Aktuelle Urol 2015; 46(03): 249-260
DOI: 10.1055/s-0035-1554719
Operative Techniken
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ileum-Neoblase nach Studer

F. Burkhard
1   Inselspital, Urologische Universitätsklinik, Anna-Seiler-Haus, Bern, Schweiz
,
U. E. Studer
1   Inselspital, Urologische Universitätsklinik, Anna-Seiler-Haus, Bern, Schweiz
,
H. J. Danuser
1   Inselspital, Urologische Universitätsklinik, Anna-Seiler-Haus, Bern, Schweiz
,
E. J. Zingg
1   Inselspital, Urologische Universitätsklinik, Anna-Seiler-Haus, Bern, Schweiz
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Publication Date:
16 June 2015 (online)

Einleitung

Der orthotope ileale Blasenersatz aus Dünndarm mit dem Ziel einer kontinenten Harnableitung und Miktion per vias naturales hat sich heutzutage bei Männern und in zunehmendem Maße auch bei Frauen etabliert. Gute Langzeitresultate werden umso besser sein, je restriktiver die Operationsindikationen gestellt werden. Das funktionelle Ergebnis nach einem orthotopen Blasenersatz sowie Kontinenz und Ausmaß der erektilen Funktion hängen zudem von der operativen Technik ab, insbesondere einer nervenschonenden Chirurgie, wie auch von einer sorgfältigen langfristigen Nachbetreuung durch den erfahrenen Spezialisten und ein gut geschultes Pflegeteam (Erlernen des spontanen Wasserlassens, restharnfreie Miktion usw.).

Die hier beschriebene Operationstechnik ist nicht wesentlich komplexer als die Anlage eines Ileumconduit. Das resezierte Dünndarmsegment ist 2- bis 2½-mal länger als ein Ileumconduit. Um Passage- und Malabsorptionsstörungen im Darmtrakt vorzubeugen, werden das terminale Ileum sowie die Ileozökalklappe belassen. Das aborale Ende des 54 – 58 cm langen Ileumsegments wird in ein Niederdruckreservoir nach dem Prinzip „Cup-Patch-Technique“ nach Goodwin umgewandelt und mit der membranösen Harnröhre anastomosiert. Das Reservoir wird aus lediglich 40 – 44 cm Dünndarm konstruiert. Dadurch können schwerere Reabsorptionsstörungen vermieden und eine restharnfreie Spontanmiktion erreicht werden. Die reabsorbierende Darmoberfläche ist limitiert, und die Reabsorptionszeit im Vergleich zu größeren Reservoirs kürzer. Die Größe bzw. das Volumen des Reservoirs (ca. 500 ml) gestattet dennoch genügend tiefe Druckwerte, um eine Harnkontinenz zu ermöglichen. Anderseits wird ein allzu großer, schlaffer „Sack“, welcher nicht mehr entleert werden könnte, vermieden.

Mit der gleichzeitigen Verwendung eines isoperistaltischen, afferent-tubulären Segments können die distalen Harnleiter, wie auch die paraureteralen distalen Lymphbahnen, welche zur Iliakakreuzung laufen, en bloc mit der Harnblase reseziert werden. Dies vermindert das Risiko urothelialer Rezidivtumoren in den distalen Harnleitern. Die Peristaltik des afferent-tubulären Segments stellt unter den gegebenen Niederdruckverhältnissen des Reservoirs einen ausreichenden dynamischen Anti-Reflux-Schutz dar, der eine offene End-zu-Seit-Anastomose der Harnleiter mit entsprechend geringer Komplikationsrate erlaubt. Das Absetzen der Harnleiter oberhalb der Gefäßkreuzung vermindert zudem das Risiko einer distalen Harnleiterischämie mit konsekutiver Tendenz zu Striktur und Stenose. In den seltenen Fällen einer Ersatzblasenentleerungsstörung, einem symptomatischen Lokalrezidiv im Becken oder der Notwendigkeit einer sekundären Urethrektomie kann das afferent-tubuläre Segment problemlos in ein Ileumconduit umgewandelt werden.

Zwischen April 1985 und April 2012 wurden insgesamt 750 Patienten, davon 95 Patientinnen, operiert. Medianes Alter war 65 Jahre (30 – 84), mediane Beobachtungszeit 44 Monate (0,4 – 287). Die Indikation zur Zystektomie war bei 680 Patienten (91%) ein Urothelkarzinom. Postoperativ verstarben 11 Patienten (1,4%): 5 Patienten an einer Sepsis, 2 an einer Hirnblutung, weitere 2 an einem Myokardinfarkt und je 1 Patient an einer Lungenembolie und an einem Mesenterialinfarkt. Etwa 30% der Patienten verstarben am Tumorprogress und 30 Patienten (4%) entwickelten ein Harnröhrenrezidiv. Von diesen 30 Patienten konnte bei 25 Patienten eine konservative Therapie mit BCG-Perfusion der Harnröhre durchgeführt werden, während bei 5 Patienten eine Urethrektomie notwendig war. Rezidivtumoren des oberen Harntrakts fanden sich bei 18 Patienten (2,4%), wobei bei 12 Patienten eine Nephroureterektomie und bei 4 Patienten BCG-Instillationen über die Niere durchgeführt wurden. Harnleiter-Darm-Anastomosenstrikturen waren mit 2% relativ selten. Die Kontinenzrate betrug nach 12 Monaten tagsüber ca. 90% sowie nachts ca. 80% und nahm nach 12 Jahren mit zunehmendem Alter der Patienten im weiteren Verlauf tendenziell ab.

 
  • Literatur

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