Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2014; 24(06): 333-334
DOI: 10.1055/s-0034-1395525
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

In memoriam
Professor Dr. med. Malte Bühring
* 8.1.1939 – † 18.9.2014

R. Stange
1   Immanuel Krankenhaus, Klinik für Innere Medizin, Abteilung Naturheilkunde, Berlin
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Publication Date:
15 December 2014 (online)

Nach langer, schwerer Krankheit verstarb Herr Bühring am 18. September 2014. Die Beerdigung fand im Kreis der Familie und engster früherer Mitarbeiter statt.

Wir trauern um eine der führenden Persönlichkeiten der Naturheilkunde der letzten Dekaden.

Sein Lebenswerk galt dem Verständnis und der Verbreitung naturgemäßer Therapien unter Patienten, Studenten und Kollegen.

Bühring verfocht stets das Ziel einer wie er zu sagen pflegte vernünftigen Medizin auf einfachen natürlichen Grundlagen, die den Kollegen rational nachvollziehbar und erforschbar, dem Patienten transparent bleiben und ihm zusätzlich Raum für Eigeninitiative bieten sollte. Ebenso betonte er das Recht des Patienten auf naturgemäße Behandlung. Ansätze auf spekulativem argumentativen Boden, auch wenn sie gerade en vogue waren, blieben ihm stets suspekt, und er zögerte auch nicht, dies offen zu äußern. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht.

14 Jahre als erster ordentlicher Professor für Naturheilkunde in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg und Leiter der klinischen Abteilung in Berlin waren ab 1989 der Höhepunkt seiner Laufbahn. Symbolträchtig erfolgte 3 Wochen nach seinem Dienstantritt der Mauerfall, der die kollegiale Verbindung zur großen Tradition der Charité ermöglichte. In der damaligen Aufbruchszeit – die Naturheilkunde entwickelte sich gerade aus einer viel praktizierten, aber schlecht integrierbaren, z.T. auch nicht integrationsbereiten Randposition in eine inzwischen an vielen medizinischen Fakultäten angesiedelte akademische Disziplin mit Verankerung in Approbationsordnung und Lernzielkatalog und von verschiedenen Ärzteammern unterstützten Weiterbildungskursen – schienen auf einmal auch angesichts des großen Nachholbedarfs in den Neuen Bundesländern bis dahin nie für möglich gehaltene Entwicklungen realisierbar.

Sein wichtigster Beitrag war neben der Initiierung konkreter Vorhaben das Vorleben einer Haltung, die die naturheilkundliche und zunehmend auch die komplementärmedizinische Szene immer wieder auf ihre Verantwortung bezüglich Plausibilität und wissenschaftlicher Überprüfbarkeit hinwies. Das war etwa Ende der 80er-Jahre keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus glaubte er fest an die Koalitionsfähigkeit entsprechend eingestellter Ärzte mit der konventionellen „Medizin, lange bevor der Begriff ‚Integrative Medizin‘ geboren wurde. Das Verharren als vermeintlich Angefeindeter in Nischen und Außenseiterpositionen war ihm verhasst.

In diese bewegten Jahre fielen u. a. wichtige publizistische Tätigkeiten: zusammen mit Hugo Kemper war er von 1992 bis 2004 über 12 Jahre, die 33 Auslieferungen und rund 4 000 Seiten umfassten, Begründer und Herausgeber der Loseblatt Sammlung ‚Naturheilverfahren‘ (Springer Verlag, eingestellt 2009). Etwa zeitgleich übernahm er die Aufgabe, sich an Konzeption und Herausgabe der seit 1993 erscheinenden Zeitschrift ‚Forschende Komplementärmedizin‘ (Karger) zu beteiligen. Später trug sie sehr deutlich auf seinen Wunsch während mehrerer Jahrgänge den Zusatz ‚und Klassische Naturheilkunde‘.

Der Gründung einer europäischen Gesellschaft für Klassische Naturheilkunde, die diese Interpretation in einer manchmal auch sehr starren Abgrenzung zur aufkeimenden Komplementärmedizin international verbreiten sollte, widmete er zeitweilig seine ganze Energie und Autorität auch in schwierigen Diskussionen. Er wurde 1996 ihr 1. Präsident, nachdem mehrere vorbereitende Konferenzen von einer euphorischen Aufbruchsstimmung geprägt waren. Indes, die Gesellschaft verlor nach seinem turnusmäßigen Wechsel zum Past-president an Dynamik und Profil.

Gleichzeitig zehrte der Kampf ums Überleben einer erfolgreichen und von der Bevölkerung wie einweisenden Ärzten gewünschten klinischen Abteilung in den Wirren der Berliner Gesundheitspolitik, die auf Betten- und Klinikschließungen beharrte. Standort- und Trägerwechsel der Abteilung von Berlin-Moabit nach Wannsee ließen nur noch wenig Raum für visionäre Projekte. Auch verspürte Bühring jetzt erste Zeichen seiner ihn noch viele Jahre bis zum Tod begleitenden, später stark beeinträchtigenden Krankheit, die Reisen und Kongresse zunehmend mühevoll werden ließen.

Bühring war ein aufrechter Mensch. In einer sehr kritischen Situation, als die Schließung des Berliner Krankenhauses, in dem die Abteilung für Naturheilkunde untergebracht war, unausweichlich schien, und alle wussten, dass insbesondere leitende Ärzte bereits ihre Fühler für die Zeit danach ausgestreckt hatten, ließen sie sich für eine PR-Kampagne als Heroen des Kampfes gegen die Schließung darstellen. Bühring nicht, weil er das scheinheilig fand, was ihm erwartungsgemäß große Kritik brachte.

