Der Klinikarzt 2014; 43(10): 441
DOI: 10.1055/s-0034-1396018
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Letzte

Günther J Wiedemann
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. November 2014 (online)

Evils can be created much quicker than they can be cured.

(Winston Churchill, 1874–1965)

Kees Momma ist Autist. Er lebt in den Niederlanden. Auf Youtube kann man Szenen aus einem Dokumentarfilm über ihn sehen, in denen der Modelleisenbahner begeistert Zug fährt oder über deutsche Autofahrer schimpft. In diesem Sommer schrieb er wöchentlich eine Kolumne in 2 niederländischen Zeitungen. Kees Momma könnte sich in den Niederlanden von Ärzten töten lassen, wenn er seine Behinderung als unerträglich empfände. Bei unseren Nachbarn ist aktive Sterbehilfe seit 2001 unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Mommas Mutter, auf deren Hilfe er zur Bewältigung seines Alltags angewiesen ist, hält dies für eine denkbare Lösung, wenn sie mal nicht mehr ist. In der Süddeutschen Zeitung wird sie zitiert mit den Worten: „Wenn es nicht anders geht, dann soll er lieber tot sein, dann hätte er seinen Frieden.“

Was hat Kees Momma mit dem kontrovers diskutierten deutschen „Sterbehilfegesetz“ zu tun? Zurzeit nichts. Und in Zukunft? Wenn in der Öffentlichkeit und auch unter den ärztlichen Kollegen von Sterbehilfe die Rede ist, gehen die Begriffe wild durcheinander. Viele befürchten, durch das neue Gesetz würden Verhältnisse wie in den Niederlanden (oder auch Belgien) geschaffen. Doch das geplante „Sterbehilfegesetz“ soll ganz im Gegenteil einen neuen Straftatbestand, die „Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung“ einführen.

Bisher sind die Selbsttötung und die Teilnahme daran in Deutschland nicht strafbar. Mit einem neuen Gesetz soll nun auf die zunehmenden kommerziellen Angebote zur Unterstützung beim Suizid reagiert werden. Im Gesetzentwurf, der schon 2012 in der letzten Legislaturperiode formuliert wurde, heißt es: §217 (1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (2). Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.

Der Gesetzgeber will also ausdrücklich nicht Suizidbeihilfe im engsten Familienkreis oder durch Dritte aus rein altruistischen Gründen kriminalisieren. Doch er sieht dringenden Handlungsbedarf aufgrund der Kommerzialisierung der Suizidbeihilfe. Dadurch könne in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, es handle sich um eine gewöhnliche Dienstleistung, es könne so der fatale Anschein einer Normalität der Selbsttötung erweckt werden. Diese scheinbare Normalität könnte bei schwer kranken und alten Menschen Druck erzeugen, ihren Angehörigen oder der Gesellschaft durch ihren Pflegebedarf nicht weiter zur Last zu fallen. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, man müsse sich rechtfertigen für den Wunsch, weiterleben zu wollen.

Worum geht es ausdrücklich nicht? Um „Tötung auf Verlangen“ (http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/59687) geht es definitiv nicht. Diese aktive Sterbehilfe soll weiterhin strafbar bleiben. Bereits straffrei sind in Deutschland die „Indirekte Sterbehilfe“ und die „Passive Sterbehilfe“ (gerechtfertigter Behandlungsabbruch). Indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn schmerzlindernde oder bewusstseinsdämpfende Medikamente bei Sterbenden als Nebeneffekt den Eintritt des Todes beschleunigen. Ein gerechtfertigter Behandlungsabbruch liegt vor, wenn entsprechend dem (auch mutmaßlichen) Willen des Patienten eine Therapie unterlassen, begrenzt oder beendet wird, um dem zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.

Weshalb also die Unruhe in der Ärzteschaft? Im Wesentlichen geht es um die Frage: kann mit einer „anderen nahestehenden Person“, die straffrei beim Suizid helfen darf, auch der behandelnde Arzt gemeint sein? Und leitet sich daraus ein Anspruch an die Ärzte ab, sich dem Todeswunsch leidender Patienten nicht zu verschließen und sie bei der Selbsttötung zu unterstützen? Die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer untersagt Ärzten aber ausdrücklich die Beihilfe zum Suizid.

Ungeachtet dessen hat sich Ende August 2014 eine Gruppe, bestehend aus einem Palliativmediziner, 2 Ethikern und einem Medizinrechtler, mit einem eigenen Gesetzesvorschlag zu Wort gemeldet. Sie fordern ein generelles Verbot der Suizidbeihilfe, außer für Angehörige und nahestehende Personen sowie ausdrücklich für Ärzte. Diese sollten ihrer Meinung nach Patienten, die unheilbar an einer zum Tode führenden Krankheit leiden, beim Suizid assistieren dürfen.

Viele Kollegen befürchten nun zu Recht, dass eine garantierte Straffreiheit für Ärzte, die ihren Patienten (altruistisch) bei der Selbsttötung helfen, uns geradewegs zu einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wie in den Niederlanden führen kann. Sie haben das Gefühl, dass hier eine schleichende Aufweichung ethischer Prinzipien stattfindet. Könnte es sein, dass der vom Gesetzgeber befürchtete Erwartungsdruck auf schwer Kranke und Pflegebedürftige, sich „sozialverträglich“ zu töten, auch gegenüber Ärzten aufgebaut werden könnte? Müssen wir nicht vor einer ganz anderen Kommerzialisierung Angst haben: dass Patienten am besten nicht der Gesellschaft finanziell ungebührlich lange zur Last fallen sollen und dass wir Ärzte in diesem Sinne ökonomisch vernünftige Entscheidungen treffen sollen? Deshalb ist es gut, dass unsere Musterberufsordnung einen ärztlich unterstützten Suizid grundsätzlich verbietet. Wehret den Anfängen.