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DOI: 10.1055/s-0035-1557150
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Publication Date:
15 July 2015 (online)

Die Physiowelt zu Gast in Singapur
Der Physiotherapie-Weltkongress 2015 war ein Erlebnis, das bei den Teilnehmern noch lange nachklingen wird. Denn er lockte sie nicht nur mit den führenden Experten der einzelnen Fachbereiche und Unmengen aktueller Forschungsergebnisse, sondern auch mit einem fantastischen Austragungsort: Singapur.
Der Stadtstaat am südlichen Zipfel Malaysias beeindruckte mit seinen unzähligen Einkaufsmalls, „Food Corners“, Wolkenkratzern und Sehenswürdigkeiten wie dem Hotel „Marina Bay Sands“ und den „Gardens by the Bay“ ([ Abb. 1 ]).


Beeindruckend war aber auch der Kongress selbst, angefangen bei den Zahlen: Im Suntec Singapore Conference Center versammelten sich 4 Tage lang rund 3 500 Teilnehmer aus 114 Ländern, die die Auswahl zwischen insgesamt rund 50 Sessions mit jeweils bis zu 10 Vorträgen sowie über 1 000 Poster-Präsentationen hatten ([ Abb. 2 ]). In der Halle mit den Postern fand zudem eine ebenfalls lohnenswerte Industrieausstellung statt.


