Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0034-1370960
FESSH Reisestipendium: Hand Trauma Zentren Europas
FESSH Travel Award: Hand Trauma Centres in EuropePublication History
eingereicht 09 February 2014
akzeptiert 12 February 2014
Publication Date:
28 April 2014 (online)
Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung für den FESSH Travel Award war das Pilotprojekt „Hand Trauma Allianz“ (www.handverletzung.com) im Kreis München und Umgebung bereits aus der Wiege gehoben. Daher war es meine Intention eben dieses Reisestipendium zu nutzen, um in die Länder Europas zu fahren, die bereits ein funktionierendes Netzwerk für Handverletzungen etabliert haben, und deren Strukturen zu studieren, zu analysieren und natürlich mit „Tipps und Tricks“ zurück zu kommen, und die gesammelten Impressionen in unser eigenes Projekt einfließen zu lassen [1]. Die Wahl der Stationen fiel nicht gerade leicht. Da es mittlerweile über 100 zertifizierte FESSH Hand Trauma Zentren gibt, musste ich hier bereits die erste, schwierige Entscheidung treffen. Da ich natürlich so viel wie möglich an Anregungen mit nach Hause bringen wollte, entschied ich mich das 4-wöchige Stipendium aufzuteilen, sodass ich möglichst viele verschiedene Impressionen sammeln konnte. Rückblickend kann ich sagen, dass es durchaus möglich ist innerhalb von 5 Tagen den Aufbau des Handtraumasystems des jeweiligen Krankenhauses grob zu analysieren und mit den zuständigen Handchirurgen die Vor- und Nachteile ihres Systems zu eruieren.
Meine Wahl der Aufenthaltsorte fiel zunächst auf die Länder mit den erfahrensten Netzwerken bezüglich akuter Versorgung von Handverletzungen. So verbrachte die erste Hälfte des Stipendiums in Frankreich und die zweite Hälfte in Italien. Um die Zeit meiner Abwesenheit möglichst gering zu halten, entschied ich mich die 2-wöchigen Hospitationen jeweils mit einem halben Jahr Abstand durchzuführen.
Geleitet durch die Ratschläge von Thierry Dubert, der derzeit der Präsident der FESUM (Fédération des Services d’Urgences de la Main) ist [2], brachte mich meine erste Reise in die Hauptstadt der Region Nord-Pas-de-Calais nach Lille: eine französische Großstadt an der Grenze zu Belgien. Dort durfte ich unter der Aufsicht von Dr. Patrick Leps ein interessantes Krankenhaussystem, welches halb privat und halb öffentlich strukturiert ist, kennenlernen ([Abb. 1]). Dr. Leps und sein Team (bestehend aus 3 weiteren Plastischen Chirurgen) zeigten mir eindrucksvoll wie ästhetische Chirurgie und akute Handverletzungen unter „ein Dach“ (allerdings nicht räumlich, da es 2 getrennte Häuser mit einer Distanz von 50 m waren) gebracht werden können. Die akuten und gesetzlich versicherten Patienten werden mit 7 weiteren Orthopäden (Handchirurgen) im großen Haus betreut. Jährlich werden hier etwa 4 600 akute Handverletzungen versorgt. Die ästhetische Sprechstunde der Plastischen Chirurgen und die Nachbehandlung der Selbstzahler findet im angrenzenden „Cabinet Archimed“ statt. Das tägliche OP Programm inklusive der OP-Schwestern war für uns „Deutsche“ perfekt strukturiert und man hatte als Außenstehender das Gefühl, dass insbesondere auch was das Zeitmanagement betrifft äußerst effizient gearbeitet wurde. Ähnlich effizient waren auch die handchirurgischen Sprechstunden strukturiert. In 4 Stunden hat ein Chirurg circa 60 Patienten in 3 Untersuchungszimmern gesehen. Selbst die Beschilderung der Autobahn wurde nahtlos in dieses nahezu perfekte System integriert, da Hinweisschilder für Hand Trauma Zentren in Frankreich zum gängigen Straßenschild-Repertoire gehören (1).
Nachdem ich aus dem Osten Frankreichs einmal quer durch in den Westen fuhr, erreichte ich die Universitätsstadt Nantes. Hier erwartete mich nicht nur ein komplett anderes Stadtbild, sondern ebenso ein völlig neues Konzept in der Versorgung akuter Handverletzungen. In Nantes durfte ich Dr. Philippe Bellemere kennenlernen. Dr. Bellemere ist Orthopäde und Handchirurg, sowie leitender Arzt eines Teams von 6 Handchirurgen, welche in der Clinique Jeanne d’Arc arbeiten. Die Klinik gehört einer privaten Gruppe der „Nantes Assistance Main“ an und ist ausschließlich auf Handchirurgie spezialisiert. Gemeinsam mit 6 Physio- und Ergotherapeuten behandeln die Chirurgen jegliche Art von Handpathologien. Jährlich werden rund 5 500 akute Traumata operativ versorgt. Dr. Bellemere ist nicht nur national aktiv [3] – auch international ist er Vorreiter im Bereich der Therapie akuter Handverletzungen. Dr. Bellemere fungierte zwischen 2008 und 2011 als Präsident der FESUM, ist Mitglied des Hand Trauma Komitees (HTC) der FESSH (Federation of European Societies for Surgery of the Hand) und Vorsitzender des Präventions Komitees. Er war maßgeblich daran beteiligt ein System in Frankreich zu etablieren, welches sich zum Ziel gesetzt hat akute schwere Handverletzungen standardmäßig von einem dafür ausgebildeten Chirurgen versorgen zu lassen ([Abb. 2]). Dass die Etablierung eines solchen Systems nicht kurzfristig geschehen kann, hat Dr. Bellemere mit seiner Ausdauer und dem konsequenten Festhalten an der Idee innerhalb der letzten 20 Jahre gezeigt. Er trägt ohne jeden Zweifel einen hohen Anteil am großen Erfolg der FESUM. Mir selbst war es eine große Ehre mit Dr. Bellemere arbeiten zu dürfen. Er und seine Frau haben mir neben den fachlichen Hintergründen auch noch die kulturellen Highlights ihrer Heimat gezeigt.
