Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(12): 579
DOI: 10.1055/s-0034-1369912
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Beziehungsmedizin“: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie heute

Relationship-centered care: Psychosomatic medicine and psychotherapy today
W. Herzog
1   Sprecher der Leitenden Hochschullehrer für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
,
J. Kruse
2   1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie
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Publication Date:
11 March 2014 (online)

Anlass für dieses Schwerpunktheft ist der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der in der Zeit vom 26. bis 29.03.2014 an der Freien Universität in Berlin unter dem Titel „Moderne Zeiten – Antworten der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie“ stattfindet. Dieser Kongress zeigt die Bandbreite der psychosomatischen Forschung und Versorgung in Deutschland auf – ein lebendiges Feld, das auch für den Nachwuchs sehr gute Perspektiven bietet.

Die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hat in Deutschland wichtige Ursprünge in der Inneren Medizin. Viktor von Weizsäcker (Heidelberg) und Thure von Uexküll (Gießen, Ulm) waren Protagonisten eines integrierten bio-psycho-sozialen Gesamtverständnisses der Medizin. Aktuelle Herausforderungen erwachsen aus gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Sowohl chronische Krankheit als auch Multimorbidität gehen mit einer zunehmenden psychischen Beeinträchtigung einher, die nicht selten auch die gängigen Therapiekonzepte in Frage stellt.

Für die psychosomatisch-psychotherapeutische ärztliche Versorgung hat sich in Deutschland ein dreistufiges Konzept etabliert. Die psychosomatische Grundversorgung stellt die psychosomatische Basisversorgung in der Hand des primär somatisch tätigen Arztes dar. Sie erlaubt einen psychosomatischen Verständnis- und Therapieansatz in der haus- und fachärztlichen Versorgung. Die Zusatzbezeichnung „Psychotherapie – fachgebunden“ ermöglicht den Erwerb von psychotherapeutischen Kompetenzen für Ärzte aus somatischen Fachgebieten. Sie schafft den Rahmen für die Integration der Psychotherapie in die Arbeit eines primär somatisch tätigen Haus- und Facharztes. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie arbeitet als Spezialist für den psychosomatisch-psychotherapeutischen Ansatz mit intensiver psychotherapeutischer Weiterbildung. Über 3000 Praxen dieser Fachärzte und zusätzlich mehr als 2000 somatische Fachärzte mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie bilden zusammen mit Allgemeinmedizinern, Internisten und anderen Fachärzten mit einer Weiterbildung in Psychosomatischer Grundversorgung die wichtigste Säule der ambulanten Versorgung psychosomatischer Patienten mit Multimorbidität und hoher Krankheitslast. Weitere Säulen sind ca. 5000 Psychiater und Nervenärzte sowie 13 000 psychologische Praxen. Ärzte für Psychosomatische Medizin sind die ärztlichen Psychotherapeuten im Gesundheitssystem. Patientenpräferenzen, z. B. bei Depressionen oder unerklärten Schmerzstörungen, zeigen, dass Fachärzte für Psychosomatische Medizin nach ihren Hausärzten die primären Ansprechpartner sind. Etwa 7000 Krankenhausbetten für Psychosomatische Medizin, psychosomatische Konsiliar-/Liaisondienste stellen die Krankenhausversorgung, 17000 Betten im Bereich der Rentenversicherung die Rehabilitation psychosomatischer Patienten sicher.

In den vergangenen 20 Jahren hat eine Professionalisierung und Entideologisierung des Faches stattgefunden, bei dem die Auseinandersetzung um Therapieschulen an Bedeutung verloren hat. Im Fokus der Forschung stehen psychosomatische Interventionsstudien, Gesundheitsstudien und Versorgungsforschung sowie die Grundlagenforschung (Herzog W, Beutel M, Kruse J Psychosomatische Medizin und Psychotherapie heute. Stuttgart, Schattauer 2013).

Die Beiträge dieser Ausgabe greifen aktuelle Themen der Psychosomatik in der Onkologie, der Kardiologie und bei nicht spezifischen, funktionellen und somatoformen Störungen auf:

  • Schiel et al. berichten über eine Studie zum multidisziplinären Versorgungsbedarf psychisch belasteter Krebspatienten in einem Comprehensive Cancer Center. Ihre Arbeit gibt Hinweise darauf, dass onkologische Patienten mit starker psychischer Belastung einen erheblichen Bedarf sowohl an psychoonkologischer Unterstützung als auch an Sozialarbeit, Ernährungsberatung und Bewegungsangeboten haben.

  • Albus, Ladwig und Hermann-Lingen geben einen Einblick in die Bedeutung psychosozialer Faktoren für Entwicklung und Verlauf zahlreicher Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie beschreiben die Empfehlungen für die psychosomatische Diagnostik und Therapie bei diesen Patienten in der internistischen und allgemeinärztlichen Praxis.

  • Einen neuen Forschungsansatz greifen Lossnitzer et al. in ihrer Arbeit zur Bedeutung der „psychischen Widerstandsfähigkeit“ für die Verarbeitung der chronischen Herzinsuffizienz auf. Demnach ist eine geringe Resilienz bei herzinsuffizienten Patienten mit erhöhter Depressivität verbunden.

  • Patienten mit nicht spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden stellen die Ärztinnen und Ärzte in der haus- und fachärztlichen Versorgung vor besondere Probleme. Sattel et al. stellen die evidenzbasierten S3-Leitlinien zum Umgang mit diesen Patienten vor. Angesichts des fragmentierten Versorgungssystems ist die Definition von Schnittstellen in der Versorgung im Rahmen eines „stepped care“-Ansatzes von zentraler Bedeutung.