Die enorme Anzahl an vielen, teilweise zeitgleich stattfindenden Präsentationen machte es häufig schwer, sich für den „richtigen“ Raum zu entscheiden. Zudem schwankte die Qualität naturgemäß stark – sowohl bei den vorgestellten Studien als auch bei den „Focused Symposia“, in denen meist die führenden Experten auf einem Gebiet aufeinander abgestimmt zu einem bestimmten Thema referierten. Eine „falsche“ Auswahl zu treffen, war dennoch kaum möglich, da selbst bei den schlechteren Sessions zumeist einige Fakten und Ergebnisse dabei waren, die sich lohnten, gehört zu werden. Nachfolgend ein kleiner Einblick in die Themenvielfalt:
Präsidentschaft und Preisverleihung
Emma Stokes, Associate Professor am Department of Physiotherapy des Trinity College in Dublin, Irland, löste Marilyn Moffat als WCPT-Präsidentin ab.
Zur Preisträgerin des Mildred Elson Awards, der höchsten Auszeichnung des WCPT, wurde Kari Bø aus Norwegen gekürt. Sie ist eine international anerkannte Forscherin auf dem Gebiet der Beckenbodendysfunktion bei Frauen und machte unter anderem durch intensive Medienarbeit weltweit auf diese Problematik aufmerksam.
Studienergebnisse
Woher das Knacken kommt
In einer auch in den Medien vielfach aufgegriffenen Studie ermittelten Greg Kawchuk et al., woher das Knacken in einem Gelenk kommt. Dazu untersuchten sie einen Mann, der seine Finger knacken lassen kann, im MRT. Sie erkannten, dass im Moment der Gelenktraktion – wenn sich die Gelenkflächen voneinander lösen – ein Hohlraum im Gelenk entsteht, das offenbar das Knacken auslöst. (Kawchuk G. Visualization of Joint Cavitation in Real Time)
Physios sollten schallen
Tiziano Marovino hatte in seiner Studie festgestellt, dass Physiotherapeuten mittels diagnostischem Ultraschall zuverlässig Risse in der Rotatorenmanschette erkennen können. Er ermutigte die Physiotherapeuten dazu, die Technik des diagnostischen Ultraschalls zu erlernen und in Praxis und Forschung einzusetzen, bevor andere Berufsgruppen dieses Mittel für sich entdecken oder der Einsatz in der Physiotherapie gar von anderen Interessengruppen gedeckelt wird. (Marovino T. Concurrent Validity of Physical Therapist Performed Muskulo-skeletal Diagnostic Ultrasound Imaging vs MRI in Detecting Shoulder RTC Tears)
VKB-Ruptur: auch nicht verletztes Bein betroffen
Nach einem Riss des vorderen Kreuzbands (VKB) ist die Sprungperformanz des gesunden Beins zu etwa 25 % geringer als bei einer gematchten Kontrollgruppe. Studienautor Benoit Pairot de Fontenay betonte die Wichtigkeit dieser Erkenntnis, da im Rehabilitationsprozess das nicht verletzte Bein oft als Referenz genutzt wird. Er empfiehlt, das gesunde Bein direkt nach der Verletzung zu testen, um eine wirkliche Referenz zu erhalten. Zudem sollte dieses Bein verstärkt in den Reha-Prozess eingebunden warden. (Pairot de Fontenay B. Kinematic and Kinetic Deficits on the Non-injured Leg after ACL Reconstruction: Analysis of the Single Leg Squat Jump)
Periphere Neuropathien: Wurden die kleinen Nervenfasern ignoriert?
Annina Schmidt zeigte in ihrer Studie, dass bei peripheren Neuropathien überwiegend (zu etwa 80%) die kleinen Nervenfasern betroffen sind, also die A-delta- und die C-Fasern. Bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom (KTS) waren diese Nervenfasern auf Mikroskopbildern fast vollständig verschwunden. Testen lassen sich diese Fasern mit der Unterscheidung kalt/warm. Patienten mit KTS haben deutlich mehr Probleme, Temperaturen zu unterscheiden als Gesunde. Zur Diagnosestellung KTS werden derzeit jedoch nur die großen Fasern getestet, z. B. mittels Prüfung der Nervenleitgeschwindigkeit. Darin unterscheiden sich die Betroffenen jedoch oft nicht von Gesunden, sodass viele Patienten mit KTS falsch negativ getestet werden. (Schmidt AB. Entrapment Neuropathies: Have Small Fibers Been Neglected?)
Wahrnehmungsstörungen bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
Laut Hannu Luomajoki scheint bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen die Wahrnehmung von Becken und LWS gestört zu sein, was sich in einer schlechten Repositionsquote für LWS-Positionen zeigt. Die Literatur zum Thema ist bislang allerdings sehr heterogen und die Studienqualität für eine sicher Aussage nicht gut genug. (Luomajoki H. Measuring Lumbar Reposition Accuracy in Patients with Unspecific LBP – Systematic Review and Meta-analysis)
Nach Schleudertrauma: Fetteinlagerungen im zervikalen M. multifidus
Anneli Peolsson fand mittels MRT-Aufnahmen heraus, dass Patienten mit chronischem schweren Schleudertrauma (WAD) in den zervikalen Mm. multifidi – gemessen von C4–C7 – signifikant mehr Fetteinlagerungen haben als Gesunde oder Patienten mit leichtem bis mittelschwerem WAD. Zwischen Patienten mit milden Beschwerden und Gesunden besteht hinsichtlich des Verfettungsgrads kein Unterschied. (Peolsson A. Increased Fatty Infiltration of the Multifidus Muscle in Individuals with Severe Disability Due to Chronic Whiplash-associated Disorders)
Keine Evidenz für Stoßwellentherapie bei Tendinopathien
Derzeit gibt es keine Evidenz für eine positive Wirkung von Stoßwellentherapie bei Achilles- oder Patellarsehnentendinopathie. Die Studien sind zu heterogen und zum Teil von schlechter Qualität. So bleibt unter anderem unklar, welche Art der Stoßwelle (radial oder fokussiert) in welcher Dosis anzuwenden ist. Nach Meinung von Anuj Punnoose ist es für Patienten sinnvoller, ihr Geld zu sparen, sich an eine Treppenstufe zu stellen und exzentrisch zu trainieren. (Punnoose A. The Effectiveness of Shockwave Therapy on Achilles and Patellar Tendinopathy: A Systematic Review and Meta-analysis)