Zeitschrift für Phytotherapie 2014; 35(05): 207
DOI: 10.1055/s-0034-1395778
Editorial
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Hohe Akzeptanz von Phytopharmaka – aber was bringt die Zukunft?

Karen Nieber

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 October 2014 (online)

Deutschland galt früher als die „Apotheke der Welt“. An diesem Ruf hatten die hierzulande entwickelten pflanzlichen Arzneimittel einen bedeutenden Anteil. Seit Jahren bestätigen alle Umfragen das große Vertrauen der Bevölkerung in die pflanzlichen Arzneimittel. Mehr als 80% der Bevölkerung sind der Meinung, dass sie gut wirksam sind, jeder zweite lobt sie wegen ihrer geringen Nebenwirkungen. Doch gerade diese bewährten Medikamente geraten zunehmend in Bedrängnis. Ausgerechnet die positiven Eigenschaften der Phytopharmaka waren es, die dazu führten, dass pflanzliche Arzneimittel bis auf wenige Ausnahmen weitgehend aus der Leistungspflicht der Krankenkassen herausgenommen wurden.

Pflanzliche Arzneimittel werden aber noch von einer anderen Seite bedrängt. Es gibt immer mehr pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel (NEM) auf dem Markt. Sie sind rechtlich Lebensmittel und deshalb ausschließlich zur Erhaltung der Gesundheit geeignet. Oft erwecken sie den Eindruck, als seien sie mit pflanzlichen Arzneimitteln vergleichbar. Diese Entwicklung bedroht z. Z. die Phytotherapie massiv.

Die Unterscheidung und Einstufung eines pflanzlichen Arzneimittels oder eines NEM ist in der Regel der erste Schritt für eine Produktabgrenzung. Die Bedeutung der Abgrenzung liegt darin, dass Phytopharmaka als Fertigarzneimittel in Deutschland nicht ohne Zulassung vertrieben werden dürfen und dass NEM in Deutschland nicht gesundheitsbezogen beworben werden dürfen (Heilmittelwerbegesetz). Die europäische Health-Claims-Verordung hat die Problematik weiter verschärft. Nachdem bisher gesundheitsbezogene Aussagen nur Arzneimitteln vorbehalten waren, sind solche nun auch für Lebensmittel zulassungsfähig, womit ein wesentliches Unterscheidungskriterium an Schärfe einbüßte.

Bei der Abgrenzungsprüfung sind die drei Hauptmerkmale des NEM, die Ergänzung der allgemeinen Ernährung, das Konzentrat von (Nähr-) Stoffen und der jeweils dosierten Form, heranzuziehen. Da ebenso wie bei pflanzlichen Arzneimittel auch NEM häufig in den gleichen Darreichungsformen (Tabletten, Kapseln etc.) angeboten werden, ist die dosierte Form bei der Abgrenzung eher zu vernachlässigen. Wichtiger ist das Konzentrat, wobei entscheidend ist, dass es überwiegend ernährungsspezifisch oder ernährungsphysiologisch wirkt und somit die allgemeine Ernährung unterstützt. Exemplarisch können dabei Konzentrate von Vitaminen und/oder Mineralstoffen oder Aminosäuren und Ballaststoffen angeführt werden. Die Grenze zum Arzneimittel dürfte aber auch bei diesen Konzentraten erreicht sein, wenn die Wirkung über eine Ergänzung der allgemeinen Ernährung hinausgeht und als pharmakologisch einzustufen ist.

Genau in diesem Punkt liegt jedoch die Schwierigkeit der Abgrenzung. Einerseits muss zur Abgrenzung zum Arzneimittel feststehen, dass die Tagesdosis über den empfohlenen Tagesbedarf hinausgeht und somit eine pharmakologische Wirkung besteht und eine wertende Gesamtbetrachtung nach der überwiegenden objektiven Zweckbestimmung vorliegt. Zur weiteren Abgrenzung ist festzustellen, ob der Schwerpunkt auf arzneispezifischen Zwecken (z.B. Therapie) oder mehr auf lebensmittelspezifischen Zwecken liegt.

Angesichts der unübersichtlichen Angebote aus Internet und Drogerien sind umfassende Beratungsstrategien und gezielte Informationen über die Eigenschaften und Kennzeichnungen von NEM und Fertigarzneimitteln dringend erforderlich.