Radiologie up2date 2014; 14(01): 5-6
DOI: 10.1055/s-0034-1364871
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das femoroazetabuläre Impingement – Fakt und Fiktion

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Publication Date:
01 March 2014 (online)

Kaum ein anderes Erkrankungsbild aus dem muskuloskelettalen Bereich ist in den vergangenen Jahren derart in das Interesse der Orthopädie und damit auch in das der bildgebenden Diagnostik gerückt wie das femoroazetabuläre Impingement (FAI) des Hüftgelenks. Dies drückt sich in der beispielsweise über pubmed abrufbaren Literatur zu diesem Thema aus [1]: hier kann der interessierte Leser inzwischen auf 885 Publikationen, darunter 211 Übersichtsarbeiten zurückgreifen, die seit 1999 zu diesem Thema erschienen sind. Dabei nicht vertreten ist auch der sehr zu empfehlende Fortbildungsartikel über dieses Erkrankungsbild der Münchener Kollegen Christoph Schäffeler und Klaus Wörtler, der vor genau 2 Jahren in Radiologie up2date erschienen ist [2].

Gibt man beim Surfen im Internet als Stichwort „femoroazetabuläres Impingement“ ein, so erscheinen neben wissenschaftlichen Beiträgen, Buchkapiteln, etc. auch zunehmend Einträge von orthopädischen Fachkliniken, die aufgrund ihrer scheinbaren Expertise auf diesem Segment des „Medizinmarkts“ sich entsprechend als bevorzugte Anlaufstelle zur Behandlung dieses Erkrankungsbilds positionieren wollen. Im radiologischen Bereich ist es sowohl im klinischen wie auch im niedergelassenen Bereich zu einer Zunahme der Anforderungen für die Durchführung einer MR-Arthrografie des Hüftgelenks gekommen. Entsprechende Rückmeldungen auf Fortbildungsveranstaltungen bekräftigen diesen Eindruck.

Was hat es nun mit dem FAI auf sich? Ist es nur ein vorübergehender Hype, dessen Verbreitung auch durch das DRG-System (Eröffnung neuer Marktsegmente und damit auch neuer Einnahmemöglichkeiten, Erweiterung des Portfolios) beschleunigt wird? Oder ist es in der Tat eine Entität, die zu grundlegenden Auswirkungen in der Diagnostik und Therapie von Hüfterkrankungen führen wird? In einem Artikel der renommierten New York Times wurde bereits im November 2011 dieses Thema aufgegriffen und insbesondere der Mangel an evidenzbasierten Daten in den Vordergrund gestellt [3]. In einer Übersicht aus dem Journal of American Roentgenology greift David Rubin vom Mallinckrodt Institute of Radiology quasi als „advocado ex diabolo“ Aspekte des FAI auf und überprüft diese auf ihre Evidenz [4]. Aus dieser Zusammenstellung sollen im Folgenden einige wichtige Punkte erörtert werden.

Fakt ist, dass das FAI als distinktes klinisches Syndrom existiert: dazu gehören spezifische Beschwerden (unter Beugung und Rotation zunehmende Leistenschmerzen, eingeschränkter Bewegungsumfang der Hüfte), objektivierbare klinische Untersuchungs- (positiver Impingement-Test) und bildgebende Befunde (Veränderungen der knöchernen Morphologie am koxalen Femurende und/oder Azetabulum, vorhandene Labrum- und Gelenkknorpelläsionen), wenn auch bislang keine Daten zur Sensitivität und Spezifität von Klinik und klinischer Tests in der Diagnostik des FAI vorhanden sind.

Gesichert ist auch, dass Patienten zumindest kurzfristig von operativen Eingriffen an Labrum und Azetabulum bzw. proximalem Femur profitieren mit deutlicher Schmerzreduktion und zunehmendem Bewegungs- und Belastungsumfang der Hüfte bei insgesamt gesteigerter Lebensqualität. Offensichtlich ist der Benefit größer bzw. stellt sich erst ein, wenn noch keine Veränderungen des Gelenkknorpels vorliegen. Es gibt weiterhin Hinweise, dass eine klinische Besserung der Hüftbeschwerden auch dann eintritt, wenn nur die Labrumläsion operativ versorgt wird ohne zusätzliche rekonstruktive Eingriffe an Femur und Azetabulum.

Dazu passt auch, dass bislang nicht belegt ist, dass knöcherne Veränderungen an proximalem Femur und Azetabulum, wie sie beim Cam- und Pincer-Impingement vorgefunden werden, als abnormal oder krankhaft einzustufen sind: es mehren sich die Mitteilungen, die zeigen, dass die Prävalenz dieser Veränderungen bei jungen asymptomatischen Probanden mit Werten zwischen 30 und 50 % sehr hoch ist. Man kann daraus auch folgern, dass in einem gewissen Umfang knöcherne Veränderungen wie sie beim FAI gefunden werden zur Bandbreite des Normalen gehören und es außerordentlich schwierig bis unmöglich ist, so genannte Grenzwerte (z. B. für den α-Winkel) festzulegen, die eine sichere Unterscheidung zwischen normal und pathologisch ermöglichen. Umgekehrt bedeutet dies, dass man bei Patienten mit entsprechenden knöchernen Veränderungen nicht automatisch von einem FAI ausgehen darf.

Derzeit noch in der Diskussion ist, ob eine vorhandene FAI-Morphologie als präarthrotische Deformität anzusehen ist. Diese Frage kann bis auf Weiteres noch nicht beantwortet werden, da das Krankheitsbild des FAI erst seit etwa 10 – 12 Jahren bekannt ist, und die Entwicklung einer Koxarthrose durchaus längere Zeiträume bis zu Dekaden benötigt. Schon heute ist bekannt, dass bei weitem nicht alle FAI-Morphologien unweigerlich zu einer Arthrose des Hüftgelenks führen. Last but not least kann die Aussage, dass mit einer frühzeitigen Operation bzw. Korrektur eine prämature Hüftgelenkarthrose verhindert werden kann, nur in den Bereich der Fabel verwiesen werden.

Fazit: Der Radiologe sollte sich profunde Kenntnisse über das FAI aneignen, um die in der Bildgebung zu erhebenden Befunde richtig einordnen zu können. Aufgrund des bisher Gesagten sollten wir einem aggressiven orthopädischen Vorgehen nicht Vorschub leisten, indem wir in unsere Befunde Formulierungen aufnehmen wie z. B. „die Befundkonstellation spricht für eine FAI“ o. Ä.

Aus wissenschaftlicher Sicht sehe ich im Moment als wichtigste Aufgabe, die Sicherheit in der Diagnostik von Knorpelläsionen der Hüfte zu verbessern. Hier bleibt abzuwarten, ob sich die Studienlage so entwickeln wird, dass die Anwendung funktioneller Untersuchungstechniken wie z. B. dGEMRIC, die Rückschlüsse auf den Aufbau des Gelenkknorpels ermöglichen, fester Bestandteil in der Diagnostik wird. Daneben benötigen wir prospektive Studien, die Rückschlüsse über den spontanen Verlauf des FAI oder von Personen mit einer FAI-Morphologie zulassen.

Es bleibt wichtig festzuhalten, wie wenig derzeit im Zusammenhang mit dem FAI evidenzbasiert ist. Dies wiederum verdeutlicht unsere Verantwortung gegenüber den uns zur Diagnostik anvertrauten Patienten, uns nicht für „Modetrends“ instrumentalisieren zu lassen.

Karl-Friedrich Kreitner, Mainz