Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2016; 21(01): 30-39
DOI: 10.1055/s-0035-1553142
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fall-, Betten- und Arztzahlen in Haupt- und Belegabteilungen seit 2005 – Entwicklung und Einflussfaktoren für die Entwicklung des Belegarztwesens

Number of Cases, Beds and Physicians in Main and In-Patient Departments since 2005 – Change and the Factors influencing Change in the Services of Attending Physicians
U. Hahn
1   OcuNet Gruppe, Düsseldorf
2   Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universität Witten/Herdecke
,
K. Schalkhäuser
3   Bundesverband der Belegärzte, München
,
A. Neumann
4   Bundesverband für Ambulantes Operieren, Bonn
5   Praxisklinik München-West, Orthopädie und Chirurgie
,
P. Mussinghoff
6   Augenabteilung am St. Franziskus-Hospital, Münster
,
S. Schmickler
7   Augen-Zentrum-Nordwest, Augenpraxis Ahaus
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. August 2015 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung: Darstellung der Entwicklung struktureller Kenngrößen (Fallzahl, Bettenzahl und Arztzahl) in Belegabteilungen und Hauptabteilungen über alle medizinischen Fächer und getrennt für Fächer mit belegärztlichem Versorgungsschwerpunkt (Versorgungsanteil in 2005 ≥ 5 %) für 2005 – 2012. Diskussion der mutmaßlichen Gründe für die Entwicklung und Argumente pro und contra Belegarztwesen.

Methodik: Darstellung der strukturellen Kenngrößen auf der Basis von jährlich veröffentlichten Sekundärdatenquellen (Begleitforschung des Instituts für Entgeltsysteme im Krankenhaus, Grunddaten der Krankenhäuser des Statistischen Bundesamtes, Statistische Informationen zu an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung). Gründe und Argumente werden auf der Basis wissenschaftlicher und berufspolitischer Literatur nachgezeichnet.

Ergebnisse: Zwischen 2005 und 2012 entwickelten sich die Kenngrößen nach Abteilungstypen (Belegabteilung und Hauptabteilung) gegenläufig, allerdings zeigen sich zum Teil erhebliche Unterschiede nach Fächern. Belegärztlichen Fokus nach allen Kenngrößen haben die Fächer Hals-Nasen-Ohrenmedizin, Augenheilkunde, Urologie, Orthopädie, Gynäkologie und Geburtshilfe, die Fächer Chirurgie, Neurologie, Neurochirurgie, plastische Chirurgie und Nuklearmedizin weisen nur nach einer oder zwei Kenngrößen diesen Fokus auf.

Fallzahl: Die Gesamtfallzahl in Fächern mit belegärztlichem Fokus stieg um + 10 %. Die Hauptabteilungen realisierten einen Zuwachs von + 14 %. In Belegabteilungen fiel die Fallzahl um –26 % und der Versorgungsanteil von 11 % auf 8 %. Die Flächenstaaten der westlichen Bundesrepublik weisen einen überdurchschnittlich hohen Belegarztanteil nach Fällen auf.

Bettenzahl: Die Gesamtbettenzahl ist in Fächern mit belegärztlichem Fokus rückläufig (–9 %), in Belegabteilungen ist der Verlust mit –26 % höher.

Arztzahl: Die Zahlen der hauptamtlich am Krankenhäusern tätigen Ärzte und der Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung sind gestiegen (+ 19 %, + 10 %), die der Belegärzte um –7 % gefallen.

Mögliche Ursachen für die abnehmenden belegärztlichen Anteile sind Vergütungsanreize sowohl für die ambulante wie für die stationäre Versorgung, eine künstliche Beschränkung des von Belegärzten darstellbaren Leistungsspektrums, Kooperationsherausforderungen und fehlende institutionell-politische Einbettung des Intermediärs Belegarzt. Der Nutzen des Belegarztwesens wird in der Kontinuität des behandelnden Arztes über die Sektorengrenze, im Erhalt der freien Arztwahl, in der Sicherung einer flächendeckenden stationären Versorgung und der Andockstelle für ambulante Einrichtungen am Krankenhaus gesehen.

Schlussfolgerungen: Trotz anerkannten Potenzials des Belegarztwesens wird sein Versorgungsanteil schleichend weniger. Eine dem zugrunde liegende gesundheitspolitische oder -ökonomische Entscheidung ist nicht zu erkennen, die Entwicklung scheint primär ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der jeweils isoliert auf den ambulanten und stationären Sektor zielenden Anreize zu sein. Trotz Forderung nach (mehr) sektorenübergreifender Verzahnung fehlt zu der einzigen langjährig etablierten Form, dem Belegarztwesen, eine fachliche Auseinandersetzung.

Abstract

Aim: Development of structural parameters (number of cases, number of beds and number of physicians) in in-patient departments run by attending physicians and main departments across all medical fields and separated for fields with a focus on attending physicians between 2005 and 2012. Identification and discussion of the presumed reasons for the trend and of arguments in favor for hospital care by attending physicians.

Methods: Presentation of the structural parameters based on secondary sources of data published annually (accompanying research of the Institute for the Hospital Remuneration System, basic data from the hospitals of the Federal Statistical Office and the Federal Medical Register). Consideration of trends and arguments is based on scientific literature and publications of professional organizations.

Results: The two department types showed opposing trends between 2005 and 2012; considerable differences were observed according to medical fields. Otorhinolaryngology, ophthalmology, urology, orthopedics, gynecology and obstetrics have a focus on attending physicians with regard to all structural parameters, surgery, neurology, neurosurgery, plastic surgery and nuclear medicine with regard to one or two structural parameters.

Number of cases: The total number of cases in fields with a focus on attending physicians increased by + 10 %. Main departments accounted an increase of + 14 %. The departments run by affiliated physicians decreased by –26 %, the proportion of cases declined from 11 % to 8 %. The services of attending physicians are relevant primarily in the territorial states in the western Federal Republic of Germany.

Beds: The total number of beds fell by 9 % during the reviewed period, while the numbers of beds in departments run by affiliated physicians decreased by 26 %.

Number of physicians: The number of the physicians employed full-time by main departments and the number of physicians with statutory health insurance authorization increased (+ 19 %, + 10 %). The Number of attending physicians decreased by –7 %.

Potential reasons for the trend are remuneration incentives for the out-patient and the in-patient sectors, the artificial limitation in the scope of services of attending physicians, barriers in cooperation and missing integration of the intermediary “attending physician”. The following advantages of an in-patient care by attending physicians are discussed: continuity of care at the line between hospital and doctor’s office, free choice of physician for patients, cost-efficiency, nationwide care and interface for doctor’s offices at hospitals.

Conclusions: Despite of the potential of affiliated physicians their contribution in care is decreasing. In the absence of a political or health-economic decision, the development seems to be an unintentional side effect of incentives aiming at the isolated out-patient sector on the one hand and in-patient sector on the other. A systematic debate about the role of in-patient departments run by attending physicians is missing, although it is the only established form of care joining the two sectors.

 
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