Gesundheitswesen 2015; 77 - A12
DOI: 10.1055/s-0035-1562968

Warum bleiben Behandlungswünsche von GKV- und PKV-Versicherten unerfüllt? Eine quantitative Inhaltsanalyse semi-strukturierter Leitfadeninterviews

I Ramtohul 1, M Lauerer 1
  • 1Universität Bayreuth, Bayreuth

Hintergrund: Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unerfüllten Behandlungswünschen findet kaum statt, obwohl die Erwartungen von Patienten an die Gesundheitsversorgung für deren Entscheidungsverhalten stetig an Bedeutung gewinnen. Die begrenzte Anzahl existierender Studien wurde schwerpunktmäßig in den USA (z.B. Shi/Stevens (2005); DeVoe et al. (2010)) oder Kanada (z.B. Wu et al. (2005); Ronksley et al. (2013)) durchgeführt. Für Deutschland liegen lediglich quantitative Daten von Eurostat vor, die den Bevölkerungsanteil mit unerfüllten Behandlungswünschen für 2013 auf 0,6% beziffern und Gründe nur grob skizzieren. In einem weiteren Survey (ISSP 2011 – Health and Health Care) werden vier Gründe für unerfüllte Behandlungswünsche standardisiert abgefragt: Leistbarkeit (3,9%), Zeitmangel (6,8%), fehlende Behandlungsmöglichkeit in Wohnortnähe (3,9%) sowie Wartezeit (7,3%). Die vorliegende Studie zielt darauf ab, unerfüllte Behandlungswünsche von GKV- und PKV-Versicherten sowie Begründungen in einem ersten Schritt zu identifizieren und kategorisieren und in einem zweiten Schritt zu quantifizieren. Methodik: Semi-strukturierte Leitfadeninterviews mit 332 Teilnehmern wurden transkribiert und inhaltsanalytisch mittels Strukturierung in Anlehnung an Mayring unter Verwendung von MaxQDA (Vers. 10) ausgewertet. Zur Identifizierung von zentralen Versorgungslücken und Gründen erfolgte eine Frequenzanalyse und darüber hinaus eine explorativ-statistische Analyse unter Verwendung von SPSS (Vers. 22) Ergebnisse: Wesentliches Ergebnis der Befragung ist ein Kategoriensystem, das unerfüllte Behandlungswünsche sowie Gründe für das Unerfülltsein strukturiert darstellt und frequenzanalytische Aussagen ermöglicht. Als zentrale Gründe werden finanzielle Barrieren (Keine Erstattung durch Versicherung: n = 50, Selbstbeteiligung: n = 17) sowie unterschiedliche Hürden im Zugang zur Versorgung (Wartezeit auf Termin: n = 36, Zeitmangel: n = 17, keine Verschreibung: n = 16) identifiziert. Insgesamt hat oder hatte ca. die Hälfte der Befragten unerfüllte Behandlungswünsche – insbesondere bei der fachärztlichen Versorgung. Diskussion: Die Untersuchung legt das Spektrum unerfüllter Behandlungswünsche sowie angeführter Gründe systematisch dar und quantifiziert es. Bei den identifizierten Hauptgründen sind detaillierte Analysen der Versorgungssituation und Rahmenbedingungen notwendig, um einer möglichen Unterversorgung entgegenzuwirken. Limitation: Es handelt sich um subjektive Äußerungen von (meist) medizinischen Laien.