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DOI: 10.1055/s-0034-1370290
Rheuma: Ziel ist ein normales Leben für die Patienten
Rheumatism: normal life is the aim for all patientsPublication History
Publication Date:
02 September 2014 (online)
Lebensqualität und Lebenserwartung sind zwei wesentliche Outcome-Parameter chronischer Erkrankungen. Mit „Rheuma“ ist vor allem die Einschränkung der Lebensqualität durch Behinderung und Schmerzen scheinbar untrennbar verbunden, leben muss man damit. Und als ich vor etwa 30 Jahre mit der Rheumatologie begann, lernte ich wirklich zunächst, damit zufrieden sein zu müssen, wenn es meinen Patienten nicht schlechter ging. Eine wirklich gute Perspektive konnte man den Betroffenen kaum aufzeigen.
Seitdem hat sich erfreulicherweise viel verändert: Die Diagnostik ist besser und es gibt neue Möglichkeiten in der Therapie, die sich kontinuierlich erweitern. Und obwohl die Menschen mehr denn je kommunizieren und zum Beispiel in Ländern wie Deutschland jeder Betroffene und jeder Therapeut jede notwendige Information jederzeit bekommen kann, besteht eine der größten Herausforderung auch der modernen Medizin darin, die kontinuierlichen Entwicklungen auch den Betroffenen zukommen zu lassen, die sie benötigen.
Die Absicht der Herausgeber und Autoren für dieses Schwerpunkheft Rheumatologie ist es, den Lesern der DMW die Möglichkeiten und Grenzen dieser neuen Optionen in der Rheumatologie Evidenz-basiert näher zu bringen. Und wir haben verstanden, dass die reine Wissensvermittlung nicht ausreicht, damit diese Optionen den Erkrankten auch zugutekommen. Vielmehr brauchen alle an der Behandlung Beteiligten ein anderes Bild von Menschen mit Rheuma. Dies gilt insbesondere für Menschen mit entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen, von denen in diesem Heft beispielhaft die rheumatoide Arthritis oder der systemische Lupus erythematodes dargestellt werden.
Zum bisherigen Bild von rheumatischen und muskuloskeletalen Erkrankungen passt gut, dass sie etwa 40 % aller chronischen Erkrankungen in Europa ausmachen, bei mehr als 50 % zu dauerhaften, meist funktionellen Einschränkungen führen und damit verbunden zu Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit.
Es ist auch richtig, dass wir diese Erkrankungen unverändert nicht heilen können, aber in den meisten Fällen können wir einer bedeutsamen Behinderung zuvorkommen. „Rheuma“ trifft Menschen zumeist mitten im Leben und wir können heute dafür sorgen, dass sie mit ihrem „Rheuma“ genauso gut leben können wie Menschen mit einem gut eingestellten Hypertonus. Das ist eine neue Perspektive und um diese einzunehmen sind Änderungen unseres Denkens und Handelns notwendig.
Wir benötigen sicher eine frühe Diagnose – und damit verbunden am besten in den ersten 3 Monaten der Erkrankung eine angemessene Therapie. Gegenüber Patienten mit Hypertonie haben Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung den Nachteil, dass es zur Diagnose nicht einfach einen Messwert gibt. Das ist auch weiter so und fordert den Diagnostiker in uns. Dafür bieten die meisten Menschen mit Rheuma ein eindeutiges Leitsymptom: Schmerzen am Bewegungsapparat! Und – erster Schritt des Umdenkens und Handelns – bis zum Beweis des Gegenteils steht hinter jedem neuen Schmerz am Bewegungsapparat das Risiko einer entzündlichen rheumatischen Erkrankung. Jeder neue Schmerz am Bewegungsapparat hat eine Ursache, deren Genese es zu finden gilt und für die meisten Ursachen gibt es eine angemessene Therapie mit der Chance, einen Progress der Symptome und Erkrankung zu verhindern.
Die Chance der Verbesserung der Prognose ist durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln sicher für die Erkrankungen mit dem größten Risiko für einen Progress am größten. Deshalb besteht für die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen die größte Notwendigkeit für eine Frühdiagnose; dies macht Klaus Krüger am Beispiel der rheumatoiden Arthritis sehr anschaulich deutlich (S. 1823). Der Beitrag gibt eine sehr gute Übersicht über die Möglichkeiten der Frühdiagnose und der gezielten Intervention mit einem klaren Therapieziel, dem Erreichen einer Remission. Wenn man diesen Artikel sorgfältig studiert, erkennt man das neue Handlungskonzept für die rheumatoide Arthritis. Wir warten nicht mehr, bis bereits etwas zerstört ist, wir handeln proaktiv. Das birgt natürlich auch das Risiko, dass wir Menschen mit krankheitsmodifizierenden Therapien behandeln, die diese möglicherweise nicht benötigen.
Zum Glück haben wir mit den Antikörpern gegen citrullinierte Peptide (ACPA ) neue Marker für die Diagnose. Wie wir diese in optimaler Weise nutzen, machen die Pro&Contra-Beiträge von Christof Specker und Markus Gaubitz sehr schön deutlich (S. 1842–1843). Diese neuen Marker sind auch ein gutes Beispiel dafür, dass jedes neue Element in Diagnose und Therapie zunächst immer einer richtigen Einordnung bedarf, bis es seinen optimalen Platz gefunden hat. Denn in der Rheumatologie gibt es kein Symptom oder keinen Befund mit 100 %iger Sensitivität und Spezifität. Und rheumatoide Arthritis ist nicht gleich rheumatoide Arthritis und damit gibt es auch keine Therapie, die allen hilft. Wir müssen noch besser präventiv handeln. Dafür ist es wichtig, die richtigen Menschen für eine noch frühere Therapie zu identifizieren.
