Aktuelle Dermatologie 2015; 41 - A57
DOI: 10.1055/s-0035-1558626

Papillomatosis cutis lymphostatica bei Verwahrlosung – chirurgische Therapie

A Pitsch 1, F Scholl 1, D Dill 1
  • 1Hautklinik Lüdenscheid

66-jähriger Patient im Status neglecticus. In den letzten drei Jahren kein Arztbesuch. Bei sozialer und persönlicher Verwahrlosung mit geringem Hygienegrad wurden Haut- und Allgemeinzustand nicht mehr realisiert. Die Klinikeinweisung erfolgte durch die Polizei. Über zehn Tagen akute Verschlechterung des Allgemeinzustandes.

Bei Aufnahme bestanden teils korkrinden-, teils reptilienpanzerartige Hyperkeratosen an den Unterschenkeln und Füßen bds.: braungrün, borkig hart, sowie massive Beinödeme bis zur Hüfte. An den Sprunggelenken ausgeprägte tiefe Rhagaden. Auf Druck entleerte sich Pus. Krallenartige Onychogrypose der Zehennägel. Erosionen in der Rima ani, inguinal und gluteal beidseits. Über dem Os sacrum 4,0 × 3,0 cm großer Dekubitus Grad III. Periphere Pulse nur inguinal tastbar.

Nach mikroskopischem Ausschluss einer Scabies norwegica erfolgte eine multimodale Komplextherapie 2 – 3 x tgl. mit Salbenverbänden: flächenhaft Salicylvaseline 10%. Im Wechsel mit Mandelöl und Octenillin Wundgel in den Rhagaden. Adstringierende Therapie der Zehenzwischenräumen mit Eosinlösung 2% und Leinenstreifen. Enzmyatisches Debridement des Dekubitus, anschließend druckentlastende Lokaltherapie mit modernen Polymerschäumen. In den Intertigines mit Candio Hermal Plus Paste und täglich Tannosynt Fußbäder.

Nach Erweichen der Hyperkeratosen erfolgte eine mehrzeitige chirurgische Ablation (erweitertes Debridement) beider Unterschenkel und Füße in Allgemeinanästhesie kombiniert mit dem scharfen Löffel, der Curette und schichtweise mit dem Akkudermatom. Zusätzlich Avulsion der teils gelösten und stark verkrümmten Zehennägel. Abschließend Feinmodulation des Hautreliefs und Epithelisierung unter fett-feuchten Wundverbänden mit Glukokortikoiden und Gentmamycinhaltiger Creme. Bei postoperativ gut tastbaren Fußpulsen sukzessive Kompressionstherapie. Zusätzlich hochkalorische Ernährung, Vitamin-Substitution und intensivierte Physiotherapie zur Remobilisierung.

Histologisch wurde im Nagel eine Onychobacteriose und am Unterschenkel eine Stasisdermatitis in Assoziation mit Viruspapillomen, Fibrose und Granulationsgewebe mit bakterieller Superinfektion beschrieben.

Das primäre Lymphödem ist eine chronische und häufig progrediente Erkrankung, die lebenslanger Behandlung bedarf. Ein sekundäres Lymphödem z.B. kardialer Genese oder bei Malnutrition u.v.a.m. kann chronifizieren und im Stadium der irreversiblen Lymphstauuung zu vielfältigen Hautsymptomen führen. Aus den indurierten verrukösen Arealen können pseudotumuröse Vegetationen entstehen. Wenn Lymphdrainage, Kompressionstherapie und Hautpflege nicht genügen, sind dermatochirurgische Maßnahmen wie tangentiale Skalpellabtragung, Fräsen, Elektroschlingen oder Laserablation indiziert. Nachhaltiger Therapieerfolg wird jedoch nur mit komplexer Entstauungstherapie, der Behandlung der pathogenetischen Ursachen und oftmals mit strukturierter Hilfe für den allgemeinen Lebenszuschnitt zu erreichen sein.

Aufgrund der demografischen Entwicklung sind schwergradige Verwahrlosungsphänomene häufiger in den Notaufnahmen der Hautkliniken zu erwarten.

Literatur:

[1] Niederauer HN et al. Tumorform einer Papillomatosis cutis lymphostatica. Hautarzt 1991;42: 518 – 522

[2] Gottron HA. Ausgedehnte, ziemlich symmetrisch angeordnete Papillomatosis cutis. Zentralbl Haut Geschlechtskr 1932;40:445

[3] Stöberl C et al. Lymphostatische Stauungsdermatose. Hautarzt 1988; 39: 764 – 766