Suchttherapie 2015; 16 - S_03_03
DOI: 10.1055/s-0035-1557509

Welche Gründe formulieren Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit für oder gegen die Annahme einer Weiterbehandlungsempfehlung nach dem qualifizierten Alkoholentzug? Eine qualitative Analyse

R Stender 1, A Friedrichs 1, A Buchholz 1
  • 1Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, UKE

Einleitung: Die Alkoholabhängigkeit zählt zu den häufigsten Diagnosen in der psychiatrischen Versorgung. Im Hinblick auf die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit stellen die qualifizierte ambulante oder die qualifizierte stationäre Entgiftung neben den Suchtberatungsstellen meist die erste suchtspezifische therapeutische Maßnahme in der Behandlungskette dar. Die Vermittlungsquote alkoholabhängiger Patienten nach dem qualifizierten Entzug in einer Weiterbehandlungsmaßnahme variiert zwischen 11 und 30%. Eine Entgiftung bzw. ein Entzug allein führt nicht zu zufriedenstellenden Abstinenzraten. Erfolgen nach Beendigung des Entzuges keine weiteren therapeutischen Interventionen, werden ca. 85% der alkoholabhängigen Patienten rückfällig. Ziel dieser Studie ist daher die Erfassung der individuellen Gründe der Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit für die Annahme oder Ablehnung einer Weiterbehandlungsempfehlung nach dem qualifizierten Alkoholentzug.

Methoden: Im Rahmen der BMBF-geförderten Studie MATE-LOC (Förderkennzeichen 01GY1114), deren Ziel eine systematische Zuordnung von alkoholabhängigen Patienten zu bedarfsorientierten Behandlungsformen ist, wurden 123 Gespräche geführt, die gemeinsam mit dem Patienten die empfohlene Weiterbehandlung thematisieren. Es wurden 20 dieser Feedbackgespräche qualitativ analysiert. Die Arbeit orientiert sich methodisch an der Grounded Theory und mittels eines Kodierparadigmas wurde aus den erhobenen Daten ein Kategoriesystem entwickelt.

Ergebnisse: Als zentrales Phänomen konnte „die Annahme der Weiterbehandlungsempfehlung“ herausgestellt und in Beziehung zu zahlreichen Kategorien gesetzt werden. Die Analyse erbrachte dreizehn Kategorien, die sich gemäß dem Kodierparadigma vier übergeordneten Kategorien zuordnen lassen (ursächliche Bedingungen, kontextuelle Bedingungen, Strategien und Konsequenzen). Die „ursächlichen Bedingungen“, die die Annahme der Weiterbehandlungsempfehlung erschweren oder erleichtern können, umfassen

  • Wunsch nach Abstinenz,

  • Krankheitseinsicht,

  • Behandlungserfahrungen,

  • Einstellung zur medizinischen Entscheidungsfindung und

  • Auseinandersetzung mit Weiterbehandlungsmöglichkeiten.

Die relevanten „kontextuellen Bedingungen“ lassen sich als

  • soziale Unterstützung,

  • Umgang mit Verpflichtungen,

  • Kostenträger und

  • Befürchtungen zusammenfassen.

Als bedeutsame „Strategien“ zur Annahme konnten

  • Verhaltensweisen im Umgang mit erschwerenden Faktoren und

  • motivierende Vorstellungen identifiziert werden.

Die „Konsequenzen“ lassen sich in

  • positive Zukunftsfantasien und

  • Angst vor dem Scheitern zusammenfassen.

Diskussion: Aus den Ergebnissen können förderliche Faktoren und Behandlungsbarrieren abgeleitet werden. Kenntnisse über förderliche und hinderliche Faktoren zur Annahme der empfohlenen Weiterbehandlung sind erforderlich, um die Anzahl der Patienten, die eine Weiterbehandlung annehmen, zu erhöhen.