Der Klinikarzt 2015; 44(2): 63
DOI: 10.1055/s-0035-1547501
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Siebzig Jahre danach: „A time for healing“ ist immer!

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
10 March 2015 (online)

Am 13.2.2015 erscheint diese Ausgabe des klinikarzt. Das Datum hat auch mich, bei der Vorbereitung dieses Vorwortes, an Dresden, an die Nacht des Bombardements vor genau 70 Jahren, an den Krieg und an den Nationalsozialismus erinnert und damit auch an rühmliche und unrühmliche Prototypen ärztlicher Kollegen dieser Zeit. Es war mir darüber nach einer medizingeschichtlichen Recherche (mit Unterstützung meines Sohnes Christian als Historiker), die ich hier kurz interpretieren möchte.

Es sei mit dem Unrühmlichen angefangen: 1946 wurden 23 Mediziner in den sogenannten Nürnberger Ärzteprozessen vor Gericht gestellt. Verantworten mussten sie sich u. a. für Menschenversuche, bei denen tausende Unschuldige ihr Leben lassen mussten. Z. B. um nachzuweisen, dass Sulfonamide für die Behandlung von Wundinfektionen unzureichend seien, wurden KZ-Häftlingen etwa die Waden aufgeschnitten und die Wunden mit Gras oder Holzsplittern infiziert. Andere wurden mit Fleckfieber angesteckt, um Impfstoffe zu testen.

Josef Mengele, Prototyp dieser Todesärzte und „Ärztlicher Direktor“ in Auschwitz, dem Konzentrationslager, dessen ebenfalls 70. Jahreswiederkehr seiner Befreiung wir noch am 27. Januar gedachten, wurde nie gefasst. Er konnte fliehen und ertrank 1979 beim Schwimmen in Brasilien. Mengele richtete im KZ Auschwitz einen „Kindergarten“ ein. Er operierte zumeist ohne Narkose. An Zwillingen und anderen vollzog er Experimente mit Bluttransfusionen und Krankheitserregern, natürlich ohne jedwede wissenschaftliche Erkenntnisse.

Man darf auch in einer medizinischen Fortbildungszeitschrift wie dem klinikarzt an diese Grausamkeiten der Ärzte im „Dritten Reich“ erinnern. Ähnliches möge sich zu keiner Zeit in keiner Gesellschaft wiederholen.

Woran wir allerdings zu wenig erinnern, sind die Kolleginnen und Kollegen, die in Kriegslazaretten unter miserabelsten Bedingungen tagtäglich Soldaten das Leben retteten. Hier zeigten sich Menschlichkeit und Unermüdlichkeit in der Medizin. Viele dieser Ärzte (und genauso Krankenschwestern, Sanitäter und andere Helfer) darf man getrost als Helden und Heldinnen bezeichnen, auch wenn mir eine solche Ausdrucksweise in heutiger Zeit schwerfällt. Aber das Prädikat ist verdient.

So wurde der Berliner Dermatologe Prof. Günter Stüttgen Zeit seines Lebens als Prototyp eines Helden von den Amerikanern verehrt. Er machte im Herbst 1944 das sogenannte Wunder vom Hürtgenwald möglich. Hier, in der Nordeifel, nahe Belgien, fand eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs statt, als US-Truppen versuchten, auf Köln vorzurücken. Ein unfassbares Gemetzel! Tote Amerikaner und Deutsche lagen Kopf an Kopf. Auf eigenes Risiko widersetzte sich Stüttgen den Befehlen der Obrigkeit und erwirkte mehrere mehrstündige Waffenstillstände, bei denen die verfeindeten Truppen Gefangene austauschten. Er machte in seinem Sanitätsbunker keine Behandlungsunterschiede. Gemeinsam mit seinem Sanitätspersonal verarztete er Deutsche und Amerikaner gleichermaßen und rettete unzählige Leben. Zu seinen Ehren wurde nach dem Krieg von seinen damaligen Feinden, der 28. US-Infanteriedivision, das Gemälde „A Time For Healing“ in Auftrag gegeben.

Eine Message, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat.“ Ärzte ohne Grenzen“, heißt es in der Charta, hilft Opfern von bewaffneten Konflikten, ohne Diskriminierung und ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung.

Zeit zu Heilen ist immer, ohne Unterschied bezüglich Herkunft, Kriegs- oder Friedenszeit! Aber gut, dass wir heute nur noch einen Prototypen kennen.

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A Time for Healing. Robert M. Nisley.