Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(06): 267-268
DOI: 10.1055/s-0034-1395688
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme zu den Gastkommentaren und zu den Leserbriefen zu dem Artikel Säuglingssterblichkeit in Deutschland (2008–2012) – niedriger im Osten?, ZGN 2014; 218: 153–163

A. Trotter
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C. v. Schnakenburg
,
F. Pohlandt
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Dezember 2014 (online)

Stellungnahme zu den Gastkommentaren und zum Leserbrief zu dem Artikel Säuglingssterblichkeit in Deutschland (2008–2012) – niedriger im Osten?, ZGN 2014; 218: 153–163

Zusammen mit dem o. g. Artikel wurden 2 Gastkommentare von Herrn Dr. Heller, AQUA-Institut, Göttingen und Prof. Dr. Hummler, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Ulm veröffentlicht. 2 Leserbriefe folgten von Herrn Prof. Dr. Jorch, Universitätskinderklinik Magdeburg und Herrn Prof. Dr. Thome, Selbständige Abteilung Neonatologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin im Zentrum für Frauen- und Kindermedizin, Universität Leipzig. Wir danken den genannten Autoren für ihre kritischen Anmerkungen und nehmen gerne Stellung dazu.

Herr Dr. Heller [1] meint, 3 relevante methodische Fehler in unseren Analysen zu sehen, und stellt somit unsere Schlussfolgerungen in Frage.

  1. Die Daten seien nicht risikoadjustiert: Eine Unterteilung der deskriptiven Auswertung in 100 g-Kategorien statt der wie von uns vorgenommenen Gruppierung in 500 g-Kategorien ist nicht sinnvoll, weil in der Fachliteratur und auch bei politischen Strukturdiskussionen 500 g-Kategorien sehr viel verbreiterter sind. Dr. Heller bleibt den Nachweis schuldig, dass eine Adjustierung nach 100 g Gewichtsklassen zu anderen Ergebnissen führt als die nach 500 g Gewichtsklassen.

  2. Es fehle ein schlüssiges Analysekonzept zum Umgang mit fehlenden Werten: Im Abschnitt Methoden wurde beschrieben, dass als Null gewertet wurde, wenn für eine bestimmte Gewichtsgruppe keine Fälle von den Standesämtern gemeldet wurden (nach Rücksprache mit dem stat. Bundesamt und dem stat. Landesamt Baden-Württemberg).

  3. Zufällige Ergebnisse müssten von relevanten Ergebnissen unterschieden werden. Im Abschnitt Methoden wurde ausdrücklich mitgeteilt: Die Auswertungen sind rein deskriptiv. Daraus ergibt sich, dass alle rechnerisch gefundenen Unterschiede, und selbst wenn der p-Wert noch so klein war, nur eine Hypothesen generierende Kraft haben, nicht jedoch eine konfirmative Beweiskraft.

Die zusammengefasste Betrachtung der Tot- und Lebendgeborenen wird kritisiert, da die Prävention von Totgeborenen wohl nur zu einem geringen Teil durch die Perinatalzentren erfolgen würde. Leider sind uns keine Zahlen bekannt, die beschreiben, wann und zu welchem Anteil der intrauterine Tot auftritt. Wir haben unseren Gedanken deshalb eindeutig als Hypothese formuliert.

Die methodische Einschränkung der Korrelation Anzahl von Frühgeborenen pro Perinatalzentrum zur Sterblichkeit, die auch von Herrn Hummler angeführt wurde, ist bereits im Abschnitt Einschränkungen unseres Artikels thematisiert worden.

Der Einschätzung, dass unsere Analysen aufgrund erheblicher methodischer Mängel überwiegend nicht interpretierbar sind, stimmen wir insoweit zu, dass die vorgelegten Zahlen keine konfirmative Beweiskraft haben. Das war uns bei der Planung der Auswertung durchaus bewusst und wurde im Methodenabschnitt beschrieben. Immerhin stimmt Herr Heller dem Ergebnis unserer Auswertung zu, dass in den westlichen Bundesländern keine erhöhte Kindersterblichkeit nachzuweisen ist. Andererseits lassen die Zahlen und Abbildungen vermuten, dass zwischen einigen Bundesländern erhebliche Unterschiede bei der Kindersterblichkeit bestehen.