Nach einer Sommerpause und dem Start des eigenen Hand Trauma Netzwerkes ging es im Herbst in die zweite Etappe – zunächst für eine Woche nach Mailand zu Prof. Giorgio Pajardi. Prof. Pajardi ist der Direktor der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie der Universität Mailand. Auch er ist national und international in Handchirurgischen Gesellschaften aktiv [4]. Aktuell ist er der Präsident der Italienischen Gesellschaft für Handchirurgie. Pajardi und sein Team sind an 3 Standorten vertreten. Ich habe ihn im „Ospedale San Giuseppe“ im Zentrum der Stadt besucht. Obwohl Pajardi Universitätsprofessor ist, gehört das Krankenhaus einer privaten Gruppe an. Ein ähnliches Kliniksystem wie in Lille. Und ein weiterer Standort, welcher einen 24 h Traumadienst anbietet und darüber hinaus makellos organisiert ist. Aufgrund der Bekanntheit von Prof. Pajardi und der Größe des Einzugsgebietes gab es auch in Mailand viele spannende Fälle für mich zu sehen. Besonderes eindrucksvoll, abgesehen von den vielfältigen akuten Verletzungen, war das Steckenpferd von Prof. Pajardi – die Operation von kindlichen Fehlbildungen – zu sehen und die vielen verschiedenen Operationsmöglichkeiten zu bestaunen. Im Anschluss ging es zum letzten Stopp meiner Reise nach Turin. Dort besuchte ich Dr. Bruno Battiston in dem Universitätskrankenhaus „CTO“ (Centro Traumatologico Ortopedico) ([Abb. 3]). Dr. Battiston ist Leiter der Traumatologie und selbst Orthopäde. Er gehört zur Gruppe der Turiner Mikrochirurgen, welche eine Vereinigung aus Plastischen Chirurgen und Orthopäden ist. Gemeinsam hat sich diese Gruppe das Ziel gesetzt, akute Handverletzungen zu versorgen. Auch hier lernte ich ein neues Konzept kennen, welches mich besonders begeisterte, denn es hatte sich ein Team aus 2 verschiedenen Facharztrichtungen gebildet, welche gemeinsame Interessen verfolgen und in Hinsicht auf die Versorgung von Handverletzungen ein gemeinsames Dienstmodell entwickelt haben. Auch Dr. Battiston engagiert sich international in der FESSH. Er ist aktives Mitglied des Accreditation Committees der FESSH [5].
Es ist schwer bis unmöglich alle Impressionen in nur wenigen Seiten auszudrücken, daher möchte ich mich im Folgenden ausschließlich auf die herausragenden wesentlichen Aspekte konzentrieren: Ein 24 h Replantationsdienst bedarf gemeinhin einer Mindestanzahl an fachlich ausgebildeten Handchirurgen. Die 4 besuchten Zentren verdeutlichten mir jedoch, dass diese Mindestanzahl durch ausgeklügelte Zeit- und Klinikmodelle reduziert werden kann, ohne die Funktionalität zu beeinflussen. Ein weiterer Aspekt, den ich auch in allen Kliniken in Bezug auf die postoperative Versorgung und somit den Therapieerfolg beobachten konnte, ist die enge Zusammenarbeit mit Ergo- und Physiotherapie. In allen 4 Häusern waren speziell ausgebildete Handtherapeuten ansässig, welche Seite-an-Seite mit den Chirurgen zusammen gearbeitet haben. Rückblickend war es gerade für mich als junge Plastische Chirurgin in der Weiterbildung eine tolle Erfahrung 4 bedeutende Handchirurgen in deren Kliniken besuchen zu dürfen und Einblicke in diesen hochspezialisierten Bereich zu gewinnen und meinen Horizont erweitern zu können vor allem im Hinblick auf die Herausforderungen des gelungenen Start des Pilotprojekts Hand Trauma Allianz München [6]. Ich möchte daher Dr. Leps, Dr. Bellemere, Prof. Pajardi und Dr. Battiston ganz herzlich für die Zeit danken und der FESSH für das Ermöglichen dieser unvergesslichen Erfahrungen.
-
Literatur
- 1 Giunta R. Hand Trauma Zentren – Chancen der Vernetzung. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 315-317
- 2 Dubert T, Merle M. The French Initiated FESUM – Historical Development, Experience and Perspectives. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 323-325
- 3 Bellemere P, Guimberteau JC. Experience of a National Campaign for Hand Trauma Prevention in France. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 335-338
- 4 Pajardi GE, Cortese D. The Italian CUMI. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 332-334
- 5 Battiston B, LetiAcciaro A, DeLeo A. The Role of the FESSH Hand Trauma Committee in Europe. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 326-331
- 6 Haas EM, Volkmer E, Holzbach T et al. Über Versorgungsstrukturen und Möglichkeiten der Optimierung durch Vernetzung bei schweren Handverletzungen und Replantationen. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 318-322