Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(40): 1975
DOI: 10.1055/s-0034-1387344
Editorial
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„Choosing Wisely“ – Vermeiden unnötiger medizinischer Maßnahmen

„Choosing wisely“ – avoiding unnecessary medical procedures
M. Hallek
1   Klinik I für Innere Medizin, Universität zu Köln
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Publication Date:
25 September 2014 (online)

Bei der Abklärung und Therapie vieler Krankheiten stellt sich dem klinisch tätigen Arzt oft die Frage, bei welchem Patienten welcher diagnostische oder therapeutische Aufwand sinnvoll ist. Diese Frage hat mindestens zwei Aspekte: 1. Welche Maßnahme oder welcher Eingriff kann dem Patienten sinnvoll erspart werden? Überwiegen die Risiken den potenziellen Nutzen? 2. Welche Kosten lassen sich dadurch vermeiden? Die Frage nach dem sinnvollen Einsatz von Ressourcen sollte stets in zweiter Linie erfolgen. Dennoch sind besonders wir Ärzte aufgefordert, alles wirklich Überflüssige an medizinischen Leistungen zu vermeiden, um die Sozial- und Solidarsysteme nicht zu überfordern.

Aus diesem Grund wird das Thema Vermeidung unnötiger medizinischer Leistungen im Zentrum des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) 2015 stehen. In den Vereinigten Staaten ist eine breite, durch viele Fachgesellschaften unterstützte Initiative entstanden: „Choosing Wisely“. Sie strebt an, die Beziehung zwischen Arzt und Patienten zu verbessern und wesentliche Informationen bezüglich einer unnötigen Nutzung medizinischer Ressourcen zu erarbeiten. Diese Initiative hat in den vergangenen Jahren ein Programm initiiert, in dem die Fachgesellschaften oder Spezialisten aller Gebiete der Medizin Listen mit den fünf Maßnahmen erstellen, von denen sie derzeit die stärksten Effekte im Sinne einer Reduktion von unnötigen Maßnahmen oder Kosten erwarten. Jede dieser Listen ist gestützt durch die evidenzbasierten Empfehlungen klinischer Leitlinien oder zumindest durch den Konsens von Experten (Expert Opinion). Nach dieser Arbeitsweise haben inzwischen viele angesehene Fachgesellschaften Listen mit fünf Maßnahmen definiert, die auf ihrem Gebiet regelmäßig zu häufig angewandt werden. Diese Informationen werden auf der Website von „Choosing Wisely“ verbreitet, aber auch von den Fachgesellschaften selbst (Beispiele siehe Kasten).

www.choosingwisely.org

Ein Beispiel: Auf der Website von Choosing Wisely zeigt die American Academy of Family Physicians – wie viele andere amerikanische Fachgesellschaften – fünf wesentliche Maßnahmen, um unnötige Leistungen einzusparen.

  • Führen Sie keine Bildgebung für Kreuzschmerzen innerhalb von 6 Wochen durch, außer wenn zusätzlich weitere Zeichen („red flags“) vorhanden sind.

  • Verschreiben Sie bei akuter, milder bis moderater Sinusitis nicht routinemäßig Antibiotika, außer wenn die Symptome mehr als 7 Tage anhalten oder wenn sich die Symptome während der initialen klinischen Phase verschlechtern.

  • Führen Sie kein Osteoporose-Screening mit Dual-Energy X-ray Absorptiometry (DEXA) bei Frauen unter 65 Jahren oder Männern unter 70 Jahren durch, wenn keine Risikofaktoren vorliegen.

  • Veranlassen Sie keine jährlichen EKGs oder andere kardiologischen Untersuchungen für Patienten mit niedrigem Risiko ohne Symptome.

  • Führen Sie keine Pap-Abstriche bei Frauen unter 21 Jahren durch oder bei Frauen, die eine Hysterektomie wegen nicht-bösartiger Erkrankungen hatten.

Die Vorschläge riefen international wie in Amerika Kritik hervor. Einer der Hauptkritikpunkte war, die Maßnahmen seien für eine versteckte Rationierung in der Gesundheitsfürsorge gedacht. Dies ist jedoch sicher nicht die Absicht der DGIM. Im Gegenteil: Es geht darum, unnötige Maßnahmen einzusparen, ohne die Qualität der Versorgung zu beeinträchtigen. Hierfür müssen unter Umständen neue Anreize gesetzt werden, da im Gesundheitswesen meist Dinge vergütet werden, die man tut, aber nicht solche, die man bewusst unterlässt. Unser Gesundheitssystem fördert somit, Behandlungen und diagnostische Schritte zu empfehlen und nicht das Gegenteil. Es scheint ein Gebot der Vernunft, über einen sinnvollen Einsatz der wertvollen Ressourcen des Gesundheitswesens gerade in Deutschland und Mitteleuropa zu diskutieren, um verantwortungsbewusst mit unseren finanziellen Mitteln umzugehen und um dieses in seiner Anlage vorbildliche, solidarische System zu erhalten.

Die DGIM hat sich daher vorgenommen, auch in Deutschland für diesen Themenkomplex zu sensibilisieren. Es wurde eine Task Force „Unnötige Leistungen“ der DGIM (Vorsitz: Prof. Hasenfuß, Göttingen) eingerichtet, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Die amerikanische Initiative „Choosing Wisely“ gibt sicherlich Anregungen. Sie ist allerdings nicht in allen Fällen auf die europäischen oder deutschen Verhältnisse übertragbar. Dennoch glaubt der Vorstand der DGIM, dass dieses Vorgehen ein enormes Potenzial für sinnvolle Einsparungen im Gesundheitswesen bietet. Ein erhöhtes Bewusstsein in diesen Fragen kann sicher zu einer Qualitätsverbesserung in der Medizin insgesamt führen. In diesem Sinne sind gemeinsame Anstrengungen der Ärzteschaft erforderlich.