Dafür brauchen wir zum einen eine optimale Einschätzung der aktuellen Krankheitssituation und ein sensitives Read-Out für unsere therapeutische Intervention. Zum anderen müssen wir dafür die Risiken unseres Handelns sicher abschätzen können, vor allem für neue Therapien.
Phillip Sewerin und Benedikt Ostendorf geben in ihrem Beitrag „Neue bildgebende Verfahren in der Rheumatologie: From bench to bedside“ eine exzellente Übersicht über neue Möglichkeiten der Bildgebung für Diagnose und Therapiemonitoring entzündlich-rheumatischer Erkrankungen (S. 1835). Noch ist der Standard das normale Röntgenbild des Skelettsystems. Allerdings bleibt uns damit die aktuelle Aktivität des Prozesses und damit der Zerstörung weitgehend verborgen. Für Sonographie, MRT, PET und entsprechende Kombinationen brauchen wir jedoch noch weitere Evaluationen und Standardisierungen um sie gezielt nutzbringend in der Breite einsetzen zu können. Für den Einzelfall, das macht der Beitrag sicher deutlich, können sie auch heute schon einen nützlichen Beitrag zur Diagnosefindung oder Therapieentscheidung liefern.
Unter dem zentralen Aspekt der Lebensqualität hat die Sicherheit der Betroffenen für alle angewandten Therapien eine zentrale Bedeutung. Während akute unerwünschte Ereignisse meist schon in den Zulassungsstudien erkannt werden, sind mögliche Langzeitfolgen gerade bei chronisch Kranken erst über eine längerfristige Analyse erkennbar. Die Rheumatologie hat dafür Register aufgelegt, die erfreulicherweise zeigen, dass hocheffektive Therapien nicht unbedingt gefährlicher sein müssen als weniger wirksame. Anja Strangfeld und Angela Zink fassen in ihrem Beitrag die Erkenntnisse der Registerdaten zusammen (S. 1817). Es ist ihnen darüber hinaus gelungen, die Patienten mit hohem Risiko z. B. für Infektionen zu identifizieren, so dass wir Ärzte bereits zu Beginn der Therapie die Menschen erkennen können, die unsere erhöhte Aufmerksamkeit und eine besondere Aufklärung benötigen.
Spätestens in diesem Artikel wird deutlich, dass die Betreuung von Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen zumindest den ganzen Internisten benötigt. Denn ein wesentlicher Faktor für das Risiko moderner Therapien sind Komorbiditäten. Menschen mit chronisch entzündlichen Erkrankungen haben über inflammatorische Vorgänge vor allem ein erhöhtes Risiko für Arteriosklerose-assoziierte Erkrankungen. Dazu kommt in dem besonderen Fall der Affektionen des muskuloskeletalen Systems auch noch der Bewegungsmangel als potentielles Risiko hinzu. Diese Begleiterkrankungen entscheiden letztendlich die Prognose der Patienten. Deswegen haben wir diesen einen eigenen Artikel gewidmet, in dem Katinka Albrecht das Problem sehr anschaulich darstellt, wie auch die Aufgaben, die sich daraus ergeben (S. 1844).
Eine Stufe komplexer wird der oben geschilderte Komplex für Menschen mit systemischen Lupus erythematodes (SLE). Auch für den SLE sind eine frühe Diagnose, angemessene Therapie, Kontrolle der Krankheitsaktivität, Verhinderung von irreversiblem Schaden durch Krankheit und Therapie und vor allem Prävention von zentraler Bedeutung. Allerdings ist hier der Grat zwischen richtig und falsch noch schmaler und eine Fehlentscheidung kann lebensbedrohlich sein. Gerade deshalb ist es wichtig, dass jeder Arzt die Grundprinzipien der Behandlung versteht, deren Essenz Martin Aringer und ich zusammengestellt haben (S. 1813). Aus den letzten Jahrzehnten wissen wir, dass nahezu jede Entscheidung in der Frühphase der Erkrankung Langzeitkonsequenzen hat. Das heißt, wir sehen die unerwünschten Konsequenzen unseres aktuellen Handelns zum Teil erst nach Jahren und dann sind sie meist irreversibel. Jede Therapie oder Nicht-Therapie muss deshalb nicht nur für den Kurzzeiteffekt beurteilt, sondern auch für Langzeitkonsequenzen. Denn zum Glück leben viele Patientinnen heute lange mit der Diagnose SLE. Und wir wollen, dass sie damit auch gut leben.
Die wesentliche Botschaft für Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist daher heute: eine frühe Diagnose und die heutigen therapeutischen Optionen ermöglichen ihnen auch mit „Rheuma“ ein weitgehend normales Leben. Dass wir die Erkrankungen (noch) nicht heilen können, bedeutet für die Betroffenen eigentlich nur, dass man regelmäßig überwacht wird, man selbst sich aktiv mit der Erkrankung auseinander setzt und sein Leben so gestaltet, wie es jeder Gesunde optimalerweise auch sollte: gesunde Ernährung, nicht rauchen, ausreichend Bewegung und die Signale des Körpers wahrnehmen. Das wird den Betroffenen vor allem auch dann erleichtert, wenn ihr Umfeld „Rheuma“ nicht gleich mit Behinderung verbindet, sondern sie wie Menschen mit hohem Blutdruck oder noch wie Gesunde behandelt, die allerdings sagen dürfen, wenn für sie etwas nicht in Ordnung ist.