Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15(1): 14
DOI: 10.1055/s-0033-1362180
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Buchbesprechung – Sterben und Tod im Familienleben

Contributor(s):
Frank Schulz-Kindermann
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Publication Date:
29 January 2014 (online)

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Erst seit wenigen Jahrzehnten sind wir – als psychosozial in der Arbeit mit Schwerkranken und Sterbenden Tätige – in besonderem Maße auf die Anliegen der Kinder unserer Patienten aufmerksam geworden. Immer schon hatten wir die Begleitung der schwerkranken Patienten als eine durch alle Phasen von Krankheit und Behandlung gehende, in das medizinisch-pflegerische System eingebundene, an die Situation und die Anliegen der Betroffenen angepasste, selbstverständlich die Belastungen der Partner mit berücksichtigende verstanden. Und doch verblüffte uns, wie der Fokus dieser neuen Versorgungsprojekte, die sich explizit den (minderjährigen) Kindern der Patienten zuwandten, uns vorher wohl gefehlt hatte und wie selbstverständlich nun dieser Blickwinkel zu unserem psychoonkologischen Arbeiten dazu gehörte. Heute fragen wir immer nach dem Befinden der Kinder unserer Krebspatienten. In Hamburg haben wir dabei das Glück, gleich über 2 entsprechende Beratungsstellen zu verfügen: Phönikks, eine Familienberatungsstelle, die aus Spendenmitteln gefördert wird und COSIP (Children of Somatically Ill Parents – Beratungsstelle Kinder Körperlich Kranker Eltern), zunächst als multizentrisches EU-Projekt entstanden, später in langjähriger Förderung durch die Deutsche Krebshilfe. Ein konkretes Ergebnis dieser Initiativen ist das von Romer et al. vorgelegte Beratungsmanual zum COSIP-Konzept (Romer et al. 2013), sowie die Etablierung von COSIP als festem, durch die Hamburger Krebsgesellschaft gefördertem Bestandteil unserer Psychoonkologischen Ambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf und dessen Comprehensive Cancer Center UCCH.

Ein anderes entscheidendes Resultat ist das hier zu besprechende: Das von der Mitbegründerin von COSIP – Miriam Haagen – und einer langjährigen Mitarbeiterin und Projektleiterin – Birgit Möller – vorgelegte Praxisbuch „Sterben und Tod im Familienleben“.

Dieses neue Buch kann nicht genug gelobt werden, denn es vereint mehrere Vorzüge, die in diesem Feld nicht selbstverständlich sind:

  • Das Buch hat einen klaren und sinnvollen Aufbau. Es widmet sich zunächst den theoretischen Hintergründen, erläutert auch dem nicht im Kindertherapeutischen verankerten Kliniker entwicklungspsychologische Grundlagen und führt in familientherapeutische Konzepte ein. Auf diesem Fundament kann der weitaus umfangreichere praktische Teil der Beschreibung kindspezifischen Erlebens elterlicher Erkrankung und möglicher psychotherapeutischer Interventionen aufbauen.

  • Es ist tatsächlich ein Praxisbuch. Kaum eine Seite dieses Bandes enthält nicht mindestens ein Fallbeispiel. Zahlreiche Vignetten, die die theoretischen (aber niemals blutleeren) Ausführungen veranschaulichen, unterstreichen, über welch reiche klinische Praxis die beiden Autorinnen – eine mittlerweile in einer familientherapeutischen Schwerpunktpraxis, die andere nach wie vor dicht am Thema in der Uniklinik – verfügen. Hier wird deutlich, dass bislang vielleicht vieles über die Sorgen und Ängste der Kinder Schwerkranker und Sterbender ausgeführt wurde, aber selten derart praktisch und vielfältig veranschaulicht. Die Vignetten werden dabei in aller Regel im Text weiter verarbeitet, der Kern der Beispiele mit Theorie und Literatur verbunden.

  • Der Band besticht durch seine Präzision und Kompaktheit. Selten wird „um etwas drum herum geredet“, die Autorinnen kommen immer schnell auf den Punkt, sind dabei aber nie apodiktisch, sondern laden zum Nachvollziehen und Mitdenken ein. Damit geben sie gleichzeitig ein Modell für das, was ihnen als professionelle Botschaft am Herzen liegt: Mit den Kindern der Patienten ebenfalls nicht drum herum zu reden, sondern achtsam, transparent und klar mit ihren Bedürfnissen umgehen, aber dann auch ohne Scheu auf die schwierigen Themen von Sterben, Tod und Trauer zuzugehen.

  • Das Buch ist zutiefst systemisch konzipiert. Immer werden mehrere Perspektiven einbezogen, niemals handelt es sich ausschließlich um einen rein einzel- oder nur familientherapeutischen Ansatz, sondern auch um einen sozialen familienmedizinischen Zugang. Dies kommt einer möglichen Anwendung z. B. im Praxisfeld der Akutklinik sehr entgegen, denn hier haben wir es häufig mit weiteren „Stakeholdern“, wie den ärztlichen und pflegerischen Behandlern zu tun, die häufig unmittelbar an Beratungsprozessen beteiligt sind oder beteiligt sein sollten. Zu dieser systemischen Sicht gehört schließlich auch, dass die Autorinnen die Perspektive der Psychotherapeuten, also: unsere Selbstfürsorge, mit einbeziehen und ihr breiten Raum geben.

Zwei Anmerkungen seien als Anregung zu verstehen: Dem Buch könnte eine noch etwas deutlichere Systematisierung wichtiger Beratungsthemen z. B. in Form von Tabellen oder Strukturmodellen gut tun. Denn angesichts der großen Vielfalt von Beispielen und Beratungsaspekten besteht zuweilen ein gewisses Risiko, den Gesamtüberblick zu behalten. Zum zweiten wünschte ich mir für dieses bedeutende Praxisbuch eine etwas großzügigere Ausstattung – mit festerem Einband und angenehmerer grafischer Gestaltung.

Aber: Das sind – angesichts der unzweifelhaften und hervorragenden Praxisdienlichkeit des Buches – reine Nebensächlichkeiten.

 
  • Literatur

  • 1 Romer G, Bergelt C, & Möller B. Kinder krebskranker Eltern. Manual zur kindzentrierten Familienberatung nach dem COSIP-Konzept. Göttingen: Hogrefe; 2013