Handchir Mikrochir Plast Chir 2014; 46(02): 73
DOI: 10.1055/s-0034-1368714
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Raoul Tubiana

M. Greulich
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Publication Date:
28 April 2014 (online)

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Raoul Tubiana
(Quelle: Dieter Buck-Gramcko:
Ein Leben für die Handchirurgie,Steinkopff Verlag 2007

Mit Raoul Tubiana verliert die Handchirurgie einen Pionier, der das Fach von Anfang an miterlebt und mitgestaltet hat. Am 14. Oktober 2013 ist er 98-jährig gestorben. Noch 2003 hat er auf dem gemeinsamen Kongress von DAH, DGH und GEM in Stuttgart einen Hauptvortrag über die rheumatische Hand gehalten.

„Monsieur Tubiana“ war damals eindeutiger Mittelpunkt der französischen Teilnehmer, von denen sich nicht wenige als „elève de Monsieur Tubiana“ vorstellten. Tatsächlich hatten viele einen wesentlichen Teil ihrer Ausbildung an seinem „Institut Français de la Main“ absolviert oder waren Mitarbeiter des Instituts.

Raoul Tubiana ist 1915 in Algerien geboren, mit 17 Jahren kam er zum Medizinstudium nach Paris. 1939 trat er als Interne in die Neurochirurgische Klinik von Dr. Dudaille ein, wurde aber wegen des Kriegsausbruches eingezogen, Nach einiger Zeit konnte er sein Internat an der Salpetrière in der Allgemeinchirurgie bei Antonin Gosset fortsetzen und hatte durch Jean Gosset den ersten Kontakt mit der Handchirurgie. Dieser assistierte ihm z. B. seine erste Operation bei Morbus Dupuytren. Er war neben Marc Iselin einer der wesentlichen ­Pioniere der französischen Handchirurgie.

1942 ging Tubiana nach Algerien und diente weiter als Truppenarzt. In dieser Zeit lernte er M. Converse kennen, der in einem alliierten Lazarett eine Abteilung mit rekonstruktiver Chirurgie betrieb. R. Tubiana war tief beeindruckt von den Rekonstruktionsmöglichkeiten der Plastischen Chirurgie, die er selbst bald danach bei seinen Einsätzen z. B. auf Korsika anwenden konnte. Zurück in Frankreich lernte er noch bei der Armee Merle d’Aubigné kennen, den späteren Ordinarius für Orthopädie am Hôpital Cochin. Dieser hatte ihn bereits in den letzten Kriegsjahren zusammen mit M. Converse in einer Spezialabteilung für rekonstruktive Chirurgie am Hôpital Léopold Bellan angestellt und nahm ihn als Chef de Clinique (Oberarzt) mit ans Hôpital Cochin. Dort blieb er bis 1972 als Handchirurg, vor allem aber als Leiter der Schwerverbrannten-Abteilung. Dort habe ich ihn 1968 während meines Studiums besucht: freundlich, ruhig und zielstrebig hat er sich seinen Weg durch das alltägliche Chaos einer typischen Abteilung der Pariser Assistance publique gebahnt.

1972 in einem eher reifen Alter begann er dann das große Wagnis des „Institut Français de la Main“–Niederlassung mit zunächst 2 Kollegen – Alain ­Gilbert und Régis Lisfranc – in einer Gemeinschafts­praxis und einer Privatklinik in der Avenue Franklin. Das Institut entwickelte sich rasch zu einem Mekka, nicht nur der französischen Handchirurgie: Aus aller Welt kamen Assistenten zu Studienaufenthalten für mehrere Monate oder Jahre. Heute befindet sich das Institut in der Clinique Jouvenet und wird von 12 Handchirurgen geführt, die dort in einem Kollegialsystem mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten arbeiten.

„Ich muss schreiben, um die Dinge zu begreifen“ sagte Raoul Tubiana. Der wichtigste Meilenstein seiner Publikationen ist die 6-bändige Opera­tionslehre, die er mit vielen seiner Schüler und Freunde herausgegeben hat. In den letzten Jahren hat er sich viel mit Musikerhänden, mit der Dystonie und ihrer Therapie beschäftigt und hat 2 Bücher darüber geschrieben. Auch zur bildenden Kunst hatte er ein enges Verhältnis und pflegte Freundschaften mit vielen zeitgenössischen Malern und Bildhauern. Verheiratet war er mit Claude Delay, eine Psychoanalytikerin und Schriftstellerin. Ihr Appartement im obersten Geschoss eines Hauses am Quai des Augustins im Herzen von Paris mit Blick auf die Ile de la Cité und den Louvre war das Heim kunstliebender Bildungsbürger. In einem lesenswerten Interview beschreibt er seinen Lebensweg vor allem als lange Reihe von Begegnungen und Freundschaften, die sein Handeln und Denken geprägt haben.

Als Fulbright-Stipendiat war Raoul Tubiana ab 1951 für ein Jahr in den USA. Ein halbes Jahr davon verbrachte er bei Sterling Bunnel in San Francisco, dessen „Surgery of the Hand“, damals die Bibel für die Handchirurgen weltweit war.

Chicago und New York waren weitere Stationen, wo er Koch, Mason, Allen und Littler kennenlernte. Vor allem Littler wurde zum festen Bestandteil der GEM-Tagungen in Paris, wo er gern seine eleganten Zeichnungen mit Kreide auf der Tafel skizzierte, um operationstechnische oder anatomische Details zu erklären. Auch zur englischen Handchirurgie pflegte Tubiana enge Beziehungen zu Seddon, Pulvertaft, McIndoe und Graham Stack. Er war häufiger Gast sowohl im „British Hand Club“ als auch in dem von Graham Stack gegründeten „Second Hand Club“.

Politisch war Tubiana ein eher im Hintergrund agierender kluger Stratege, der z. B. zusammen mit O’Brien den Austausch der späteren entscheidenden Mikrochirurgen Alain Gilbert und Vaine Morrison für jeweils ein Jahr vermittelte. Der GEM-„Groupe pour l’Étude de la Main“ wurde vor allem auf seine Initiative hin gegründet.

Mit Begeisterung erinnert er sich an die Anfänge der Handchirurgie, wo noch jeder jeden kannte, man mit vielen per Du war und Ideenaustausch und Freundschaft oft Hand in Hand gingen.

Prof. Dr. med. M. Greulich