physiopraxis 2014; 12(07/08): 63
DOI: 10.1055/s-0034-1387120
physiospektrum
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Musik in der Therapie – hilfreich oder störend?

Samira Ventura

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Publication Date:
24 July 2014 (online)

„Musik motiviert, beruhigt und bricht manchmal sogar das Eis zu Patienten.“

PRO „Music is the key ... to the heart of all people”– so lautet der Refrain eines Liedes. Und er entspricht genau meinen Erfahrungen in der Therapie: Musik motiviert – wer würde denn gerne Aerobic ohne Musik machen? Musik beruhigt – jeder hat schon einmal bei leisen Klängen oder Melodien entspannt. Und mancher Patient mit Morbus Parkinson tut sich sogar beim Gehen mit Musik leichter.

Ich denke, jeder hat einen Musiktitel oder eine Melodie, die Erinnerungen wachrufen. Über Musik kommt man daher mit vielen Patienten ins Gespräch. Mir half sie schon oft, das Eis in der Therapie zu brechen. Natürlich muss man abwägen, wann sie angebracht ist. Ich mag zum Beispiel Entspannungsmusik im Wartebereich, um den Patienten vom Alltagsstress zu erlösen und auf die Behandlung einzustimmen. Ob ich dann auch noch die Therapie musikalisch untermale, mache ich vom Patienten und seiner Situation abhängig.

Meine eindrücklichste musikalische Erfahrung in der Therapie hatte ich mit einer Patientin, die an Multipler Sklerose erkrankt ist. An jenem Tag kam sie mit einer sehr starken Spastik im rechten Arm. Da sie Gitarrenklänge liebt und meine Kollegin zufällig an diesem Tag ihre Gitarre dabei hatte, kamen wir auf die Idee, mit der Patientin Gitarre zu spielen. Es dauerte zwar ein bisschen, bis wir das Musikinstrument so positioniert hatten, dass wir mit ihren Finger über die Saiten streichen konnten. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Die Spastik ließ nach. Ein überwältigender Moment.

„Läuft das Radio im Hintergrund, lauscht der Therapeut eher den Nachrichten als seinem Patienten.“

KONTRA Natürlich gibt es auch für Musik während der Behandlung gewisse „Kontraindikationen”. Musiker zum Beispiel, die den ganzen Tag mit Melodien und Klängen konfrontiert sind, möchten in ihrer Freizeit lieber ihre Ruhe. Auch Menschen, die den ganzen Tag in irgendeiner Art und Weise beschallt werden – sei es auf der Baustelle oder in hippen Modegeschäften –, sind meiner Erfahrung nach in der Therapie über Stille dankbar. Ich selbst habe während meiner Ausbildung abends Aerobic-Kurse gegeben – selbstverständlich mit passender Musik. Nach fünf Stunden Kurs wollte ich zu Hause am liebsten weder sprechen noch zuhören. Ich wollte einfach nur die Ruhe genießen.

Bei Patienten, die ihren Körper nicht richtig spüren und zum Beispiel lernen müssen, ihren Bauch korrekt anzuspannen, finde ich es ungut, mit Musik im Hintergrund zu arbeiten. Denn dadurch wirken zu viele Reize ein und lenken den Patienten vom konzentrierten Arbeiten ab. Sind die Bewegungen erlernt und automatisiert, kann der Therapeut die Musik wieder einsetzen.

Ich bin auch ein Gegner davon, den ganzen Tag das Radio in der Praxis laufen zu lassen. Wenn Musik, dann auf den Patienten und seine Problematik abgestimmt. Meiner Meinung nach besteht zudem die Gefahr, dass sich der Therapeut vom Radio ablenken lässt und eher den Nachrichten lauscht, anstelle dem Patienten zuzuhören. Schwierig wird es natürlich auch, wenn der Patient einen komplett anderen Musikgeschmack hat als der Therapeut. Wenn Musik, dann sollte sie unbedingt für beide Seiten ein Gewinn sein.

→ Das nächste Thema lautet „Uniform in der Praxis – seriös oder affig?”. Ihre Argumente für oder gegen Einheitskleidung mit Praxislogo schicken Sie bis zum 17. August 2014 an kathrin.bauer@thieme.de. Die beste „Bewerbung” erhält den Zuschlag und 40 Euro Honorar.