Gesundheitswesen 2013; 75(11): 705-713
DOI: 10.1055/s-0033-1361089
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Impfstatus bei Schülern in den 6.–10. Klassen 2011 – ein Ländervergleich. Handlungsbedarf für eine zielgerichtete nationale Impfstrategie

Vaccination among Students in Grades 6–10, 2011 – A Comparison of German States: Need for Action for a Targeted Nationwide Immunisation Strategy
G. Ellsäßer
1   Abteilung Gesundheit, Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Zossen
,
G. Trost-Brinkhues
2   Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Prävention, Gesundheitsamt der StädteRegion Aachen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. November 2013 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund:

In Deutschland ist die Surveillance der Durchimmunisierung der Bevölkerung nur für die Schulanfänger, jedoch nicht für Jugendliche gesetzlich verankert. Daher stehen keine aktuellen Daten des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Durchimmunisierung der Jugendlichen zur Verfügung. Es fehlen auch bundesweite Monitoringdaten zu von der STIKO neu eingeführten Impfungen wie der HPV-Impfung bei 12- bis 18-jährigen Mädchen (2009) oder der Meningokokken-C-Impfung (2006). Die Recherche und Analyse verfolgt daher das Ziel festzustellen, welche Länder ein Monitoring des Impfstatus von Jugendlichen durchführen, wie die Spanne der Durchimmunisierungsraten im Ländervergleich ausgeprägt ist und welcher Handlungsbedarf für eine nationale Impfstrategie abgeleitet werden kann.

Methodik:

Systematische Erhebung der Impf­quoten bei älteren Schülern in den Klassen 6–10 (Altersgruppe 12–16 Jahre) für das Schuljahr 2010/11. Der vorgegebene Dokumentationsstandard beruht auf den Standardimpfungen nach STIKO für das Kindes- und Jugendalter und erfordert eine vollständige Grundimmunisierung (GI) sowie die Anzahl von Auffrischimpfungen. In die Analyse wurden 8 von 16 Bundesländern einbezogen, da Daten von den anderen Bundesländern nicht verfügbar waren.

Ergebnisse:

Insgesamt wurden in 8 Bundesländern von den Gesundheitsämtern 157 599 Schüler untersucht und 103 250 vorgelegte Impfausweise überprüft (im Duchschnitt 68,1%, Spanne 54,9%–85,2%). Die Umsetzung der Auffrischimpfungen zeigte sich bei den Schülern der 6. Klassen bis 10. Klassen als nicht 6. Klassen. Die von der WHO geforderte 2-malige Masern-Impfung von 95% der Population wurde nur in 2 von 6 Bundesländern (Sachsen-Anhalt, Brandenburg) fast erreicht. Die Auswirkung von nicht ausreichenden Durchimmunisierungsraten zeigte sich bspw. in höheren Inzidenzraten für Masernerkrankungen bei unter 15-jährigen Kindern und einem fortbestehenden Altersgipfel bei Pertussiserkrankungen bei den 10- bis 15-Jährigen. Die seit 2006 eingeführte Men-C-Impfung wurde nur unzureichend bei den Schülern nachgeholt und in den 8 Bundesländern sehr unterschiedlich umgesetzt (Sachsen 73,9% vs. Bayern 29,1%). Die HPV-Impfung bei Mädchen hat sich noch nicht etabliert (Brandenburg Maximum 39,8%).

Schlussfolgerung:

Die Daten zeigen, dass das ambulante medizinische Versorgungssystem die Jugendlichen nicht ausreichend erreicht. Die Kooperation mit dem ÖGD zur systematischen Überprüfung der Impfausweise in Schulen gilt es auszubauen. Nur so lassen sich Impflücken systematisch identifizieren. Durch eine gezielte Beratung und den Weiterverweis an die niedergelassenen Hausärzte bzw. Kinder- und Jugendärzte besteht die Chance, fehlende Impfungen nachholen zu lassen. Catch-Up-Programme sind notwendig, um neu eingeführte Impfungen, aber auch Nachholimpfungen zu fördern und im Gesundheitssystem zu implementieren.

Abstract

Objective:

In Germany, surveillance of the population’s immunisation is only mandatory for school beginners, not for adolescents. Therefore, no current data are available from the public health service related to the immunisation of adolescents. Also lacking are nationwide monitoring data regarding HPV vaccination among girls aged 12–18 years and the meningococcal C vaccination, both recently introduced by the German Standing Committee on Vaccination (STIKO) in 2009 and 2006, respectively. The present research and analysis therefore aims to determine which German states perform a monitoring of the vaccination status of adolescents, how immunisation rates differ across German states and what need for action, in terms of a nationwide immunisation strategy, can be derived.

Method:

A systematic survey of vaccination coverage among students in grades 6–10 (age group 12–16 years) for the school year 2010/11 was undertaken. The defined documentation standard is based on the standard vaccinations for children and adolescents according to STIKO, requiring complete primary immunization (PI) and the number of booster vaccinations. In the analysis, 8 of 16 states were included, due to lack of data for the remaining states.

Results:

In total, the public health service ­examined 157 599 school children in 8 German states and checked 103 250 vaccination certificates (on average 68.1%, range 54.9–85.2%). The implementation of the booster vaccination among students in grades 6–10 proved to be insufficient. The 2-dose measles vaccination, required by the WHO for 95% of the population, was only nearly achieved by 2 of 8 German states ­(Saxony-Anhalt, Brandenburg). The effects of insufficient immunisation coverage are shown by, for example, a higher measles incidence rate in children under 15 years and a persisting peak of pertussis incidence in 10- to 15-year-olds. The meningococcal C vaccination, introduced in 2006, was insufficiently taken up by students and very differently implemented among the 8 ­German states (Saxony 73.9% vs. Bavaria 29.1%). HPV vaccination in girls has not yet been established (Brandenburg maximum 39.8%).

Conclusion:

Findings of this study show that the primary health care system is insufficient in reaching adolescents. Systematic checks of vaccination certificates in schools need to be extended, in cooperation with the public health service in order to identify gaps in vaccination. Through counselling and referrals to general practitioners or paediatricians there is the chance to catch up on missing vaccinations. It is necessary to promote catch-up programmes for newly indroduced vaccinations as well as for missed and booster vaccinations and to implement them in the health care system.