neuroreha 2014; 06(02): 49-50
DOI: 10.1055/s-0034-1383829
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gemeinsam geht’s besser

Susanna Freivogel
,
Jan Mehrholz
,
Wolfgang Fries
,
Martin Lotze
,
Klaus Starrost
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. Juni 2014 (online)

In der Neurorehabilitation genossen Gruppentherapien – vor allem im funktionell-motorischen Bereich – lange Zeit ein geringeres Ansehen als Einzeltherapien. Das hatte zum einen mit der Vorstellung zu tun, dass diese Behandlungsform weniger wirksam sei, weil der Therapeut sich ja weniger um den Einzelnen kümmern könne, und zum anderen damit, dass als Grund der Gruppentherapien vorwiegend wirtschaftliche Motive angenommen oder unterstellt wurden. Nachdem Gruppentherapien bereits für die Psychotherapie in Kliniken und Praxen zunehmend an Bedeutung gewonnen hatten, weil sie gegenüber der Einzeltherapie zusätzliche Wirkfaktoren aufweisen und insbesondere als verhaltenstherapeutische Gruppentherapie sehr gut evidenzbasiert sind, zeigt sich auch in der wissenschaftlichen Literatur zur neurologischen Rehabilitation zunehmend, dass Gruppeninterventionen – auch in funktionell-motorischen Therapien – oft wirksamer sind als Einzelinterventionen. In Anpassung an diesen Kenntnisstand werden zunehmend bewegungstherapeutische Interventionen in Form von Kleingruppen angeboten.

Gruppen-Interventionen sind oft wirksamer als Einzel-Interventionen und das gemeinsame Trainieren fördert die Motivation und die Kooperation der Beteiligten.

Der positive Effekt von Gruppenbehandlungen liegt neben den motivationalen und sozialen Aspekten auch in der Förderung motorischer Lernprozesse in der Gruppe begründet. Dabei stehen sich Einzel- und Gruppentherapie nicht alternativ gegenüber, sondern ergänzen sich. Welche Behandlungsform angemessen ist, hängt unter anderem von der Reha-Phase, in der sich der Patient befindet, und von den Zielen, die in der Behandlung verfolgt werden, ab. Das vorliegende Heft soll deshalb die Grundlagen, Konzepte, Möglichkeiten und Grenzen von Gruppentherapien beleuchten und damit auch Entscheidungshilfen geben, wann Behandlungen in der Gruppe indiziert und möglicherweise auch effektiver sind als Einzeltherapien.

Zunächst geben Thorsten Stein und Klaus Bös in ihrem Beitrag einen Überblick über die Grundlagen zum motorischen Lernen und diskutieren die Befunde zum motorischen Lernen aus der Sportwissenschaft, der Psychologie und der Neurowissenschaft im Kontext der Neurorehabilitation. Den speziellen Aspekt des Lernens am Modell als einen wichtigen Bestandteil in Gruppentherapien vertieft Carolin Braun zusammen mit Thorsten Stein und Klaus Bös, indem sie zunächst einen kurzen Einblick in die theoretischen Grundlagen zum Modelllernen gibt, empirische Befunde zu verschiedenen Aspekten des Modelllernens aufarbeitet und schließlich die praktischen Implikationen dieser Forschungsergebnisse diskutiert. Für den Fertigkeitserwerb motorischer Leistungen braucht es vier Faktoren: Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Verhalten und Motivation. Wie diese Transformation auf der Basis von Beobachtungen motorischer Aktivitäten beim Lernenden generiert wird, ist noch nicht geklärt – eine gemeinsame neuronale Basis hierfür könnten die Spiegelneuronen sein.

Der Beitrag Wii-gestütztes Gleichgewichtstraining in der Gruppe von Claudia Roth und Carmen Kremer beleuchtet, wie durch die Verwendung von virtuellen Übungsangeboten mit Spielkonsolen sich neue Möglichkeiten für Gruppentherapien eröffnen. In ihrer Untersuchung bevorzugten alle interviewten Patienten das Gruppentraining mit der Wii und gaben als Grund dafür die unterstützenden Gespräche, den Ansporn und Wettbewerbscharakter, Spaß, Selbstbestätigung, Zeit zum Ausruhen sowie Abwechslung im Therapiealltag an. Das begleitende Anfeuern und das gemeinsame Lachen wurden als besonders motivierend hervorgehoben.

Wenn sich allerdings die Anforderungen an der individuellen Leistungsgrenze des Patienten bewegen, wie zum Beispiel beim Trampolintraining, ist die Einzeltherapie dem Gruppentraining überlegen. Dies berichtet Claudia Miklitsch in ihrem Vergleich von Balancetraining in Gruppen vs. individuelles Trampolintraining in der Rehabilitation nach Schlaganfall.

Die psycho-sozialen Wirkmechanismen und Bedingungen in Gruppentherapien legt Sigrid Seiler in ihrem Beitrag dar und schlüsselt sowohl die Wirkfaktoren in Gruppen als auch die Bedingungen für therapeutische Gruppen sowie Formen und Modelle der Gruppentherapie in der Neurorehabilitation und deren Effektivität und Evidenz auf. Sie weist darauf hin, dass die Aufgabe in einer Gruppe mit unterschiedlichen Menschen mit verschiedenen komplexen Einschränkungen ihrer Fähigkeiten, aber auch unterschiedlichen Erwartungen und Stadien der Entwicklung zu arbeiten, ausgesprochen komplex ist und eine große Herausforderung für die Gruppenleiter darstellt. Deshalb sind an die Qualifikationen und Basisfertigkeiten eines Leiters von Gruppentherapien in der Neurorehabilitation besondere Anforderungen zu stellen und den durchführenden Therapeuten von Gruppentherapien muss auch die Möglichkeit geboten werden, diese vorab zu erwerben.

Christa Petersen berichtet aus der Praxis vom Malen in der Gruppe: Kunsttherapie in der Neurologischen Rehabilitation. In dem kreativen Prozess des Malens in der Gruppe werden die generellen Aspekte von Gruppentherapien nochmals deutlich, nämlich dass die Gruppe sowohl Schutzraum für die eigene Person als auch Bezogenheit auf andere bietet und damit die Erfahrung ermöglicht, mit den Schwierigkeiten nicht alleine da zu stehen. Motivation und Vertrauen in sich selbst werden unterstützt, in dem Erfolge der Mitpatienten als stellvertretende Erfahrungen für die eigenen dienen. Erfahrungen, die im abschließenden Bericht eines Patienten eindrücklich bestätigt werden.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre, die vielleicht auch Impulse geben kann, Ideen für Gruppeninterventionen selbst zu entwickeln.

Ihre Herausgeber

Susanna Freivogel, Jan Mehrholz, Wolfgang Fries, Klaus Starrost und Martin Lotze