Bührings akademische Karriere begann unter Gunther Hildebrandt in Marburg, wo er nicht nur eine stark physiologisch geprägte wissenschaftliche Schule durchlief, sondern ihn auch die Neugier und Hochachtung für die Feinheiten, den Rhythmus, die Selbstregulation des Menschen in gesunden und kranken Tagen erweckte. Eine logische Fortsetzung war der Wechsel zu Karl Pirlet an die Abteilung für Innere Medizin Department Physikalisch-diätetische Medizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main, wo er durch die Habilitation zur ‚Klinik der Hyperthermie‘ und die kommissarische Abteilungsleitung nach Pirlets Emeritierung seine Profilierung für eine Berufung auf eine ausbaufähige Dauerposition erwarb. Als nahezu kleine Ironie der Geschichte und Glück für uns sollte nicht seine vorangehende Bewerbung für Wien, sondern diejenige für Berlin reussieren. Der friedliche Wettstreit der beiden Fakultäten als den weltweiten Meinungsbildnern um 1900 hatte durch den Wiener Vorstoß und den Berliner Nachzug überraschenderweise der Wasser- und Naturheilkunde die akademische Tür geöffnet.

In den 80er Jahren war eine akademische Szene, aus der sich später eine wissenschaftlich fundierte Naturheilkunde hätte herausbilden können, am ehesten in der Physikalischen Medizin anzutreffen. Einige von Bührings akademischen Freunden aus dieser Phase haben allerdings nicht nachvollziehen können, dass er sich der Herausforderung stellte, eine Professur für Naturheilkunde anzunehmen, um hier in die von vielen gewähnte ‚Schmuddelecke‘ etwas Licht und Ordnung zu bringen. Bühring hingegen sah nach der Wende sofort und zu Recht eine große Chance, in einer Koalition aus Naturheilkundler-Wessis und Physiotherapie-Ossis, die mehr Gespür für die Bedeutung wie eigene wissenschaftliche Erfahrung etwa mit Saunatherapie, Lymphologie oder Manueller Medizin als ihre westlichen Kollegen aus der Physikalischen Therapie auf zu wiesen schienen, ein umfassendes Fachgebiet zu schaffen, dass sich der Physis des Menschen und nicht der Physik des therapeutischen Instrumentariums verschreiben würde. Leider erfüllte sie sich nicht. Die Chance, gemeinsam ein als Facharzt anerkanntes Gebiet unter der zahlenmäßigen Überlegenheit der westlichen Kollegen aus der Physikalischen Therapie in der komplexen Realität von Ärztetagen durchzubringen, bewog die Mehrheit der Ossis, dem neu zu gründenden Fachgebiet ‚Physikalische Medizin und Rehabilitation‘ beizutreten.

Licht als Mittel der Prävention wie der Therapie war eines von mehreren führenden Themen. Schon in Frankfurter Zeiten hatte die Gruppe mit Reinhard Saller, später Professor für Naturheilkunde in Zürich, und Albrecht Falkenbach ganz neue positive Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System beschrieben – eine Frankfurter Schule die der aufkommenden Hybris einer regelrechten Ächtung des Sonnenlichtes mutig entgegentrat. Diese Arbeiten wurden dann in Berlin mit Rolfdieter Krause fortgesetzt und führten auch zu Michael Holick nach Boston. Natürliche oder künstliche UV-Bestrahlung als physiologisches Regulans des Vitamin D-Haushaltes waren damals für die Indikationen Hypertonie wie terminale Niereninsuffizienz völlig neu.

Bühring beherrschte die hohe Kunst, den Diskussionspartner so zu begegnen, dass der vielleicht nicht ausräumbare Unterschied zur eigenen Position kein Hinderungsgrund für Wertschätzung war. Und zu diskutieren liebte er! Dazwischen konnten spontane Rezitationen von Goethe, Morgenstern, Eichendorff oder anderen ebenso mitten in eine angestrengte medizinische Diskussion wie meist zur großen Überraschung des Angesprochenen auch am Krankenbett erfolgen – sie trafen die Situation immer auf den Punkt! Malte Bühring war eine hochgebildete Persönlichkeit ohne jeden Dünkel – Einfachheit des Gegenübers war für ihn nie ein Hindernisgrund für einen herzlichen Dialog, wohl aber dessen Arroganz und Eitelkeit. Verstarb ein Patient, bemühten wir uns um eine persönliche Würdigung jenseits der medizinischen Einschätzung. Mit großer Verantwortlichkeit ging er auch bei jeder Unverträglichkeitsreaktion der Frage nach, ob eigenes Fehlverhalten im medizinischen Zeitgeist sowie der Praxis unserer Klinik, nicht einer speziellen Person, hätte im Spiel sein können.

Im Namen ehemaliger Mitarbeiter, Kollegen, Schüler, Freunde und sicherlich auch vieler Patienten möchten wir großen Dank aussprechen für die äußerst anregenden und produktiven Jahre, die wir mit unserem Chef verbringen konnten – einer Persönlichkeit, die sich neben anspruchsvollen intellektuellen und wissenschaftlichen Ambitionen auch durch große literarische, historische und zwischenmenschliche Qualitäten auszeichnete, insgesamt eine ärztliche Persönlichkeit, wie man sie kaum noch findet.

Die Liebe zur großen Literatur, nahm im Hause Bühring vor allem dank der Begeisterung seiner Ehefrau Dorothea einen großen Raum ein, der wir gemeinsam mit den 3 Töchtern, Schwiegersöhnen, Enkeln und Urenkeln unser Beileid aussprechen.

Rainer Stange, Berlin