Frauenheilkunde up2date 2015; 9(04): 236-238
DOI: 10.1055/s-0033-1358166
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schulterdystokie – nicht nur eine kindliche Gefährdung

Anne Tauscher
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Publication Date:
24 August 2015 (online)

Hintergrund

Die Schulterdystokie ist mit einer Inzidenz von 0,5 % ein seltener geburtshilflicher Notfall mit einer allerdings hohen fetalen und maternalen Morbidität sowie einer erhöhten perinatalen Mortalität [1], [2]. Subpartual gibt es keine Hinweiszeichen, die das Auftreten einer Schulterdystokie ankündigen, sodass es sich meistens um ein überraschendes Ereignis handelt. Bestimmte Risikokonstellationen erfordern zwingend eine präpartale Aufklärung über die zu erwartenden Komplikationen. In der Literatur wird in erster Linie auf die fetalen Komplikationen hingewiesen:

  • Asphyxie

  • Plexusparesen

  • Skelettverletzungen

Unbestritten dürften die folgenden Komplikationen (in Klammern die Häufigkeit) die häufigsten sein:

  • Hypoxie (8,6 %) [3]

  • irreversible Paresen des Plexus brachialis nach 12 Monaten (17 %) [4]

  • Humerus- und Claviculafraktur (10,6 %) [3]

Plexusparesen. Die Häufigkeitsangaben zur Plexusparese variieren zwischen 4 und 40 %, anteilsmäßig mit 50 % am häufigsten und die prognostisch günstigste ist die Duchenne-Erbʼsche Lähmung (C5–C6) [5]. Etwa die Hälfte aller Plexusparesen ist jedoch nicht mit einer Schulterdystokie assoziiert [4].

Frakturen. Die Humerus- und Claviculafrakturen heilen in der Regel komplikationslos und ohne Folgeschäden.

Hypoxie. Das Auftreten einer fetalen Hypoxie ist wesentlich von der abgelaufenen Zeit zwischen Geburt des Kopfes und des Körpers („head-to-body delivery interval“) abhängig. Beträgt dieses Intervall mehr als 5 min, steigt die Inzidenz einer schweren Azidose von 0,5 auf 5,9 % bzw. einer hypoxisch ischämischen Enzephalopathie von 0,5 auf 23,5 % an [6].

Maternale Komplikationen. Wir haben einen eigenen Fall einer schweren mütterlichen Verletzung (Uterusruptur) nach Schulterdystokie zum Anlass genommen, die Relevanz und Häufigkeit insbesondere der weniger besprochenen maternalen Morbidität zu recherchieren. Nachuntersuchungen und Fallkontrollstudien großer Patientenkollektive zeigten eine eindeutige Korrelation zwischen dem Auftreten einer Schulterdystokie bei Makrosomie und mütterlichen Komplikationen wie postpartaler Blutung und höhergradigen Dammrissen (III. und IV. Grad). Bei einem Geburtsgewicht ≥ 99. Perzentile liegt die Odds Ratio für das Auftreten einer Schulterdystokie bei 5,11 und für eine postpartale Blutung bei 3,92, bei einem Geburtsgewicht ≥ 95. Perzentile immer noch bei 3,35 bzw. 2,12 [7]. Nachgewiesene Risikofaktoren einer höhergradigen Dammverletzung sind, neben der Schulterdystokie, vorangegangene höhergradige Dammrisse, Episiotomie, prolongierte Austreibungsperiode und Forzepsentbindungen. Das Risiko für eine Analsphinkterverletzung ist bei Schulterdystokie nachweislich höher (OR 11,1) [8]. Häufigkeitsangaben zur Uterusruptur im Zusammenhang mit einer Schulterdystokie finden sich in der Literatur kaum. Diverse Publikationen erlauben den Rückschluss, dass das Rupturrisiko bei Schulterdystokie erhöht ist [5], [9], [10].

Erwähnenswert ist, dass in vielen Fallberichten eine Kumulation mehrerer Risikofaktoren beschrieben ist wie:

  • Zustand nach Sectio

  • vaginaloperative Entbindung

  • prolongierte Austreibungsperiode

  • ausgedehnte Manipulation am Uterus

Häufig stellt sich die Frage der Kausalität – was ist zuerst aufgetreten: die Schulterdystokie oder die Uterusruptur? Beide Szenarien sind beschrieben und vorstellbar. Insbesondere bei Zustand nach Sectio existieren Fallberichte, in denen die Uterusruptur das Auftreten der Schulterdystokie verursacht hat [11].

Mütterliche Psyche. In letzter Zeit gewinnt, neben den mütterlichen Verletzungen, die psychologische Komponente nach erlebter Geburt mit Schulterdystokie eine erhebliche Bedeutung in der mütterlichen Morbidität. Häufig wird das Vorgehen bei Schulterdystokie als extrem traumatisierend erlebt, sodass in Zukunft zunehmender Handlungsbedarf bestehen wird [4].

 
  • Literatur

  • 1 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht (AG MedR). Empfehlungen zur Schulterdystokie; Erkennung, Prävention und Management. AWMF 015/024 (S1); Stand 2010 (in Überarbeitung).
  • 2 Tsur A, Ruslan S, Wiznitzer A et al. Critical analysis of risk factors for shoulder dystocia. Arch Gynecol Obstet 2012; 285: 1225-1229
  • 3 Rahman J, Bhattee G, Rahman MS. Shoulder dystocia in a 16-year experience in a teaching hospital. J Reprod Med 2009; 54: 378-384
  • 4 Chauhan SP, Rose CH, Gherman RB et al. Brachial plexus injury: A 23-year experience from a tertiary center. Am J Obstet Gynecol 2005; 192: 1795-1802
  • 5 Dajani NK, Magann EF. Complications of shoulder dystocia. Semin Perinatol 2014; 38: 201-204
  • 6 Leung T, Stuart O, Sahota D et al. Head-to-body delivery interval and risk of fetal acidosis and hypoxic ischaemic encephalopathy in shoulder dystocia: a retrospective review. Br J Obstet Gynaecol 2011; 118: 474-479
  • 7 Weisssmann-Brenner A, Simchen MJ, Zilberberg E et al. Maternal and neonatal outcomes of large for gestational age pregnancies. Acta Obstet Gynecol Scand 2012; 91: 844-849
  • 8 DiPiazza D, Richter HE, Chapman V et al. Risk factors for anal sphincter tear in multiparas. Obstet Gynecol 2006; 107: 1233-1237
  • 9 Zisow DL. Uterine rupture as a cause of shoulder dystocia. Obstet Gynecol 1996; 87: 818-819
  • 10 Wei SC, Chen CP. Uterine rupture due to traumatic assisted fundal pressure. Taiwan J Obstet Gynecol 2006; 45: 170-172
  • 11 Mwenda AS. 4th stage transvaginal omental herniation during VBAC complicated by shoulder dystocia: a unique presentation of uterine rupture. BMC Pregnancy Childbirth 2013; 13: 76
  • 12 Langer O, Berkus MD, Huff RW et al. Shoulder dystocia: should the fetus weighing greater than or equal to 4000 grams be delivered by cesarean section?. Am J Obstet Gynecol 1991; 165: 831-837