz ziellos hin und her, redete pausenlos unverständliche Sätze und schien komplett unerreichbar. Sprach man ihn an, blickte er mit weit aufgerissen Augen durch einen hindurch; er schien sehr große Angst oder Panik zu haben.

Es wurde darüber diskutiert, Herrn Brenz zwangsweise ein Beruhigungsmittel zu spritzen oder ihn gar zu fixieren, um ihn und Mitpatienten zu schützen, obwohl er keine Anzeichen von Aggression zeigte.

Um derartige Interventionen zu vermeiden, habe ich Herrn Brenz intensiv betreut und begleitet. Er lief pausenlos, wie von Panik getrieben, auf der Station auf und ab, schien dabei überhaupt nicht wahrzunehmen, wo er war. Er nahm zu niemandem Kontakt auf und reagierte weder auf Personal noch auf Mitpatienten, die ihn ansprachen.

Auf der Station gab es eine Telefonzelle mit Münzfernsprecher, die schien seine Aufmerksamkeit nach einiger Zeit doch irgendwie anzuziehen, dorthin ging er immer wieder. Ich fragte ihn, ob er telefonieren möchte, ob er Kleingeld habe, doch es gab keine Reaktion. Bis ich mein Portemonnaie herausholte, um zu schauen, ob ich drei Zehnpfennigstücke habe. Herr Brenz blieb vor mir stehen und als ich ihm drei Groschen hinhielt, nahm er sie mir sofort aus der Hand und stürmte in die Telefonzelle. Nachdem er offensichtlich telefoniert hatte – ich konnte mir allerdings kaum vorstellen, dass das in seiner Verfassung überhaupt möglich war – wurde er etwas ruhiger, es war jedoch weiterhin keine Verständigung möglich.

Da ich am nächsten Tag meinen Urlaub antrat, habe ich keine Ahnung, wie es mit Herrn Brenz weiterging.

Etwa sechs Wochen später klingelte es an der Stationstür, ich öffnete und davor stand Herr Brenz, völlig geordnet und sehr differenziert. Er hielt mir dreißig Pfennig hin: „Schön, dass Sie im Dienst sind, ich wollte Ihnen die drei Groschen zurückgeben. Die haben mir damals enorm geholfen. Als Sie mir das Geld gaben, war es das Zeichen, dass man mir hier nichts Böses will. Dann habe ich damit meine Frau angerufen und erfahren, dass es ihr gut geht. Beides hat mich sehr beruhigt. Auch wenn Sie es sich wahrscheinlich kaum vorstellen können: Ich habe alles mitbekommen, jedes Wort, jede Geste. Ich glaube, kein Medikament hätte die Wirkung gehabt, die die dreißig Pfennig hatten.“

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