Hummler führte die EPICure 2 Studie [2] an, die eine signifikant niedrigere (adjustierte) Mortalität in Perinatalzentren der höchsten im Vergleich zur niedrigeren Versorgungsstufe gefunden hat. Darüber hinaus hatten Level 3 Zentren mit “high activity” niedrigere Gesamtmortalitäten als Level 3 Zentren mit “median activity”. Die Bewertung der EPICure Studien [2] [3] als methodisch gut durchgeführte Studien lässt Hummler offenbar vergessen, dass auch die Ergebnisse der EPICure Studien nur Hypothesen generieren können. Nichts ist bekannt darüber, wie sich die proaktiven und konservativen Geburtshelfer und Neonatologen auf die „high“ und „median activity“ Zentren verteilen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Eigenschaften der Ärzte die Ergebnisse erheblich beeinflussen [4] [5] [6] [7] [8]. Dies zeigt sich auch bei den Ergebnissen der EPICure 2 Studie, bei der in Level 2 Zentren signifikant mehr Frühgeborene als in Level 3 Zentren nicht reanimiert wurden (14 vs. 8%, p=0,002). Vergleicht man die Mortalitäten exklusive der vorgeburtlich und der im Kreissaal Verstorbenen findet sich kein Unterschied zwischen Level 3 und Level 2 Zentren (37,7 vs. 40,4%, p=0,34, Chi-Quadrat Test). Ein “median activity” Level 3 Zentrum in England hat als Strukturvorgabe≥1 Consultant, der≥50% neonatologisch eingesetzt wird, eine ganz willkürliche Kategorisierung. Die Strukturanforderungen eines Perinatalzentrums der höchsten Versorgungsstufe in Deutschland sind wesentlich umfangreicher. Unsere Daten ergaben keine Anhaltspunkte für eine fallzahlorientierte Mortalität unter den aktuellen Strukturen in Deutschland. Beide EPICure Studien erlauben von ihrer Anlage her ebenso wie unsere nur deskriptive Aussagen. Die Suggestion einer stärkeren Zentralisierung aufgrund der EPICure Studien entbehrt damit einer soliden Grundlage. Wertende Urteile über die Qualität von einzelnen Studien, die nur Hypothesen generieren – betrifft unseres Wissens alle Studien zu dieser Thematik in der Vergangenheit -, führen nicht weiter. Somit sind auch die Ergebnisse der EPICure Studien nicht auf Deutschland übertragbar.

Die Frage von Herrn Jorch, wie ein Verschiebebahnhof vor Ort organisiert sein könnte, der unsere These einer niedrigeren Mortalität im Osten auf Basis einer höheren Totgeborenenrate bei den Kindern mit 500–999 g GG erklären könnte, müssen wir zurückgeben. Ob die alternative Spekulation von Herrn Jorch, nämlich der Verzicht auf experimentelle Therapien in von vorneherein aussichtlosen Fällen, eine Erklärung für den Ost-West Unterschied sein kann, wagen wir angesichts einer Überlebensrate von 85% in dieser Gruppe zu bezweifeln.

Zu Herrn Thome: Unsere Analyse der Daten des statistischen Bundesamtes wurde ausgelöst durch eine Behauptung in den Medien, dass die Frühgeborenenversorgung in den östlichen Bundesländern besser sei, hergeleitet aus der niedrigeren Säuglingssterblichkeit. Dabei ergab sich, neben der Neugeborenensterblichkeit auch die Rate der Totgeborenen zu untersuchen.

Ad 1. Herr Thome meint festzustellen, dass die Unterschiede in der Häufigkeit der Totgeborenen ohne Gewichtsangabe größer sind als die Unterschiede der Häufigkeiten der Totgeborenen mit 500–999 g Geburtsgewicht. Richtig ist, dass insgesamt 4 082 Totgeborenen mit 500–999 g 233 Totgeborene ohne Angaben des Geburtsgewichtes gegenüberstehen (Tab. 2). Selbst wenn alle 233 Totgeborenen ohne Geburtsgewicht 500–999 g gewogen hätten, würde dies nur 5,4% des Gesamtkollektivs ausmachen. In Baden-Württemberg waren in 5 Jahren lediglich 3 Kinder als totgeboren ohne Gewichtsangabe gemeldet.

Um die Einschränkung durch fehlende Gewichtsangaben teilweise zu umgehen, wurde die Summe aus Totgeborenen und Gestorbenen ins Verhältnis gesetzt zur Gesamtzahl aller Geborenen. Das Ergebnis war für West (5,45‰) und Ost (5,29‰) ähnlich (p=0,12).

