Transfusionsmedizin 2013; 3(2): 57-58
DOI: 10.1055/s-0033-1356868
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transfusionsmedizin ist individualisierte Medizin

G. Bein
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Publication Date:
04 September 2013 (online)

Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

ich freue mich, Ihnen das nächste Heft der Zeitschrift „Transfusionsmedizin“ vorstellen zu dürfen.

Transfusionsmedizin ist individualisierte Medizin. Die Herausforderungen der individualisierten Medizin werden besonders deutlich in der langzeitigen Transfusionstherapie bei Patienten mit Hämoglobinopathien, der Thalassämie und der Sichelzellkrankheit. Der CME-Beitrag von H. Cario, C. Weinstock, B. Mayer und S. Lobitz beschreibt die Grundlagen und Besonderheiten der Transfusionstherapie bei diesen Erkrankungen, die in den deutschsprachigen Ländern infolge Zuwanderung aus Regionen mit höherer Prävalenz zunehmend häufiger vorkommen.

Bei beiden Erkrankungen spielen Allo- und Autoantikörper gegen erythrozytäre Antigene eine wichtige Rolle. Die langzeitige Transfusionstherapie kann zur Bildung von Alloantikörpern gegen hochfrequente Antigene in der kaukasischen Bevölkerung führen und damit zu erheblichen Problemen in der Bereitstellung kompatibler Erythrozytenkonzentrate. Eindrucksvoll wird dies in einer Kasuistik einer schwangeren Patientin afrikanischer Abstammung mit Sichelzellanämie und Anti-Fy3 dargestellt (S. Flommersfeld und A. Korb-Bangang). Die Einhaltung der heutigen Empfehlungen (siehe H. Cario et al.) zum prophylaktischen Matching der Blutgruppensysteme in der Transfusionstherapie hätte die Probleme der Alloimmunisierung bei dieser Patientin weitgehend vermieden.

Oft ist in solchen Fällen die Bereitstellung kompatibler Erythrozytenkonzentrate nur durch nationale oder internationale Kooperation möglich. Unter der Schirmherrschaft der DGTI wird ein Register von Blutspendern mit seltenen Phänotypen in Kooperation der Blutspendedienste der Schweiz, Österreichs und Deutschlands weiter ausgebaut (Praxistipp, H. Hustinx und I. von Zabern). Die Gewinnung von Blutspendern mit seltenen Phänotypen ist eine gemeinschaftliche Aufgabe der Transfusionsmedizin und geradezu Voraussetzung für die individualisierte Hämotherapie. Die korrespondierenden Seren gegen hochfrequente Blutgruppenantigene stehen jedoch häufig nicht in ausreichender Menge zur Typisierung von Blutspendern Verfügung.

Die Entschlüsselung der genetischen Grundlagen der Blutgruppenmerkmale in den letzten Jahren hat dazu beigetragen, dass Blutspender mit seltenen Phänotypen heute erheblich einfacher gefunden werden können.

Vor wenigen Wochen ist von drei Arbeitsgruppen zeitgleich die genetische Ursache des Vel-negativen Phänotyps beschrieben worden (Seite 60 und [1–3]). Personen mit diesem Phänotyp haben eine homozygote Deletion von 17 Basenpaaren im SMIM1-Gen (SMIM1: Small Integral Membrane Protein 1). Diese Entdeckung ist ein Meilenstein der Blutgruppenforschung, da nunmehr die genetische Grundlage (fast?) aller klinisch relevanten Blutgruppensysteme der Erythrozyten aufgeklärt wurde. Ärztinnen und Ärzte, denen Patienten mit Antikörpern gegen das hochfrequente Antigen Vel anvertraut sind, können diese neuen Erkenntnisse unmittelbar zum Nutzen ihrer Patienten anwenden.

Auch in dem Übersichtsbeitrag zum präinterventionellen Hämostasemanagement von B. Pötzsch und H. Rühl steht mit der individualisierten Risikoevaluation die individualisierte Medizin im Vordergrund. Das Ziel dieser Evaluation ist die Erkennung derjenigen Patienten mit einem erhöhten Blutungs- oder Thromboserisiko, um durch Einsatz gezielter therapeutischer Maßnahmen zur Minimierung dieser Risiken beizutragen.

Der Beitrag in der Rubrik Recht von J. Taupitz analysiert spezielle Probleme des Gendiagnostikgesetzes.

Die Beiträge in diesem Heft zeigen beeindruckend, dass Erkenntnisse aus systematischen klinischen Studien und aus der Grundlagenforschung in den letzten Jahren zu einer erheblich verbesserten, individualisierten Hämotherapie beigetragen haben.

Das Herausgeberteam wünscht Ihnen eine gewinnbringende Lektüre.

Prof. Dr. med. Gregor Bein, Gießen und Marburg

 
  • Literatur

  • 1 Ballif BA, Helias V, Peyrard T et al. Disruption of SMIM1 causes the Vel- blood type. EMBO Mol Med 2013; 5: 1-11
  • 2 Cvejic A, Haer-Wigman L, Stephens JC et al. SMIM1 underlies the Vel blood group and influences red blood cell traits. Nat Genet published online: 07.04.2013; DOI: 10.1038/ng.2603.
  • 3 Storry JR, Jöud M, Kronborg Christophersen M et al. Homozygosity for a null allele of SMIM1 defines the Vel-negative blood group phenotype. Nat Genet published online: 07.04.2013; DOI: 10.1038/ng.2600.