PPH 2014; 20(05): 242-243
DOI: 10.1055/s-0034-1390252
Szene
Larses Lyrische Lebensberatung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie gebe ich jemandem die Hand?

Lars Ruppel
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Publication Date:
23 September 2014 (online)

„Sich die Hand geben“ ist an sich schon eine Formulierung die beschreibt, was viele Menschen tun, wenn sie sich begrüßen: Sie übergeben die eigene Hand für eine kurze Zeit in die Hand des Anderen und umgekehrt. Dann liegt sie da, schlaff und leblos wie ein Gegenstand oder warm und feucht wie eine im Sand gestrandete Qualle.

Dabei wird das neu geformte Gebilde aus zwei Händen ruckartig hoch und runter bewegt und die Situation schnellstmöglich beendet. Währenddessen schaut man sich nicht in die Augen, tauscht jedoch Floskeln aus. So nehme ich viele Begrüßungen wahr. Dabei ist dieser Erstkontakt zu einem anderen Menschen die Grundlage für das weitere Verhältnis und sei es auch noch so zeitlich begrenzt.

Der erste Eindruck bei der Begrüßung setzt sich zusammen aus vielen Faktoren. Kleidung und Aussehen sind oberflächliche Merkmale, denen wir leider viel zu oft zu viel Glauben schenken. Im Pflegeberuf darf man sich nicht an solchen Dingen festhalten. Für die Beurteilung des Zustands unseres Gegenübers müssen wir viel genauer hinsehen. Nervosität, Traurigkeit, Müdigkeit, Angst lassen sich mit einem Augenkontakt feststellen. Jedoch ist der Händedruck in der nonverbalen Kommunikation der erste Dialog, der sich direkt fühlbar entwickelt.

Wir treffen jeden Tag viele Menschen, die unsere Hilfe benötigen, sei es medizinisch, hauswirtschaftlich, sozial oder bürokratisch. Diese Zeit des Zusammenlebens wird Zusammenarbeit genannt und kann allen Beteiligten erleichtert werden, wenn man sich gegenseitig als mehr wahrnimmt, denn als Kunde, Arzt, Klient oder „Zimmer 17“. Und dazu gehört eine empathische Wahrnehmung des Anderen von Beginn an.

Wer sich selbst bei meinen Beschreibungen wiedererkennt, braucht keine Angst zu haben, denn Begrüßungen kann man lernen. Lesen Sie zunächst das untenstehende Gedicht „Deine Hände“ von Ingrid Zimmermann. Der nächsten Person, die Sie treffen, sagen Sie nicht protokollartig „Hallo“ und schütteln ihre Hand. Geben Sie ihr das Gefühl, dass Sie jetzt, in diesem Moment, für sie da sind und sich Zeit nehmen, sie wahrzunehmen. Probieren Sie aus, wie viel Sie von dem, was Sie sagen möchten, über den Händedruck kommunizieren können. Wie fest Sie drücken, wie Sie Ihren Daumen bewegen, ob Sie die andere Hand auf die umschlungenen Hände legen, wie nahe Sie dem anderen kommen – all das gilt es, wiederzuentdecken.

Positive Validation beginnt in dem Moment, in dem Sie einen Raum betreten, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Mein wunderbarer Zahnarzt weiß, welche Angst ich vor seinen Werkzeugen habe und weil er ein wunderbarer Zahnarzt ist, sagt er sein „Hallo, Herr Ruppel“ schon so mitfühlend und ruhig, dass ich seine ausgestreckte Hand ergreife wie ein Schiffbrüchiger den Rettungsring. Dann reden wir kurz über Sport oder Zahnarztbrillen und währenddessen hält er meine Hand und blickt in meine von Angstschweiß blinden Augen.

Dass er mir während unseres Gesprächs schon zwei Zähne ohne Betäubung gezogen hat, merke ich daher erst dann, wenn ich meine Krankenkassenkarte am Empfang abhole. Die Mitarbeiterin am Empfang ist genauso mitfühlend und deshalb gehe ich dort gerne hin.

Bei meinen ersten Einsätzen in Pflegeeinrichtungen habe ich viele Dinge neu lernen müssen, die ich bis dahin für selbstverständlich hielt. Dass ich nämlich nicht enttäuscht sein muss, wenn jemand auf meine Worte nicht reagiert, weil viele gar nicht auf meine Worte reagieren können. Das bemerkte ich bei einer Frau, der ich meine Hand auf die reglosen Hände ihres reglosen Körpers legte und bemerkte, dass sie mit minimalen Bewegungen ihres Zeigefingers gegen meine Handinnenfläche den Takt meines Gedichts miterlebte.

Wir bewegen uns in dieser schnelllebigen Gesellschaft sehr schnell aneinander vorbei. Die angespannte Personalsituation in vielen Pflegeeinrichtungen beschleunigt das Ganze noch weiter. Und doch sollten wir uns nicht die Zeit nehmen lassen, die wir einander geben können.

Lesen Sie das nächste Mal:

Wie nehme ich Abschied?

Deine Hände

Deine Hand so weich und warm
nimmt die meine zum Gruße an,
oder auch zum festen Griff.

Neben Halten und Gehaltenwerden,
zwischen Geben und Nehmen.
Ohne Ahnung für die meisten von uns,
ist der Gebrauch der Hand
in der Pflege die größte Kunst.

Ohne aber hinzuspüren,
wenn sich Haut und Hand berühren,
oft die Schmerzen größer sind.
Zeigt dir selber, wenn es dir gelingt,
wie anders jetzt ich reagiere,
wenn ich deine Liebe spüre.

Weil deine Hand das Werkzeug ist,
mit der du all dein Tun vermittelst.
Ohne Ahnung, dass ich spüre,
wie im Moment deine Gedanken sind.
Zusammen als Einheit,
ohne Trennung sie dir gegeben sind.

Oft ziehst du den Handschuh an,
weil Hygiene Vorschrift ist.
Weißt du, dass es schrecklich ist,
wenn meine Haut nur Plastik spürt?

Es ist so selten geworden,
dass mich jemand berührt.

Oder hast du vor mir Angst,
mit Gefühl mir zu begegnen?
Offensichtlich die Barriere ist,
weil du nicht die Distanz vergisst.

Nähe ist nicht leicht für dich.
Ohne Angst nicht zu ertragen.
Worte können niemals sagen,
was deine Hände wortlos geben:
Sie sind ein Fluch
oder der größte Segen.

Ingrid Zimmermann
aus: Zimmermann I. Beobachtungen des Alltags von Kranken und Gesunden: Nachdenkliches und Wissenswertes. Aurach: Verlag Zimmermann (im Auracher Buchversand Brockhaus); 1991; ISBN 3-928568-02-7

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Wir wünschen viel Hörvergnügen!


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