Ad 2. Wir sind uns nicht sicher, was Herr Thome mit dem Adjektiv „länderübergreifend“ meint. Wir haben keine länderübergreifenden sondern länderspezifische Durchschnittswerte für die Korrelation zwischen der Zahl an Lebendgeborenen pro PNZ Level 1 und der neonatalen Sterblichkeit berechnet (Abb. 5). Wenn die Größe eines Perinatalzentrums in Deutschland tatsächlich einen deutlichen Einfluss auf die Neugeborenensterblichkeit hätte, müsste das in Abbildung 5 zu sehen sein.

Ad 3. Die Einsortierung von Berlin als West-Land ist nicht Willkür der Autoren, sondern leitet sich aus der entsprechenden Datensammlung des statistischen Bundesamtes ab.

Ad 4. In den Legenden der Abbildungen 1 bis 4 ist jeweils angegeben, für welches Bundesland der gefundene Wert im Chi-Quadrat Test signifikant vom Wert für Deutschland abweicht. Daraus ergibt sich, auch ohne weitere Erklärung, dass die Fallzahlen für die Bundesländer ohne Signifikanzangaben zu klein sind, um die Abweichungen vom Wert für Deutschland signifikant werden zu lassen. Die kleinen Fallzahlen erklären auch, wie Herr Thome richtig vermutet, warum die Reihenfolge der Bundesländer in den Abbildungen unterschiedlich ist. Schlussfolgerungen wurden aus der Abfolge der Bundesländer nicht gezogen.

Ad 5. Wir bedauern den Fehler in der Abbildung 1b (Rate Totgeborener 1 000-1 499 g), können allerdings nicht nachvollziehen, dass der Gesamteindruck der Abbildung bei richtiger Markierung ein ganz anderer sei. Wir haben in den Ergebnissen allein die Streuung zwischen den Bundesländern beschrieben, nicht aber die Reihenfolge der Länder. Im Übrigen finden sich in Abb. 1b mit Ausnahme von Sachsen Anhalt (ST, höchste Rate an Totgeborenen in Deutschland) keine signifikanten Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Die von Herrn Thome erwähnten (jedoch nicht wortwörtlich genannten) Statistik-Zitate “Es gibt 3 Arten der Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken (Mark Twain)” und “Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe (Sir Winston Churchill)” sind ebenso wenig hilfreich wie die von ihm als bedauerlich bezeichnete mangelnde wissenschaftliche Qualität in der Diskussion um die optimalen Versorgungsstrukturen.

 
  • Literatur

  • 1 Heller G. Gastkommentar, Säuglingssterblichkeit in Deutschland (2008–2012) – niedriger im Osten?. Z Geburtsh Neonatol 2014; 218: 10
  • 2 Marlow N, Bennett C, Draper ES et al Perinatal outcomes for extremely preterm babies in relation to place of birth in England: the EPICure 2 study. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2014; 99: F181-F188
  • 3 Costeloe K, Hennessy E, Gibson AT et al The EPICure study: outcomes to discharge from hospital for infants born at the threshold of viability. Pediatrics 2000; 106: 659-671
  • 4 Hakansson S, Farooqi A, Holmgren PA et al Proactive management promotes outcome in extremely preterm infants: a population-based comparison of two perinatal management strategies. Pediatrics 2004; 114: 58-64
  • 5 Serenius F, Ewald U, Farooqi A et al Short-term outcome after active perinatal management at 23–25 weeks of gestation. A study from two Swedish tertiary care centres. Part 2: infant survival. Acta Paediatr 2004; 93: 1081-1089
  • 6 Herber-Jonat S, Schulze A, Kribs A et al Survival and major neonatal complications in infants born between 22 0/7 and 24 6/7 weeks of gestation (1999–2003). Am J Obstet Gynecol 2006; 195: 16-22
  • 7 Serenius F, Ewald U, Farooqi A et al Short-term outcome after active perinatal management at 23–25 weeks of gestation. A study from two Swedish tertiary care centres. Part 1: maternal and obstetric factors. Acta Paediatr 2004; 93: 945-953
  • 8 De Leeuw R, Cuttini M, Nadai M et al Treatment choices for extremely preterm infants: an international perspective. J Pediatr 2000; 137: 608-616